Schwere Folgen für Beziehung zu EU
Die Diskussion über eine Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei gewinnt an Dringlichkeit. Nach Präsident Recep Tayyip Erdogan und der AKP-Regierung signalisierte am Dienstag auch die rechtsextreme Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) die Bereitschaft, das Verbot von Hinrichtungen wieder aus der Verfassung zu streichen.
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„Wenn die AKP bereit ist, die Todesstrafe einzuführen, ist auch die MHP bereit“, zitierte die türkische Tageszeitung „Daily Sabah“ am Dienstag den Vorsitzenden der MHP, Devlet Bahceli. „Auch wir würden das befürworten und das Nötige ohne Bedenken tun.“ Die MHP sei nicht dagegen, die Todesstrafe etwa bei Putsch-, Kriegs- oder Terrorgefahr anzuwenden. „Die Putschisten sollen nie wieder Tageslicht sehen“, so Bahceli.
Erdogan will Gespräch mit Opposition
Sowohl Erdogan als auch Ministerpräsident Binali Yildirim hatten in den vergangenen Tagen erklärt, einer Diskussion über die Todesstrafe offen gegenüberzustehen. Zwar warnte Yildirim davor, voreilig eine Entscheidung zu treffen. „Aber der Wille des Volkes kann nicht ignoriert werden“, so der Premier.
Präsident Erdogan kündigte bereits Gespräche mit der Opposition an. Voraussetzung für die Einführung der Todesstrafe sei ein verfassungsändernder Beschluss des Parlaments, sagte Erdogan in seinem ersten Interview nach dem gescheiterten Militärputsch dem US-Nachrichtensender CNN. „Wenn sie (die Parteien) bereit sind, das zu diskutieren, dann werde ich als Präsident jede Entscheidung des Parlaments billigen.“
Mehrheit der Opposition gegen Todesstrafe
Mit der Unterstützung der MHP hätte die AKP ausreichend Stimmen, um eine Verfassungsänderung zumindest auf den Weg zu bringen. Eine solche ist notwendig, da die Türkei das Verbot der Todesstrafe 2004 in der Verfassung festgehalten hat. Es war dies eine der Voraussetzungen, um in Beitrittsverhandlungen mit der EU zu treten.

APA/AFP/Pressedienst des türkischen Premiers/Hakana Goktepe
Kemal Kilicdaroglu (li.), Vorsitzender der CHP, sprach sich bereits gegen die Todesstrafe aus. Premier Yildirim (re.) verweist auf den Volkswillen.
Eine Verfassungsänderung per Parlamentsentscheidung würde allerdings zwei Drittel aller Abgeordnetenstimmen benötigen - auf so viele kommt die Regierungspartei AKP auch mit den Stimmen der MHP nicht. Die beiden anderen Oppositionsparteien, die kemalistische CHP und die kurdische HDP, machten bereits klar, dass sie entsprechende Bestrebungen im Parlament nicht unterstützen würden.
Entscheidung an Bevölkerung übergeben
Doch die Verfassung sieht noch eine weitere Möglichkeit vor, eine Änderung vorzunehmen. Stimmen mehr als drei Fünftel aller Abgeordneten für eine Verfassungsänderung, kann sie der Präsident dem Volk zur Abstimmung vorlegen. Für dieses Vorgehen reichen der AKP die Stimmen der MHP. In diesem Referendum braucht die Gesetzesänderung dann nur noch eine einfache Mehrheit.

Reuters/Umit Bektas
Demonstranten machen keinen Hehl aus ihrer Einstellung zur Todesstrafe
Damit läge es am Ende bei der Bevölkerung, darüber abzustimmen, ob in der Türkei zukünftig wieder Hinrichtungen möglich sein sollen - und sich das Land zugleich einen großen Schritt von der EU weg bewegen soll.
„K.-o.-Kriterium“ für Verhandlungen
Die Europäische Union machte bereits klar: Die Wiedereinführung der Todesstrafe käme einem Ende der Beitrittsverhandlungen gleich. „Die Todesstrafe und die EU sind Dinge, die nicht zusammenpassen“, sagte am Dienstag ein Sprecher der EU-Kommission. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn hatte zuvor bereits von einem „K.-o.-Kriterium“ gesprochen. In einer Sondersitzung des außenpolitischen Ausschusses des EU-Parlaments zur Türkei sagte Hahn, die Todesstrafe „ist praktisch ein Ausschließungsgrund“.
Bereits vor dem Putsch waren regelmäßig Zweifel laut geworden, wie ernst es sowohl der Türkei als auch der EU mit einem Beitritt des Landes ist. Kritiker warfen Erdogan in den vergangenen Jahren vor, das Land nicht an Europa heran-, sondern von europäischen Werten wegzuführen. Und auch in der EU selbst gab es seit jeher Stimmen, die das Land nicht als Teil der Union sehen wollten.
Zwei Fliegen mit einer Klappe für MHP
Offiziell hielten bisher aber sowohl die EU als auch die türkische Regierung an den Verhandlungen fest - anders als etwa die MHP. Die nationalistische Partei mit engen Verflechtungen zu extremistischen Organisation der Grauen Wölfe sprach sich von Anfang an gegen eine Annäherung an die EU aus.

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Bahceli und seine MHP sind erklärte Gegner eines EU-Beitritts
Ihre Vertreter dürften kaum etwas dagegen haben, sollte die Einführung der Todesstrafe auch die Beziehungen mit der EU nachhaltig beschädigen. Vielmehr wäre eine solche Entwicklung wohl genau in ihrem Sinn. Mit seiner Unterstützungserklärung in Richtung AKP geht es Bahceli also womöglich um mehr als nur die härtestmögliche Bestrafung der Putschisten.
Anwendung auf verhaftete Putschisten?
Ohnehin würde eine Wiedereinführung der Todesstrafe allein nicht ausreichen, um die Aufständischen vom Wochenende hinzurichten. In Artikel 38 der türkischen Verfassung ist der Grundsatz verankert, dass niemand schwerer bestraft werden darf als die zum Zeitpunkt der Tat angedrohte Strafe vorsieht. Die Strafe darf also nicht rückwirkend höher ausfallen.
Der gleiche Grundsatz findet sich auch in Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die die Türkei unterzeichnet hat. In Zusatzprotokollen verpflichteten sich die Staaten zudem zur Abschaffung der Todesstrafe. Der für Menschenrechtsfragen zuständige Europarat hat deshalb ankündigt, dass die Türkei bei einer Wiedereinführung der Todesstrafe nicht mehr Mitglied sein könne.
Auch der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Raad al-Hussein, warnte die Türkei, dass das Land mit einer Wiedereinführung der Todesstrafe verbindliche internationale Abmachungen verletzen und sich in die „falsche Richtung“ bewegen würde.
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