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Aufstand blutig niedergeschlagen

Über 200 Tote und fast 1.500 Verletzte: Der Versuch eines Putsches durch das Militär in der Türkei hat einen blutigen Ausgang genommen. Nach Angaben der Regierung konnte der Umsturz abgewehrt werden. Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte Vergeltung an.

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Nach einer turbulenten Nacht, in der der Putschversuch abgewendet wurde, vermeldete am Samstag Ministerpräsident Binali Yildirim, dass die Lage „vollständig unter Kontrolle“ sei. Erdogan bezeichnete den Aufstand als „Hochverrat“ und als „Geschenk Gottes“ - er liefere den Grund, „unsere Armee zu säubern.“

Chaotische Nacht

Am späten Freitagabend war Chaos ausgebrochen, als eine Gruppe Militärangehöriger versucht hatte, die Macht an sich zu reißen. Sie ließ Kampfflugzeuge und Hubschrauber über der Hauptstadt Ankara kreisen. Dort harrten Abgeordnete während der Nacht im Parlament aus, das von Panzern aus beschossen wurde. In der Metropole Istanbul riegelten Aufständische zeitweise die Brücken über den Bosporus ab. Der Tankerverkehr durch die Meerenge wurde vorübergehend gestoppt, die Flughäfen wurden zeitweise geschlossen.

Zerstörter Raum im Parlament

Reuters

Das Parlamentsgebäude trug schwere Schäden davon

Putschende Armeekräfte übernahmen die Kontrolle über den staatlichen Fernsehsender TRT, über den eine landesweite Ausgangssperre und das Kriegsrecht ausgerufen wurden. Eine Ansagerin verlas auf Geheiß des Militärs eine Erklärung, in der der Regierung vorgeworfen wird, die demokratische, säkulare Rechtsordnung zu untergraben. Das Land solle von einem „Friedensrat“ geführt werden, der die Sicherheit der Bevölkerung gewährleiste. Kurz darauf stellte TRT den Sendebetrieb kurzzeitig ein.

Erdogan appellierte an Bevölkerung

Die Regierung mobilisierte alle loyalen Kräfte und schlug zurück. Unter dem Einsatz von Kampfflugzeugen und Panzern lieferten sich Putschisten und regierungstreue Truppen in Ankara und Istanbul schwerste Gefechte, wie sie das Land seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat.

Erdogan, der sich im Urlaub an der Küste befunden hatte, traf in der Nacht auf Samstag auf dem Atatürk-Flughafen in Istanbul ein, den die Verschwörer vergeblich unter ihre Kontrolle zu bringen versuchten. Bereits zuvor hatte er per Telefon im Fernsehsender CNN Türk an seine Landsleute appelliert, auf die Straßen zu gehen und die Regierung zu verteidigen. Tausende Türken folgten dem Aufruf und zeigten ihre Unterstützung für die Regierung. Am Samstagmittag rief Erdogan per SMS erneut die Bevölkerung auf, sich auf den Straßen einem „kleinen Kader“ entgegenzustellen.

Yildirim spricht von 208 Toten

Die Totenzahl wurde am Montag mit 208 angegeben, darunter befänden sich 60 Polizisten, drei Soldaten und 145 Zivilisten. Am Sonntag war von den Behörden eine weit höhere Zahl genannt worden. Zudem seien 1491 Personen verletzt worden, wie Regierungschef Binali Yildirim erklärte. Unbestätigten Berichten zufolge wurden Soldaten misshandelt und sogar gelyncht. Auf in Sozialen Netzwerken verbreiteten Videos sind entsprechende Handlungen zu sehen.

Geflohene Soldaten: „Verräter“ angeklagt

Acht türkische Soldaten setzten sich mit einem Militärhubschrauber nach Griechenland ab und beantragten dort politisches Asyl. Sie wurden am Sonntag wegen illegalen Grenzübertritts angeklagt. Sie müssten sich auch wegen Verletzung des griechischen Luftraums verantworten, teilte ihre Anwältin am Sonntag mit. Die türkische Regierung verlangte die sofortige Auslieferung der „Verräter“. Am Montag sollen sie vor Gericht erscheinen.

Der Hubschrauber wurde bereits Sonntagfrüh in die Türkei zurückgeschickt. Nach Angaben der Nachrichtenagentur ANA sagte der griechische Regierungschef Alexis Tsipras seinem türkischen Kollegen Erdogan in einem Telefonat, es werde schnell und gemäß internationalem Recht über die Asylanträge der Soldaten entschieden. Wie aus Regierungskreisen in Athen verlautete, könnte das Verfahren bis zu zwei Wochen dauern.

Binali Yildirim, Bekir Bozdag, Hulusi Akar, Efkan Ala, Fikri Isik

APA/AFP/Adem Altan

Premier Yildirim (Mi.) sprach von einem „Tag der Demokratie“

Premier Yildirim sprach am Samstag von einer „Parallelstruktur“ in den Streitkräften, aus der heraus der Putschversuch unternommen worden sei. Die Angehörigen dieser Gruppe seien mittlerweile in den Händen der Justiz. Sowohl Yildirim als auch später Erdogan brachten die 2004 abgeschaffte Todesstrafe ins Gespräch. Die sei zwar in der Verfassung nicht vorgesehen, man werde aber Gesetzesänderungen prüfen, um zu verhindern, dass sich ein Putschversuch wiederhole.

Soldaten ergeben sich Polizisten

Reuters/Reuters TV

Soldaten, die sich ergeben

Parteien verurteilten Putsch geschlossen

Am Samstag kam im bei Kämpfen während des Putschversuchs beschädigten Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Ankara die türkische Nationalversammlung zu einer Sondersitzung zusammen. Die Abgeordneten verharrten in einem Moment der Stille, bevor die Nationalhymne abgespielt wurde, wie auf Fernsehbildern zu sehen war. Ministerpräsident Yildirim betrat unter dem Applaus der Abgeordneten den Sitzungssaal. Er sagte, die Putschisten seien „Terroristen“ und keine Soldaten.

Die vier wichtigsten Parteien im Parlament (AKP, CHP, HDP und MHP) verurteilten anschließend in einer gemeinsamen Erklärung den Putschversuch. Diese Einigkeit sei von unschätzbarem Wert für die Demokratie in der Türkei, heißt es in dem Papier, das vor den Abgeordneten verlesen wurde.

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