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Aufstieg zur Regionalmacht

Der afrikanische Wüstenstaat Tschad zählt zu den fünf ärmsten Ländern der Welt, zwei Drittel der 13,2 Mio. Einwohner sind Analphabeten. Die Lebenshaltungskosten sind so hoch, dass sich viele nur eine Mahlzeit pro Tag leisten können. Dennoch entwickelt sich das autoritär regierte Land zu einer neuen Regionalmacht - gestützt von den USA und Frankreich.

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Machte der Binnenstaat lange durch Instabilität auf sich aufmerksam, spielt der Tschad inzwischen eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Islamismus. Die Bedrohung durch die islamistische Terrorgruppe Boko Haram, die von Nigeria ausgehend einen islamistischen Gottesstaat errichten möchte, stärkt die Position des Tschad. Das Land entpuppt sich als relativ stabil zwischen dem vom Islam dominierten nördlichen Teil und dem animistisch und christlich geprägten südlichen Teil Afrikas.

Tschadische Soldaten

AP/Jerome Delay

Die tschadischen Elitetruppen werden von den USA und Frankreich unterstützt

Die - im Gegensatz zur regulären Armee - von den USA und Frankreich gut ausgestatteten Elitetruppen des Tschad führen seit Anfang 2015 die regionale Allianz gegen Boko Haram in Nigeria, Niger und Kamerun an. Die tschadischen Kämpfer gelten in der Region als erfahren. Auch Frankreich setzte auf deren Hilfe, als es sich 2013 der Offensive der Dschihadisten in Mali entgegenstellen wollte. N’Djamena, die Hauptstadt des Tschad, ist inzwischen Hauptquartier der Nachfolgeoperation.

Vernetzer Zentralafrikas

Diese Engagements stärken das Ansehen des seit 26 Jahren autoritär regierenden Präsidenten Idriss Deby Itno, der damit auf Augenhöhe mit anderen Staaten wie dem wirtschaftlich stärkeren Nigeria und Südafrika sowie den ebenfalls militärisch aktiven Staaten Algerien, Ägypten und Senegal kommen will. Auch Deby baut seine Macht vor allem auf militärische Stärke und Diplomatie, um seinem Regime Legitimität zu geben. Zusätzlich strategischen Auftrieb bekam sein Land durch mehrere Mitgliedschaften in internationalen Organisationen wie etwa die Übernahme des Vorsitzes der Afrikanischen Union (AU) Anfang des Jahres.

Eine Landkarte zeigt den Tschad und dessen Nachbarländer

Map Resources/APA/ORF.at

Von 2014 bis 2016 ist der Tschad zudem nicht ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat - mit Verweis auf seine „friedensstiftende Rolle“. Durch die Mitgliedschaft und Beobachterrolle bei afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaften etablierte sich der Tschad in der jüngsten Vergangenheit als Vermittler und Vernetzer in Zentralafrika. Konkurrenz von Nachbarstaaten hat der Tschad nicht wirklich - viele sind von innenpolitischen Spannungen geprägt wie etwa die Demokratische Republik Kongo (DRC), die Zentralafrikanische Republik und Burundi.

Durch Putsch an die Macht

Der als Sohn eines Schafhirten aufgewachsene und in Frankreich zum Kampfpiloten ausgebildete Präsident Deby wurde erst im April mit über 61 Prozent zum fünften Mal wiedergewählt - ein von der Opposition beanstandetes Ergebnis. Bei der Wahl traten insgesamt 13 - allerdings wenig aussichtsreiche - Oppositionskandidaten an. 1990 hatte Deby seinen Vorgänger, den kürzlich wegen Kriegsverbrechen verurteilten Ex-Diktator Hissene Habre, aus dem Amt geputscht und sich seither an der Macht gehalten.

Der Präsident des Tschad, Idriss Deby

AP/Andrew Harnik

Präsident Deby wurde in Frankreich zum Kampfpiloten ausgebildet

Debys wirtschaftliche Bilanz ist mehr als mager. Die 2003 begonnene Ölförderung kommt kaum dem Land zugute. Der Großteil der Bevölkerung wurde in den vergangenen Jahren immer ärmer, kostet doch auch das militärische Engagement große Summen, die bei den Investitionen in Bildung und Gesundheit fehlen. Umso entscheidender für sein Überleben sind sein militärisches Engagement und die Festigung seiner Position durch regionale und internationale Akzeptanz. Denn Frankreich und die USA halten an Deby fest - trotz wiederholter Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen durch NGOs.

Festnahmen wegen Stimmen für Oppositionelle?

Im Land selbst wächst allerdings der Unmut über Debys Regime. Mit kritischen Stimmen gehen seine Vertrauten nicht zimperlich um. Demonstrationen werden oft mit exzessiver und nicht notwendiger Gewalt auseinandergetrieben, kritisierte etwa Amnesty in seinem aktuellen Jahresbericht zum Tschad. Sicherheitskräfte würden oft willkürlich Verhaftungen vornehmen.

Im Zuge der Präsidentenwahl wurde etwa bekannt, dass über 40 Sicherheitskräfte als vermisst gelten. Sie sollen bei der Wahl nicht für Deby, sondern für einen oppositionellen Kandidaten gestimmt haben. Ihr Mann, ein Militärangehöriger, sei wählen gegangen und dann verschwunden, erzählt etwa eine Frau gegenüber der Deutschen Welle. Bei seiner Arbeit habe man ihr gesagt, „dass er nach der Wahl festgenommen wurde, weil er für einen Oppositionellen gestimmt habe“. Die Regierung weist jegliche Anschuldigung zurück. Von vielen Vermissten fehlt bisher aber jede Spur.

Frankreich stützte Deby

Den guten Beziehungen Debys insbesondere zu Frankreich tut das aber keinen Abbruch. Aus Paris ist kein Wort dazu zu hören - genauso wenig wie zu von Menschenrechtsgruppen kritisierten brutalen Übergriffen der tschadischen Elitetruppen. Vielmehr wird Deby gestützt. Oft schon musste sich Deby Putschversuchen und Aufständen stellen. Ohne die logistische Unterstützung aus Frankreich hätte Deby etwa einen Putschversuch 2008 nicht überstanden, analysierte die Politologin Delphine Lecoutre in „Le Monde Diplomatique“.

Die gekidnappte junge Frau namens Zouhoura bei einer Pressekonferenz

APA/AFP/Alain Jocard

Die Vergewaltiger der 17-jährigen Zouhoura wurden doch verurteilt

Offen ist, was stärker ist - der Unmut in der Bevölkerung oder die außenpolitischen Erfolge Debys. Für Thibaud Lesueur, Analyst bei der International Crisis Group, ist nicht Boko Haram die größte Bedrohung für den Tschad, „sondern eine nationale politische Krise, die fruchtbaren Boden für Gewaltakteure einschließlich Dschihadisten schaffen würde“.

„Es reicht“

In den vergangenen Monaten rund um die Wahl wuchs der Unmut und der nach außen getragene Protest ungewöhnlich stark an - etwa mit Plattformen wie „Ca suffit“ („Es reicht“) und „Trop, c’est trop“ („Zu viel ist zu viel“). Für zahlreiche Demonstrationen sorgte etwa der Fall Zouhoura. Die inzwischen 17-jährige Tochter eines Oppositionsführers wurde Anfang des Jahres von einer Gruppe junger Männer vergewaltigt - Söhne von Beamten und Generälen.

Vor allem junge Menschen gingen auf die Straße, um für die Bestrafung der Täter zu demonstrieren. Ein Student wurde von der Polizei erschossen. Monatelang schien eine Verurteilung aussichtslos. Anfang Juli wurden nun doch sieben Täter zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Deby versprach „Gerechtigkeit und dass sich so etwas nie mehr wiederhole“.

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