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Regeln „streng nach Wortlaut“ auslegen

Seit 1. Juli, Punkt 12.00 Uhr, steht fest, dass die Stichwahl für das Bundespräsidentenamt zwischen dem von den Grünen unterstützten Alexander Van der Bellen und dem unterlegenen Norbert Hofer (FPÖ) wiederholt werden muss. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) führte nach Bekanntgabe seiner Entscheidung eine Reihe von Gründen dafür an - Lehren für Runde drei inklusive.

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VfGH-Präsident Gerhart Holzinger hofft jedenfalls, dass mit dem Entscheid der Höchstrichter der „Schlendrian“ im Umgang mit den Auszählungsvorschriften ein Ende haben wird. Diese müssten in Hinkunft auf Punkt und Beistrich eingehalten werden. „Das ist ja nicht so schwer“, sagte er vor Journalisten.

„Wahlrechtsbestimmungen dienen insgesamt dem Ziel, die Stimmabgabe zweifelsfrei zu dokumentieren und damit verbundene Unklarheiten möglichst zu beseitigen.“ Und: „Als Formalvorschriften sind solche Bestimmungen streng nach ihrem Wortlaut auszulegen.“

„Ab sofort“ keine Weitergabe von Ergebnissen

Er hoffe „sehr, dass dieses Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs dazu führt, dass man auf allen Ebenen, die vorhanden sind, diese Gesetze wirklich ernst nimmt“. Dass Ergebnisse nicht mehr vorzeitig an Medien oder Forschungsinstitute weitergegeben werden dürfen, gelte „ab sofort“. Die Frage, ob der Gerichtshof auch alleine deswegen die Wahl aufgehoben hätte, bejahte Holzinger.

Bundesweite Wiederholung

Wörtlich sagte der VfGH-Präsident: „Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof hat in diesem Punkt ergeben, dass die Bundeswahlbehörde am Wahltag (...) etwa ab 13.00 Uhr, also vor Wahlschluss, Wahlergebnisse systematisch auf elektronischem Weg an ausgewählte Empfänger, insbesondere an Medien und Forschungsinstitute weitergegeben hat. Diese Veröffentlichung verstößt gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl.“

Holzinger war in seinem Statement zur Entscheidung der 14 Höchstrichterinnen und Höchstrichter rasch auf den Punkt gekommen. Diese mache „niemanden zum Verlierer und niemanden zum Gewinner“, sagte er einleitend und stellte dann fest: „Unjuristisch ausgedrückt bedeutet das, die Stichwahl muss in ganz Österreich zur Gänze wiederholt werden.“ Die Wahlwiederholung solle allein dem Ziel dienen, „das Vertrauen in unseren Rechtsstaat und damit in unsere Demokratie zu stärken“.

„Ausdrücklich“ keine Aussagen über Manipulationen

Holzinger sprach Verstöße bei der Handhabung der Briefwahlstimmen - auf die hatte sich die Beschwerde im Wesentlichen bezogen - in unterschiedlichen Bezirken an. Kuverts seien etwa zu früh geöffnet worden, „teilweise aufgrund rechtswidriger Ermächtigungen“.

Ergebnis und Argumente

Van der Bellen hatte die Stichwahl am 22. Mai mit einem Vorsprung von nur 30.863 Stimmen vor Hofer gewonnen. Die FPÖ hatte nach der knappen Niederlage ihres Kandidaten die Wahl wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten in 94 von 117 Bezirkswahlbehörden angefochten. Das Höchstgericht musste prüfen, ob die Wahl trotz formaler Mängel gültig war. Es wurden 67 Zeugen befragt.

Wann und wie Briefwahlstimmen auszuzählen sind, ist in Paragraf 14a des Wahlrechtsänderungsgesetzes 2015 festgelegt - das Öffnen etwa darf erst ab 9.00 Uhr am Tag nach der Wahl erfolgen. Einleitend ging der VfGH-Präsident recht ausführlich auf die Rolle der Wahlleiter bzw. Wahlbeisitzer ein. „Ausdrücklich“ halte das Höchstgericht fest, so Holzinger, dass keiner der befragten Zeugen von Manipulationen berichtet habe.

Die Entscheidung des VfGH wurde vorerst von Holzinger nur mündlich bekanntgegeben. Für die Entscheidung wäre eigentlich nach der vorgeschriebenen Vierwochenfrist bis 6. Juli Zeit gewesen.

Warum nicht nur teilweise?

Die FPÖ hatte den Wahlgang angefochten. Das Höchstgericht verhandelte seit letzter Woche insgesamt fünf Tage. Der VfGH-Präsident betonte nun: Die festgestellten Regelwidrigkeiten hätten mehr Stimmen betroffen als die, die den Unterschied zwischen Hofer und Van der Bellen ausmachten - folglich habe der VfGH so zu entscheiden gehabt, wie er entschied.

Von den bei der Briefwahl festgestellten Unregelmäßigkeiten waren laut Holzinger 77.926 Stimmen betroffen. Bei einem Vorsprung Van der Bellens auf Hofer von nur 30.863 Stimmen ist damit ein Einfluss auf das Wahlergebnis denkbar. Dass nun die Wahl in ganz Österreich wiederholt werden muss, begründete Holzinger damit, dass eine Wiederholung nur in den von den Unregelmäßigkeiten bei der Briefwahl betroffenen Bezirken technisch nicht möglich wäre. Gegen das System der Briefwahl an sich hegt der VfGH keine Bedenken. Holzinger schloss mit den Worten, dass das Verfahren „einzigartig“ und für das Höchstgericht eine Herausforderung gewesen sei.

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