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Die „Toaster-Verschwörung“ in der EU

Das Match zwischen dem „Brexit“- und dem „Bremain“-Lager vor dem britischen EU-Austritt-Referendum am 23. Juni geht in die Endphase, und die Bandagen werden härter. In Brüssel bemüht man sich nach Kräften, das Pro-EU-Lager zu unterstützen, auch indem man fieberhaft versucht, negative Mythen aus der Welt zu schaffen.

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69 Prozent der Briten sind sich unsicher, welche Folgen ein „Brexit“ haben würde, so das Ergebnis einer Erhebung des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts NatCen Social Research. Der Boden für die Kampagnen ist daher fruchtbar, die Verwirrung wird aber nicht weniger - denn Gegner wie Befürworter werfen mit Argumenten um sich, die hauptsächlich aus eingängigen Schlagworten bestehen, jedoch kaum mit Fakten untermauert werden.

Flyer von "Brexit"-Befürwortern

picturedesk.com/CTK/Libor Sojka

Argumente haben beide Seiten viele - Fakten dazu oft weniger

Dass die EU-Gesetzgebung recht komplex und oft schwer zu durchschauen ist, spielt den Austrittsbefürwortern in die Hände, die mit recht lebensnahen Beispielen gegen die übertriebene Regulierungswut der EU Stimmung machen. Das, was sich über Soziale, aber auch klassische Medien und an den Stammtischen oft verbreitet, ist oft bis zur Absurdität übertrieben, manchmal schlichtweg falsch. Britische Medien wie die BBC und der „Guardian“ versuchen, in täglichen Reality-Checks die Behauptungen von Politikern und den beiden Lagern auf Fakten und juristische Sachlage zu prüfen.

Erinnerungen an Blutschokolade und Läusejoghurt

Aber auch EU-Kommission und EU-Parlament betreiben Websites speziell auf Großbritannien ausgerichtet, auf denen man sich im Detail den in den Medien verbreiteten Halbwahrheiten und Falschmeldungen widmet. Im Wesentlichen ist das für die Institutionen in Brüssel nichts Neues - man erinnere sich an Meldungen über Blutschokolade und Läusejoghurt vor der österreichischen Abstimmung über den EU-Beitritt.

Eine "Brexit"-Gegnerin verteilt Flyer

Reuters/Kevin Coombs

Auch die „Bremain“-Bewegung rührt eifrig die Werbetrommel

Wenig überraschend sind es aber in jedem Land andere Themen, mit denen sich Stimmung machen lässt - und so findet sich auf den EU-Seiten zu den angeblich durch die EU bedrohten Produkten und Gepflogenheiten so gut wie alles, was den britischen Nationalstolz und Lebensstil ausmacht.

Doppeldeckerbusse als mögliches EU-Opfer?

Doppeldeckerbusse und Oldtimer auf den Straßen, bestimmte politisch inkorrekte Ausdrücke beim Bingo, Teeausschank bei Cricket-Matches, Bardamen mit tiefen Dekolletes, britische Würstel und die lockigen Perücken der Anwälte vor Gericht - das alles wurde in den vergangenen Jahren mehr oder weniger erfolgreich von britischen Medien zu potenziellen Opfern der „bösen“ EU erklärt.

Besonders Schotten könnten sich, wenn sie alles glauben würden, was bereits herbeigeschrieben wurde, fürchten: Der Schottenrock sollte etwa als Damenbekleidung und der schottische Whisky Scotch als gefährliche Chemikalie eingestuft, der Dudelsack aus Lärmschutzgründen verboten werden.

Dudelsackspieler vor den Houses of Parliament

Reuters/Suzanne Plunkett

Was hat die EU gegen Dudelsäcke und Schottenröcke?

Selbst vor der Queen mache Brüssel nicht halt, so die unter EU-Gegnern kursierenden Gerüchte: Ihre Lieblingshunderasse, die Corgis, dürften demnach in der EU nicht mehr gezüchtet werden, und sie müsste sich - wegen strikterer Arbeitszeitregelungen - möglicherweise manchmal selber den Tee zubereiten.

„Tea Time“ und englisches Frühstück in Gefahr

Jüngste Theorie einiger britischer Medien: Die EU-Kommission plane eine strenge Verordnung, mit der es Wasserkochern und Toastern an den Kragen gehe. „Innerhalb weniger Monate nach dem Referendum“ sei ein Verbot von zahlreichen Haushaltsgeräten geplant, die energieverschwendend seien, berichtete die Tageszeitung „Telegraph“ - und fragte seine Onlineleser in einer Umfrage, was sie davon hielten. 20.000 User stimmten ab - und 65 Prozent hielten den kolportierten Vorschlag für einen „Angriff auf das britische Frühstück“.

Toaster mit zwei Toastscheiben

Fotolia/ringele

Die „Brexit“-Befürworter in Großbritannien warnen seit Wochen, dass eine neue Ökorichtlinie das Aus für Toaster und elektrische Teekessel bedeuten könnte

„Die Kommission hält keine Vorschläge zurück. Wir halten uns an die politische Agenda und die zehn Prioritäten, die sich die Juncker-Kommission gesetzt hat. Wir setzen unser Jahresprogramm um“, so Kommissionssprecher Margaritis Schinas, auf das Thema angesprochen.

Verschwörungstheoretiker in Großbritannien munkeln außerdem von einer eigenen „Toasterabteilung“, die sich genau damit befasse, wie man den „Brexit“-Befürwortern möglichst wenig Angriffsfläche biete. Auch hier winkte Schinas ab: Es gebe zwar eine „Taskforce zu strategischen Fragen zum britischen Referendum“. Die habe aber nur beratende Funktion und würde sich sicher nicht mit „in Verbindung zu Toastern stehenden Aspekten“ befassen.

EU-Spitzen wissen um ihre Unbeliebtheit

Dass man in Großbritannien selbst derzeit wenig zu einem Pro-EU-Voting beitragen kann, dessen sind sich die Präsidenten von EU-Kommission und -Parlament einig. Sowohl Jean-Claude Juncker als auch Martin Schulz warnen vor einem Austritt. Wenn die Briten glauben würden, der „Brexit“ würde kaum etwas ändern, dann seien sie auf dem Holzweg, so etwa Juncker: „Wer den Tisch verlässt, darf nicht mehr an diesem Tisch essen.“ Wie auch EU-Ratspräsident Donald Tusk haben sich die beiden seit Wochen nicht mehr in Großbritannien blicken lassen: Aus Angst, dass ein Besuch sich negativ auf das Referendum auswirken könnte.

Sophia Felbermair, ORF.at, aus Brüssel

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