Regierung gegen westlichen Einsatz
Den langsamen Zerfall Libyens hat sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) schon länger zunutze gemacht. Das Land gilt als Zufluchtsort für IS-Kämpfer. Der IS in Libyen kontrollierte bisher auch einen Küstenstreifen um Sirte, Heimatstadt des ehemaligen Machthabers Muammar al-Gaddafi, und errichtete dort Ausbildungslager. Doch nun könnte die libysche Armee vor einem bedeutenden Erfolg stehen.
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Im Zuge einer großangelegten Offensive zu Land, Wasser und in der Luft seien Soldaten am Donnerstag bis ins Zentrum der Hafenstadt vorgerückt, wie der Militärsprecher Mohammad Ghassri sagte. Die USA bestätigten den Vormarsch. Laut Ghassri dauerten die Kämpfe im Zentrum von Sirte an, vor allem rund um das Konferenzgebäude, in dem die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) ihre Kommandozentrale hat. „Der Einsatz wird nicht mehr lange dauern“, sagte Ghassri. „Ich denke, wir können die Befreiung von Sirte in zwei bis drei Tagen verkünden.“
Zuvor hatte die Marine der neuen Einheitsregierung bereits die Küste von Sirte unter ihre Kontrolle gebracht und den IS-Kämpfern damit den einzigen noch offenen Zugang zur Stadt versperrt. Die Dschihadisten könnten somit nicht mehr über das Meer vor der Offensive fliehen, so Marinekommandant Rida Issa.
Luftangriffe auf IS-Stellungen
In der Stadt 450 Kilometer östlich von Tripolis griffen Kampfflugzeuge IS-Stellungen an. Diese zielten nach Militärangaben auf das Konferenzzentrum Ouagadougou, in dem der IS eine Kommandozentrale eingerichtet hat. Über die Gesamtsituation in Sirte herrschte jedoch Unklarheit. In der Stadt befinden sich keine unabhängigen Journalisten.
Kämpfer der neuen Einheitsregierung hatten zuvor zwei Kasernen 20 Kilometer vor der Küstenstadt vom IS zurückerobert. Das gab die Einheitsregierung auf ihrer Facebook-Seite bekannt. Bei den Kämpfen, die von Luftangriffen unterstützt wurden, gab es den Angaben zufolge mindestens sechs Tote und 30 Verletzte.

APA/AFP/Abdullah Doma
Ein Vertreter der libyschen Truppen erzählt über den Vorstoß gegen den IS
Die Tagreft-Kaserne sei nun unter „vollständiger Kontrolle“ der Regierung. Minen auf dem Gelände müssten noch entschärft werden. Außerdem hätten die Regierungstruppen die Al-Dschalet-Kaserne, eine Brücke und eine Kreuzung am westlichen Eingang nach Sirte erobert. Mit der Regierung verbündete Milizen seien zudem in einige Viertel der Stadt eingedrungen, ergänzte ein Militärsprecher.
Diplomaten: Tausende Dschihadisten in Libyen
Die von der UNO unterstützte Regierung der nationalen Einheit ist seit Ende März im Amt. Sie versucht derzeit, ihre Macht in der Hauptstadt Tripolis zu etablieren und das gesamte libysche Staatsgebiet unter ihre Kontrolle zu bekommen. Sie soll zwei rivalisierende Führungen im Land ersetzen. Sirte liegt 450 Kilometer östlich von Tripolis.

APA/ORF.at
Hatte es über Monate so ausgesehen, als sei der IS nicht aufzuhalten, konnten Regierungstruppen zumindest in den vergangenen Tagen den IS in die Defensive drängen. Einflussreiche Milizen, die sich der neuen Regierung anschlossen, konnten Dschihadisten auch in anderen Gebieten in Libyen zurückdrängen. Diplomaten gingen zuletzt davon aus, dass sich in Sirte und Umgebung Tausende Dschihadisten aufhalten. Der libysche IS-Ableger gilt als mächtigster Außenposten der Dschihadisten und als Sammelbecken für Kader aus dem IS-Kerngebiet in Syrien und dem Irak.
Regierung lehnt Militäreinsatz ab
Berichten zufolge befinden sich seit einiger Zeit westliche Militärangehörige im Land. Wie sie in den Kampf eingebunden sind, ist allerdings weitgehend unklar. Westliche Militärmächte planten Berichten zufolge einen Einsatz in Libyen, um die Ausbreitung des IS zu stoppen. Das lehnt Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch, der der neuen Einheitsregierung vorsteht, allerdings ab.
Der „vollständige Sieg“ gegen den IS sei nahe, meinte Sarradsch erst vor wenigen Tagen. Anders als von manchen Medien behauptet wünsche sich seine Regierung keine Kampfhilfe durch Bodentruppen und auch keine Luftangriffe ausländischer Mächte. Vielmehr würde Unterstützung in Form von Satellitenaufklärung, Geheimdienstinformationen und „technischen Hilfen“ gebraucht.
Schlüsselstaat in Flüchtlingskrise
Ein gutes Einvernehmen mit Libyen ist insbesondere für die EU nicht unwesentlich, ist das Land doch mit dem weitgehenden Aus der Flüchtlingsroute über den Balkan als Schlüsselstaat der Flüchtlingskrise in den vergangenen Monaten wieder stärker im Fokus. Tausende Menschen warten in Libyen auf die Weiterfahrt nach Europa. Allein im vergangenen Jahr kamen über 150.000 Flüchtlinge von dort nach Europa. Die EU befürchtet zudem, dass Extremisten von Sirte aus Kämpfer und Attentäter über das Meer nach Europa schleusen könnten.
Die EU hatte erst vergangene Woche in der Flüchtlingsfrage unkooperativen Drittländern mit Strafen gedroht, will aber zugleich ihr Engagement in Libyen erhöhen. Sarradsch gibt sich gegenüber der EU hart: „Wir werden nicht akzeptieren, dass die EU Migranten zu uns zurückschickt. Europa muss Wege finden, sie in ihre Heimatländer zurückzubringen. Sie können nicht bei uns leben.“
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