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Für Kurzaufenthalte von bis zu 90 Tagen

Am Mittwoch wird die EU eine Empfehlung aussprechen, die nachhaltige Folgen haben wird: Visafreiheit im Schengen-Raum für türkische Staatsbürger. Das wird nicht ohne Vorbehalt geschehen, denn noch hat die Türkei nicht alle der 72 Bedingungen für die Aufhebung des Visazwangs erfüllt. In Stein gemeißelt ist noch nichts.

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Zwar soll die Türkei einem Bericht der deutschen Tageszeitung „Die Welt“ zufolge mehr Zeit bekommen, um die Voraussetzungen für die Visafreiheit zu erfüllen. Der von der EU-Kommission für Mitte Juni festgelegte Termin bedeutet aber auch eine Verzögerung, bis der Abschlussbericht endgültig vorliegt. Erst mit diesem werde entschieden, ob die notwendigen Kriterien erfüllt seien, berichtete die „Welt“ (Montag-Ausgabe).

72 Anforderungen in fünf Kategorien

Immerhin ist die Visafreiheit das zentrale Versprechen, das die EU der Türkei im Gegenzug für die Kooperation in der Flüchtlingsfrage machte. Denn mit Hilfe der Türkei will die EU die Flüchtlingskrise in den Griff bekommen, und dafür verlangt Ankara als Gegenleistung, dass das Verfahren zur Visaliberalisierung zu beschleunigt wird. Dabei ist die türkische Regierung überzeugt, alle nötigen Voraussetzungen zu erfüllen.

Außerdem argumentiert sie damit, dass die Visafreiheit für den Schengen-Raum ohnehin nur für Kurzaufenthalte von bis zu 90 Tagen gelten soll. Die 72 Bedingungen, die es zu erfüllen gilt, werden in fünf Kategorien geteilt: Dokumentensicherheit, Migrationssteuerung, öffentliche Ordnung und Sicherheit, Grundrechte und Rückübernahme irregulär Eingereister. Die türkischen Behörden müssen etwa garantieren, dass die von ihnen ausgegebene Pässe europäischen Sicherheitsstandards genügen.

Einreise auch ohne biometrische Pässe?

Allein: Die deutsche „Bild“-Zeitung (Dienstag-Ausgabe) berichtete, dass bis Jahresende auch türkische Staatsbürger mit einem herkömmlichen, also einem ohne biometrische Sicherheitsmerkmale ausgestatteten Pass ohne Visum in die Europäische Union einreisen können. Dabei verlangte die EU von Ländern, denen Visafreiheit gewährt wird, in letzter Zeit immer biometrische Pässe, etwa im Falle Albaniens und Serbiens.

Jedoch besitzen nur rund zehn Millionen der 78 Millionen Einwohner der Türkei überhaupt einen Reisepass, und die Herstellung biometrischer Pässe ist erst jüngst angelaufen. Ein solcher wird ohnehin teuer für türkische Bürger: Ein entsprechendes Dokument mit einer Gültigkeitsdauer von bis zu zehn Jahren kostet umgerechnet knapp 200 Euro.

Visafreie Einreise in Türkei für alle EU-Bürger

Insgesamt erfüllte die Türkei EU-Kreisen in Brüssel zufolge zuletzt 64 der 72 von der EU verlangten Voraussetzungen. Erst jüngst begrüßte die EU-Kommission weitere Fortschritte in den Verhandlungen mit Ankara. So habe die türkische Regierung erst am Montag per Verordnung festgelegt, dass EU-Bürger aus allen 28 Mitgliedsstaaten ohne Visum in die Türkei einreisen dürfen, sagte ein Sprecher.

Allerdings stellte auch die türkische Regierung die Entscheidung unter Vorbehalt: Nach einer Veröffentlichung im Staatsanzeiger gilt sie erst ab dem Termin, an dem auch die EU den Visazwang für Türken aufhebt. Der EU-Kommission zufolge können Bürger aus elf EU-Ländern bisher nicht ohne Visum in die Türkei einreisen.

Als besonders problematisch in den Gesprächen mit Ankara gilt das Thema Zypern. Die Mittelmeer-Insel ist seit 1974 geteilt, als türkische Truppen den Nordteil als Reaktion auf einen Putschversuch besetzten. Ankara erkennt die zypriotische Regierung und bisher auch von ihr ausgegebene Pässe nicht an.

Flüchtlingspakt als zentraler Bestandteil

Letztlich müssen der Empfehlung neben der EU-Kommission die EU-Mitgliedsstaaten und das Europaparlament zustimmen. Sie alle sind angehalten, sich an den Fakten zu orientieren - dabei gibt es freilich in vielen Bereichen jede Menge Interpretationsspielraum. Wesentlich ist nun, dass der Flüchtlingspakt zwischen der Türkei und der EU vom 18. März zentraler Bestandteil der Umsetzung der Visafreiheit wird.

Eine Exit-Strategie gibt es indes auch schon: Deutschland und Frankreich wollen die Regelung bereits im Vorfeld verschärfen. Die Pflicht zum Visum soll rasch und unkompliziert wieder eingeführt werden können - zum Beispiel wenn gehäuft gefälschte Dokumente aufgefunden werden oder ein Anstieg organisierter Kriminalität beobachtet wird.

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