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Risiko- statt Vorsorgeprinzip

Die US-Regierung setzt Europa bei den Verhandlungen über das Transatlantische Handelsabkommen (TTIP) deutlich stärker und weitreichender unter Druck als bisher bekannt. Das geht aus Abschriften geheimer Verhandlungsdokumente hervor, die „Süddeutscher Zeitung“ („SZ“), WDR und NDR vorliegen.

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Washington drohe damit, Exporterleichterungen für die europäische Autoindustrie zu blockieren, um im Gegenzug zu erreichen, dass die EU mehr US-Agrarprodukte abnimmt, berichtete die „SZ“. Gleichzeitig sei die US-Regierung gegen das grundlegende Vorsorgeprinzip beim EU-Verbraucherschutz, heißt es in dem Bericht.

USA gegen öffentliche Schiedsgerichte

In Europa sind Produkte nur erlaubt, wenn sie für Mensch und Umwelt nachweislich unschädlich sind. Die USA wollen laut Bericht Produktverbote zum Schutz der menschlichen Gesundheit aber nur zulassen, wenn diese wissenschaftlich belegt seien, berichteten „SZ“, WDR und NDR weiter. Dadurch dürften in Europa auch umstrittene und bisher in vielen Ländern nicht zugelassene Produkte wie genmanipulierte Pflanzen und Lebensmittel so lange angebaut und konsumiert werden, bis ihre Schädlichkeit nachgewiesen sei, heißt es im Bericht. In den USA kommt es infolge dieses Risikoprinzips oft erst zu Verboten, wenn Menschen zu Schaden gekommen sind.

Die Dokumente offenbaren den Angaben zufolge zudem, dass sich die USA dem dringenden Wunsch der europäischen Verhandler verweigern, die umstrittenen privaten Schiedsgerichte für Konzernklagen durch ein öffentliches Modell zu ersetzen. Sie haben stattdessen einen eigenen Vorschlag gemacht, der bisher unbekannt war.

Greenpeace will Dokumente veröffentlichen

Greenpeace ist nach eigenen Angaben im Besitz der Originale. Mehrere mit den Verhandlungen vertraute Personen bestätigten den Medien zufolge, dass es sich bei den Dokumenten um aktuelle Papiere handelt. Es soll sich um 13 Vertragskapitel handeln, die rund die Hälfte des gesamten Abkommens darstellen sollen. Sie zeigten den Stand vor der am Freitag abgeschlossenen 13. Verhandlungsrunde. Die Umweltschutzorganisation veröffentlichte die knapp 250 Seiten starken Unterlagen am Montag und stellte sie auch online.

Verhandlungen seit Jahren geheim

Mit der Veröffentlichung will Greenpeace einen Einblick in den Verhandlungsstand geben. Während die EU ihre Vorschläge veröffentlicht, beharren die USA bisher auf Geheimhaltung ihrer Positionen. TTIP-Gegner üben immer wieder scharfe Kritik an dieser Intransparenz. Aus den Verhandlungstexten lässt sich den Medien zufolge auch ablesen, wie verhärtet die Fronten sind. An vielen Stellen führen die Unterlagen die Positionen der USA und der EU gesondert an, ohne dass gemeinsame Formulierungen gefunden worden seien.

Seit 2013 verhandeln die EU und die USA über das Freihandelsabkommen, das den Warenfluss zwischen den beiden Partnern vereinfachen und Arbeitsplätze schaffen soll. Gegen TTIP gab es vor allem in Österreich, Deutschland und Frankreich regelmäßig Proteste. Die Kritiker sehen durch TTIP Gefahren für Rechtsstaat und Demokratie und befürchten den Abbau europäischer Standards.

Kritiker sehen sich bestätigt

Mit den Dokumenten könne endlich gezeigt werden, was bisher geheim gehalten wurde, so Alexander Egit, Geschäftsführer von Greenpeace Österreich, in einer Aussendung. Die schlimmsten Befürchtungen hätten sich dabei bestätigt. Das Freihandelsabkommen rüttle „an den Fundamenten des europäischen Umwelt- und Verbraucherschutzes“. Klaus Müller vom deutschen Bundesverband der Verbraucherzentralen sagte zur „SZ“, die Texte würden „so ziemlich alle unsere Befürchtungen bezogen auf das, was die US-Amerikaner bei TTIP in Bezug auf den Lebensmittelmarkt erreichen wollen“, bestätigen.

US-Präsident Barack Obama und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten bei ihrem Treffen in Hannover am Sonntag vergangener Woche zu Eile bei den TTIP-Verhandlungen gemahnt. Merkel betonte, das Freihandelsabkommen sei aus europäischer Perspektive sehr wichtig für das Wirtschaftswachstum in Europa. Obama brachte zwar seine Hoffnung zum Ausdruck, bis Anfang 2017 die Verhandlungen zu beenden. Er ging aber nicht von einer Ratifizierung des Abkommens aus. Das liege auch am US-Wahlkampf. Einen Tag vor dem Besuch Obamas hatten in Hannover Zehntausende gegen TTIP demonstriert.

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