Der Alltag im EU-Übersetzungsbüro
Sechs Kilometer außerhalb des Brüsseler EU-Viertels, in der Peripherie, liegt die Zentrale der Generaldirektion Übersetzung der EU-Kommission. Briefe, Aktennotizen, Ausschreibungen, Gesetzestexte und andere Dokumente laufen hier nonstop über die Schreibtische und Bildschirme, um in die 24 EU-Amtssprachen übersetzt zu werden.
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Die Österreicherin Sylvia Kreuzberger arbeitet als Übersetzerin in einem der drei Bürogebäude. Im achten, neunten und zehnten Stock des Hauses ist die deutschsprachige Abteilung untergebracht. Kreuzberger hat dort ihr eigenes kleines Büro mit Blick über die Stadt. Sie absolvierte bereits vor dem österreichischen EU-Beitritt ein Praktikum als Übersetzerin in der Kommission. „Nach dem Beitritt gab es dann eine Ausschreibung speziell für österreichische Übersetzer, seitdem bin ich hier beschäftigt.“

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Silvia Kreuzberger hat ihre Übersetzerlaufbahn mit einem Praktikum begonnen
Großteil der Ausgangsdokumente englisch
80 Prozent der Dokumente, die Kreuzberger ins Deutsche übersetzt, sind im Original englisch. Viele davon sind von Autoren mit anderen Muttersprachen verfasst worden - das merke man auch an der Qualität der Texte, sagt die Übersetzerin: „Manchmal ist es nicht so leicht durchzublicken, was gemeint ist.“ Deshalb gibt es im Haus ein Editing-Service - englischsprachige Mitarbeiter, die die ursprünglichen Texte verbessern, „dann fällt auch die Übersetzung leichter“. Fertig übertragene Texte werden dann nach dem Vieraugenprinzip von einem Kollegen zur Kontrolle noch einmal durchgelesen.
„Es gibt Vorlagen, die haben 40 Seiten oder mehr, manchmal sind es aber auch nur einseitige Texte“, beschreibt Kreuzberger ihren Arbeitsalltag. Jeder Auftrag hat eine Frist, wie sie ihre Arbeit einteile, sei ihr dabei selber überlassen. „Manchmal muss man dringendere Dinge einschieben, Pressemitteilungen oder Briefe etwa, da kommen oft auch mehrere Änderungsfassungen, die man sehr schnell bearbeiten muss.“
Genauigkeit hat Vorrang
Genauigkeit ist bei der Arbeit in den Sprachbüros Pflicht. Manchmal brauche man für eine Seite drei Stunden, weil viel nachzuschauen ist, manchmal müsse man bei Unklarheiten sogar den Auftraggeber kontaktieren. „Im Schnitt sollten wir sechs Seiten pro Tag übersetzen. Wenn die Matchrate höher ist, also die automatische Übersetzung sehr gut funktioniert, dann geht es viel schneller.“
Auf dem Schreibtisch in ihrem Büro hat Kreuzberger eine kleine Bibliothek an Wörterbüchern eingerichtet - „die verwende ich schon noch öfter, etwa um nachzuschlagen, woher ein Wort kommt. Aber es wird eigentlich immer weniger.“ Denn wie im Alltag haben auch bei den professionellen Übersetzern längst technische Hilfsmittel Einzug gehalten.

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Ganz ausgedient haben sie noch nicht, die physischen Wörterbücher
Google Translator auf professionell
„Wir arbeiten mit einem Übersetzungssystem und mit einer großen Datenbank, in der alle Texte abgespeichert werden und die als Bezugsquellen herangezogen“ werde, beschreibt Kreuzberger das System, das auf ihrem Bildschirm läuft. TraDesk, DGTVista, IATE, DocFinder, Multidoc 2.0, MT@EC - für Laien kryptische Abkürzungen bezeichnen die Programme, die den Mitarbeitern als Werkzeuge dienen und einen riesigen Fundus an Textbausteinen, Linksammlungen und Fachterminologie bieten. Im Prinzip arbeitet man hier hauptsächlich in einem Programm, das vergleichbar mit Tools wie Google Translator ganze Texte übersetzen kann - wesentlich ausgefeilter, versteht sich.
Von Maschinen ersetzt werden die Übersetzer trotzdem keineswegs, denn auch die Programme haben ihre Tücken, so Kreuzberger. „Man muss aufpassen - das ist natürlich eine Quelle für Fehler.“ Als sie in Brüssel anfing, gab es bereits einen Vorläufer des heutigen Programms, „da sind oft wirklich schreckliche Ergebnisse herausgekommen“. „Das ist schon sehr viel besser geworden. Und es ist wirklich hilfreich, etwa wenn es darum geht, einfach nur Listen zu übersetzen.“
Das Programm, mit dem man alle jemals in der EU übersetzten Dokumente nach Eingabe eines Schlagworts oder Textbausteins findet, zeigt auch an, wer für die jeweilige Übersetzung verantwortlich ist - „viele der Namen kennt man ja, da weiß man auch, wer verlässlich ist“, so Kreuzberger. In der Abteilung tausche man sich dann auch untereinander aus.
Österreichisches vs. deutsches Deutsch
Mit ihren Kollegen diskutiert Kreuzberger auch gerne über die deutsche Sprache - weil das österreichische Deutsch eben doch manchmal anders ist. Klassisches Beispiel: „Ich habe einem Kollegen geschrieben: Das geht sich aus bis Mittwoch. Da hatte er keine Ahnung, was ich meine. Heißt das: ‚Es klappt?‘ kam dann als Antwort.“
Ihr selbst sei sehr daran gelegen, dass Dokumente, die für Österreich bestimmt sind, auch in österreichischem Deutsch verschickt würden. „Ich bestehe auch sehr darauf, wenn etwas an österreichische Ministerien geht, dass man da zum Beispiel Jänner statt Januar schreibt oder Ähnliches. Maßnahmen setzen etwa ist ein österreichischer Ausdruck. Statt Haushalt schreiben wir für Österreich Budget.“ Richtlinien oder Dokumente würden dann doch immer in Bundesdeutsch verfasst. „Das Argument ist, dass das ja dann für 80 Mio. Menschen nicht verständlich ist - wobei es ja auch in Deutschland Unterschiede gibt.“
Geheim und streng geheim
Das Arbeitsaufkommen sei in den letzten Jahren höher geworden, aber aus Spargründen gelte die Devise, dass mit den vorhandenen Ressourcen auszukommen sei. Zusätzlich würden aber freie Mitarbeiter oder Agenturen engagiert. Freilich bekommen die nicht alle Dokumente zu sehen. Rechtstexte und -entwürfe etwa seien streng geheim, auch die Fragen der Aufnahmeprüfungen für Bewerber im EU-Betrieb.
Für manche Textsorten gibt es besondere Einschränkungen, die über die übliche Verschwiegenheitspflicht, Vertraulichkeitsstufen und Sperrfristen hinausgehen: „Es gibt Dokumente, die müssen in einem gesicherten Raum übersetzt werden, in dem keine Kommunikation nach außen möglich ist.“ Dass jemand versuche, über die Übersetzer an geheime Informationen zu kommen, sei ihr aber nicht bekannt: „Wir sind aber auch nicht im Schussfeld von Lobbyisten“, sagt Kreuzberger.
Spezialisierung erwünscht
Auch wenn viele Aufträge Routinearbeiten sind, empfindet die Übersetzerin ihren Job nach wie vor als sehr spannend. Jeder habe seine Spezialthemen. Früher habe sie viel Budgetbezogenes übersetzt, jetzt beschäftigt sich ihr Referat hauptsächlich mit Texten aus der Abteilung für Inneres und Justiz, mit Verwaltungsangelegenheiten und mit Texten der Personalauswahlagentur.
„Ich selbst habe mich im Bereich Asyl und Migration spezialisiert. Das ist im Moment natürlich ein heißes Thema.“ Solche Texte seien sehr spannend zu lesen, sagt Kreuzberger. „Wenn man Pressemeldungen übersetzt und dann in den Abendnachrichten einen Bericht darüber hört - das ist schon nicht so schlecht, wenn man weiß, dass man das gemacht hat.“
Sophia Felbermair, ORF.at, aus Brüssel
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