In zehn von elf Punkten schuldig
Der ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic (70) ist für Völkermord in Srebrenica im Osten Bosniens schuldig gesprochen und insgesamt zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Das Urteil verkündeten die Richter des UNO-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag letzte Woche.
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Der ehemalige Psychiater ist nach Ansicht des Gerichts einer der Hauptschuldigen des Massakers in der damaligen UNO-Schutzzone Srebrenica. Serbische Einheiten hatten im Juli 1995 8.000 muslimische Männer und Buben ermordet. Internationale Strafrechtler stuften das Massaker als Genozid ein - eine Einschätzung, der sich das UNO-Tribunal auch in seinem Urteil anschloss.
Schlimmstes Verbrechen
Völkermord (Genozid) ist der Rechtsbegriff für das schlimmste denkbare Verbrechen - Handlungen mit dem Ziel, ein Volk, eine Ethnie oder eine Glaubensgemeinschaft zu vernichten.
Vom Vorwurf des Völkermordes freigesprochen wurde Karadzic allerdings im Fall von sieben weiteren bosnischen Gemeinden: Kljuc, Sanski Most, Prijedor, Vlasenica, Foca, Zvornik und Bratunac. Es gebe nicht genügend Beweise, dass ein Völkermord stattgefunden habe, sagte Senatsvorsitzender O-Gon Kwon. Der ehemalige Präsident der bosnischen Serben habe in Teilen Bosniens aber Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangenen, darunter Mord, Massenvernichtungen und Zwangsumsiedlungen.
Verantwortlich für Belagerung Sarajevos
Darüber hinaus war Karadzic nach Auffassung des Tribunals für die Belagerung Sarajewos verantwortlich. Er habe sich damit Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Karadzic habe den Granatbeschuss der Stadt in Auftrag gegeben und Scharfschützen gegen die zivile Bevölkerung eingesetzt.

APA/AP/Robin van Lonkhuijsen
Das Gericht sprach Karadzic in zehn von elf Punkten schuldig
Während der vier Jahre andauernden Belagerung wurden nach Schätzungen der UNO etwa 11.000 Menschen getötet und 56.000 teilweise schwer verletzt. Unter den Toten befanden sich 1.600 Kinder. Erst nach über drei Jahren wurde nach dem Eingreifen der NATO im Oktober 1995 ein Friedensvertrag geschlossen. Offiziell beendet wurde die Belagerung im Februar 1996. Insgesamt wurde Karadzic in zehn von elf Anklagepunkten schuldig gesprochen.
Wegweisendes Urteil
Karadzic wollte nach Darstellung der Anklage ein ethnisch reines Großserbien erreichen. Gemeinsam mit dem damaligen jugoslawischen Staatspräsidenten Slobodan Milosevic und Ex-General Ratko Mladic habe er versucht, bosnische Muslime und Kroaten dauerhaft zu vertreiben. Karadzic ist der erste der drei, über den das Gericht in Den Haag auch tatsächlich ein Urteil spricht. Milosevic war zwar bereits 2001 festgenommen und nach Den Haag überstellt worden. Er starb aber noch während seines Prozesses 2006 in der Zelle an einem Herzinfarkt.
Ex-General Mladic war lange untergetaucht. Im Mai 2011 wurde er schließlich in Serbien verhaftet und dem Tribunal ausgeliefert. Die Festnahme galt als wichtige Voraussetzung der serbischen EU-Beitrittsverhandlungen. Sein Prozess soll noch in diesem Jahr zu Ende gehen. Auch ihm droht wegen des Völkermordes von Srebrenica eine lebenslange Haftstrafe.
Berufung angekündigt
Karadzics Anwalt kündigte unmittelbar nach der Urteilsverkündung an, dass sein Mandat dagegen Berufung einlegen werde. Karadzic war bis zum Schluss bei seiner Linie geblieben, das Massaker von Srebrenica herunterzuspielen. Die Vorwürfe seien übertrieben, es seien nur einige hundert Personen erschossen worden, sagte er dem Internetportal BRIN noch am Mittwoch. Im Laufe des Prozesses hatte Karadzic gesagt, dass auch jene Einwohner Srebrenicas zu den Opfern des Massakers gezählt worden seien, die in den Kämpfen mit bosnisch-serbischen Truppen ums Leben gekommen seien.
Eine eigene Version hatte Karadzic im Laufe des Prozesses auch zur 44-monatigen Beschießung der Hauptstadt Sarajevo durch bosnisch-serbische Truppen. Die 16.000 Todesopfer in Sarajevo seien „Kollateralopfer“ der Kriegshandlungen gewesen. Eine Erklärung hatte er auch für die zu Kriegsbeginn errichteten Konzentrationslager für Nicht-Serben bei Prijedor. Die Lager seien ein Versuch gewesen, diese Personen in „Schutz“ zu nehmen. Es gebe kein vernünftiges Gericht, das ihn verurteilen würde, hatte der einstige bosnisch-serbische Präsident noch am Tag vor der Urteilsverkündung gemeint.
Als Heilpraktiker untergetaucht
Er sei ein unrealistischer Optimist, für den die Republika Srpska einen hohen Preis habe zahlen müssen, sagte dagegen Karadzics ehemalige Stellvertreterin Biljana Plavsic gegenüber der Belgrader Tageszeitung „Blic“ vor der Urteilsverkündung. Die einzige Frau unter den Angeklagten des UNO-Kriegsverbrechertribunals hatte 2003 selbst auf schuldig plädiert und war darauf zu elf Jahren Haft verurteilt worden.
Karadzic befand sich zu diesem Zeitpunkt noch auf der Flucht vor der Strafverfolgung durch die UNO. Er war nach Kriegsende untergetaucht und erst im August 2008 in einem städtischen Bus in Belgrad festgenommen worden. In der serbischen Hauptstadt war er unter dem Namen „Dragan Dabic“ als Heilpraktiker tätig, verfasste Artikel und hielt sogar Vorträge.
Aufregung um Verhaftung von Del-Ponte-Sprecherin
Vor dem Gebäude des UNO-Kriegsverbrechertribunals hatten sich Dutzende Menschen zu einer Mahnwache versammelt. Darunter waren ehemalige Gefangene serbischer Lager und Bürger belagerter bosnischer Städte. Kurzzeitig kam es vor dem Gerichtsgebäude zu einem Handgemenge, als das Tribunal seine ehemalige Sprecherin Florence Hartmann festnehmen ließ.
Die Demonstranten versuchten, die Festnahme zu verhindern, und protestierten dagegen. Auch Hartmann wehrte sich schreiend, wurde aber von zwei Wachleuten in das Gerichtsgebäude gezerrt. Das Tribunal hatte Hartmann, die der ehemaligen UNO-Chefanklägerin Carla del Ponte zwischen 2000 und 2006 als Sprecherin diente, im Jahr 2009 zu einer Geldstrafe von 7.000 Euro verurteilt. Zur Begründung hieß es seinerzeit, Hartmann habe „wissentlich vertrauliche Informationen“ des Haager Gerichts weitergegeben.
Weil Hartmann das ihr auferlegte Bußgeld nicht bezahlte, verurteilten die Haager Richter sie in einem weiteren Verfahren im Jahr 2011 zu einer siebentägigen Haftstrafe. Sie wiesen die französischen Behörden an, Hartmann zu verhaften. Das Außenministerium in Paris lehnte das ab.
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