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„Österreicher sind alle zweisprachig“

Muss sich Österreich vor der medialen Welle an bundesdeutschen Ausdrücken fürchten – essen die Österreicher bald nur noch „leckere Plätzchen“? Im ORF-Dialogforum zum Thema „Wie lecker ist Österreichisch?“ gingen Sprachwissenschaftler der aktuellen Entwicklung der sprachlichen österreichischen Identität auf den Grund.

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Sie kamen nicht nur zu kulturpessimistischen und kleinkarierten Schlüssen, warum es sich gerade für ein kleines Land auszahlen würde, eine aktive Sprachpolitik zu betreiben. Den verstärkten Einzug hielt das Deutschlanddeutsch in Österreich ab den 1980er Jahren mit der Empfangbarkeit deutscher Fernsehender.

Typisch deutsche Ausdrücke verankerten sich zunehmend im österreichischen Sprachgebrauch. „Es ist eine Prestigefrage“, erklärte Rudolf Muhr, Sprachwissenschaftler der Universität Graz, das Phänomen. Aufgrund der Vielzahl an deutschen Medien übernehme die Bevölkerung deren Ausdrucksweise, weil sie aus dem Fernsehgerät komme und daher als höhere Sprache eingestuft werde.

Prof. Rudolf de Cillia (Universität Wien), Yasmo (Poetry Slammerin), Konrad Mitschka (ORF-Public-Value-Kompetenzzentrum)

ORF/Günther Pichlkostner

„Wenn man in der Unimensa ‚eine Cola‘ bestellt, outet man sich ganz klar als deutscher Numerus-clausus-Flüchtling", sagt die Poetry-Slammerin Yasmo

„Leckere Sahne“

Doch das Aufkommen der Deutschlandismen verärgert auch viele Österreicher. Sie befürchten, dass ihre Sprache verschwinde. „Die ‚leckere Sahne’ ist in jeder Sitzung Thema“, berichtete ORF-Publikumsrat Ilse Brandner-Radinger von Beschwerdeschreiben der Zuschauern. Die Abneigung gegenüber dem „Piefkinesischen“ führt Muhr auf eine natürliche Angst vor Neuem zurück: „Man ist mit Wörtern konfrontiert, die man nicht kennt, und fühlt sich in seiner Identität angegriffen.“

Hinweis

Ö1 bringt am Donnerstag, 18.25 Uhr, ein „Journal Panorama“ zum Thema „Wie lecker ist Österreichisch?“ - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Dass die Beschwerden beim ORF hauptsächlich von Menschen über 50 kämen, ist kein Zufall. „Die sprachlichen Unterschiede sind eindeutig in den Altersschichten festzumachen“, sagte Rudolf de Cillia, Sprachwissenschaftler an der Universität Wien. Maßgeblich sei die Sprache, in der man selbst sozialisiert wurde.

Altersfrage Austriazismus

Voneinander unabhängige Studien der beiden Sprachwissenschaftler zeigten, dass die Verwendung von Deutschlandismen klar altersspezifisch auftritt. „Mit dem Alter steigt die Grenze des akzeptablen Austriazismus“, so Muhr. Je jünger die Bevölkerung, desto eher würden binnendeutsche Ausdrücke verwendet. Gerade 47 Prozent der Jugendlichen kennen laut Erhebungen typisch österreichische Begriffe.

Aber nicht nur österreichische Ausdrücke fallen deutschen Synchronisationen und Fernsehsendungen zum Opfer, auch die Grammatik übernehmen Jugendliche von Binnendeutschland. „Ich bin gesessen“ wird zu „ich habe gesessen“, „das Cola“ zu „die Cola“. „Wenn man in der Unimensa ‚eine Cola’ bestellt, outet man sich ganz klar als deutscher Numerus-clausus-Flüchtling“, sagte die Poetry-Slammerin und Studentin Yasmo. Unter Jüngeren hingegen sei „eine Cola“ bereits gang und gäbe.

Zweisprachig bis zum „Weißwurstäquator“

Doch die vermehrte Anwendung macht die Unterscheidung zwischen der österreichischen und bundesdeutschen Sprache nicht mehr ganz einfach. Muhr definiert das österreichische Deutsch als „alles, was dem Sprachtyp Deutsch ähnlich ist und auf dem Boden der Republik Österreich gesprochen wird“. Österreichisches Deutsch beschränkt sich also nicht auf die Mundart, sondern umfasst auch die österreichische Varietät von Standarddeutsch.

ORF DialogForum "Wie lecker ist Österreichisch?"

ORF/Günther Pichlkostner

Breites Podium, das insgesamt für eine offensive Sprachpolitik für das Österreichische eintrat

Diese unbewusste „Zweisprachigkeit“ der österreichischen Bevölkerung, die sich bis zum „Weißwurstäquator“ erstreckt, sei derart verwurzelt, dass es im normalen Sprachgebrauch gänzlich normal ist, aus Standarddeutsch in die Umgangssprache zu wechseln, ohne dass es negativ auffallen würde, sagte Muhr. Das sei ein großer Unterschied zu Sprechern nördlich der Rhein-Main-Linie. „Die reden wirklich den ganzen Tag gleich - das ist für österreichische Verhältnisse unvorstellbar“, so Muhr.

Entwicklung durch Abgrenzung

Generell ändert sich die Sprache heutzutage viel schneller. Yasmo ist 25 Jahre alt und lernt bei Workshops, die sie in Oberstufen in Gymnasien gibt, selbst immer wieder neue Wörter. Obwohl die sprachliche Sozialisierung nur wenige Jahre Unterschied ausmacht, nimmt sie die Weiterentwicklung der Sprache deutlich wahr. Vorangetrieben werde diese Entwicklung dadurch, dass Kinder und Jugendliche ihre Sprache oft zur Abgrenzung verwenden, wie Petra Herczeg, stellvertretende Programmleiterin des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, sagte.

Deutschlandismen nicht verbannen

Trotz ihres kontinuierlichen Wandels bildet die Sprache einen großen Teil der österreichischen Identität. Gerade deshalb setzen sich Muhr und de Cillia aktiv für den Erhalt des österreichischen Deutsch ein. „In Österreich gibt es keine Sprachpolitik, die ein positives Verhältnis zur Identität hat. Das sollte sich ändern“, sagte Muhr.

Aufgabe der Schule sei es, das sprachliche Bewusstsein zu schärfen. Deutschlandismen sollen nicht verbannt werden, sondern ins Repertoire aufgenommen und an den passenden Stellen verwendet werden. Die Lehrer sollten anregen, die österreichische Sprache zu verwenden. Um bei den Kleinsten anzusetzen, wünscht sich Muhr eine Kultur- und Sprachpolitik, die das österreichische Deutsch bei der Produktion von Kinderbüchern und Hörspielen fördert.

Anglizismen als Retter

Zu mindestens 0,4 Prozent trennt die Österreicher und Deutschen momentan noch die gemeinsame Sprache, so hoch ist der Anteil der als österreichisch gekennzeichneten Wörter im Duden. Was aber beide Länder eindeutig verbindet, ist der Hang zu Anglizismen. Bei „Wir sind cool und plantschen im Pool“, wie es Christine Nöstlinger festhielt, lassen sich weder Austriazismus noch Deutschlandismus erkennen.

Lilian Spatz, ORF.at

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