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Schwierige Transformation

Es klingt vielversprechend: Die chinesische Wirtschaft soll in den kommenden fünf Jahren um mindestens 6,5 Prozent wachsen, die Einkommen der Chinesen sollen sich gemessen am Niveau von 2010 verdoppeln, die Wirtschaft soll nicht länger von der Schwerindustrie abhängig sein.

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Bisher ist es jedoch kaum einem Land gelungen, nach einer langen Phase hoher Wachstumsraten einer deutlichen Abkühlung der Wirtschaft zu entgehen. China lässt sich von Statistiken aber nicht beeindrucken und verabschiedete zum Abschluss seiner diesjährigen Jahrestagung vergangenen Mittwoch in Peking einen ehrgeizigen Fünfjahresplan.

Kein Absturz der chinesischen Wirtschaft

Dieser sieht vor, dass die Wirtschaft des Landes auf ein neues Fundament gestellt werden, der Wohlstand der Menschen steigen, der Umweltschutz verbessert werden soll. Dazu gehört mit dem neuen Wachstumsziel das niedrigste seit einem Vierteljahrhundert. Der chinesische Ministerpräsident Li Keqiang rechnet jedenfalls nicht mit einem Absturz der heimischen Wirtschaft.

Das ist optimistisch - die Regierung muss einen Spagat schaffen. Einerseits will sie das Wachstum auf eine gesündere Basis stellen. Andererseits soll ein Konjunktureinbruch vermieden werden, ansonsten drohen soziale Unruhen. Die Transformation wird ohnehin schwierig genug: Bis zu sechs Millionen Arbeiter staatlicher Firmen werden wohl in den kommenden zwei, drei Jahren ihre Arbeit verlieren, wie jüngst zwei mit dem Vorgang vertraute Personen sagten.

Milliardenschwerer Ausgleichsfonds

Betroffen sind vor allem die Kohle- und Stahlindustrie und mit deren Arbeitern klassische Modernisierungsverlierer. Zugleich sollen in anderen Branchen zehn Millionen Arbeitsplätze neu entstehen, kündigte Li an. „Solange wir die Reformen fortsetzen und angehen, wird Chinas Wirtschaft keine harte Landung hinlegen“, so Li in einer Pressekonferenz nach der Tagung des Volkskongresses in Peking.

 Xi Jinping und Li Keqiang

APA/AP/Ng Han Guan

Chinas Staatspräsident Xi Jinping und Ministerpräsident Li Keqiang wählen

Die Regierung müsse gerechtere Wettbewerbschancen durchsetzen. Li kündigte zudem an, angesichts der erwarteten Massenentlassungen im Zuge des Umbaus der Wirtschaft mehr Geld lockerzumachen als bisher geplant. Bisher ist von einem mit 100 Milliarden Yuan (rund 14 Mrd. Euro) gefüllten Fonds die Rede, mit dem die Folgen für die betroffenen Arbeiter sozial abgefedert werden sollen.

Dienstleistungen und Hochtechnologie

All das kommt nicht von ungefähr: Chinas altes Wachstumsmodell ist an seine Grenzen geraten. Herkömmliche Industriezweige - eben Kohle und Stahl - leiden unter Überkapazitäten und verschärfen die Umweltverschmutzung. Zahlreiche durch milliardenschwere Geldspritzen künstlich am Leben gehaltene Staatsbetriebe haben dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Zugleich haben diese „Zombiefirmen“ gewaltige Schuldenberge aufgetürmt.

Das soll sich in den kommenden Jahren ändern: Ineffiziente Teile des produzierenden Gewerbes sollen restrukturiert, die Konjunktur stärker auf Dienstleistungen und Hochtechnologie gegründet werden. Innovation sei die treibende Kraft für die Entwicklung des Landes, sagte Li bereits zur Eröffnung des zwölftägigen Volkskongresses Anfang März.

„Kräfte des Marktes walten lassen“

China zeigt sich nicht untätig: Nach den Kursrutschen an Chinas Börsen im vergangenen Jahr seien die Behörden sofort eingeschritten, „um systemische Risiken zu vermeiden“, so Li. Die Volksrepublik werde ihre marktwirtschaftlichen Reformen und den rechtlichen Rahmen ausbauen: „Wir müssen unser Aufsichtsregime verbessern.“ Auch gebe es einen Zuwachs an innovativen neuen Finanzprodukten, die abgedeckt werden müssten.

Absperrung vor dem Volkskongress in China

APA/AP/Andy Wong

Die Große Halle des Volkes wurde streng bewacht

Dabei bemerkte schon vor acht Jahren der damalige Premierminister Wen Jiabao im Rahmen eines Volkskongresses, das chinesische Wachstum sei „unsicher, unausgewogen, unkoordiniert und nicht nachhaltig“. Die Rede wurde damals zwar gelobt, stieß aber in Folge größtenteils auf taube Ohren, so das US-Magazin „New Yorker“.

Skeptisch gegenüber den neuen chinesischen Vorhaben zeigte sich Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking. „Ich vermisse das Vorhaben, die Kräfte des Marktes walten zu lassen, und sehe eine starke Betonung auf Planung“, kritisiert er den neuen Fünfjahresplan. Mächtige Interessengruppen, lokaler Protektionismus und die Ablenkung der Führung durch andere Vorhaben wie die Umstrukturierung von Partei und Militär würden darüber hinaus die Reformen bremsen.

Stimmung bei Europäern schlecht

Die Zeiten seien auch wegen der hohen Schuldenlast „unsicherer“ geworden. Die Stimmung bei europäischen Unternehmen in China sei folglich schlecht. Das langsamere Wachstum und der schlechte Marktzugang hätten europäische Investitionen 2015 schon um 25 Prozent auf weniger als zehn Milliarden Euro fallen lassen.

Doch selbst im Fall des Falles, dass China die angekündigten Reformen erfolgreich in die Tat umsetzt, würden laut Wuttke die Zeiten für ausländische Unternehmen in China härter. Die Ankurbelung des heimischen Konsums und der geplante Anstieg der Einkommen bieten zwar neue Geschäftsmöglichkeiten, aber von der Ausweitung des Dienstleistungssektors habe Europa wenig.

In vielen Bereichen kaum vertreten

Denn in Bereichen wie Banken, Versicherungen, Gesundheit, Transport und Bildung seien europäische Unternehmen in China wegen behördlicher Beschränkungen ohnehin kaum vertreten. Von den knapp 2.900 Delegierten in der Großen Halle des Volkes stimmten jedenfalls 2.778 für den Entwicklungsplan und lediglich 53 dagegen, 25 Abgeordnete enthielten sich. Das Votum war ähnlich wie bei der Annahme des letzten Plans 2011.

Teilnehmer macht einen Luftsprung vor dem Volkskongress in China

APA/AFP/Fred Dufur

Ein Teilnehmer des Volkskongresses zeigt sich begeistert

Dabei zeigt sich Unmut gegenüber den Plänen der Regierung der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt lediglich in den begrenzten Nein-Stimmen und Enthaltungen. Abgelehnt wurde eine Vorlage seitens des Volkskongresses nämlich noch nie. Zudem billigten die Abgeordneten auch das Budget. Das sieht unter anderem einen Anstieg der Verteidigungsausgaben von 7,6 Prozent vor.

Zwar wächst damit der Militäretat wegen der schlechteren Wirtschaftslage so langsam wie seit sechs Jahren nicht mehr, vor dem Hintergrund der Spannungen im Südchinesischen Meer aber immer noch schneller als die Gesamtausgaben mit sieben Prozent. Das Budget enthält wegen höherer Ausgaben und geringerer Einnahmen heuer ein Rekorddefizit von drei Prozent der Wirtschaftsleistung.

Sorgfältig inszenierte Pressekonferenz

Dem Zufall wurde auch auf anderer Ebene nichts überlassen: Die live im Fernsehen übertragene Pressekonferenz nach der Volkskongresstagung war noch sorgfältiger inszeniert als bei Lis Vorgängern. So mussten ausländische Journalisten ihre Fragen und Themen im Vorfeld zur Genehmigung einreichen - kritische Fragen wurden nicht zugelassen, Fragesteller wurden einzeln ausgesucht, Lis Antworten waren vorbereitet. Im Staatsfernsehen wurde freilich der Eindruck erweckt, alles sei spontan.

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