Mehrere Fliegen mit einer Klappe
Ausgerechnet zum Start der neuen Syrien-Friedensverhandlungen in Genf hat Russland einen Teilabzug aus Syrien begonnen. Der überraschende Schritt könnte ein wenig Bewegung in die stockenden Gespräche bringen. Vor allem hat der russische Präsident Wladimir Putin aber mit der knapp sechsmonatigen Militäraktion eines geschafft: sich selbst als geopolitischer Akteur wieder ins Spiel zu bringen.
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Verhalten positiv waren die internationalen Reaktionen: UNO-Syrien-Vermittler Staffan de Mistura sprach von einer „bedeutenden Entwicklung“. Es bestehe die Hoffnung, dass sie sich positiv auf den Verhandlungsprozess in Genf auswirke.
Kommentatoren zeigten sich zurückhaltender: Die verfahrene Situation sei jetzt vielleicht einen Funken weniger aussichtslos. Vertreter der syrischen Opposition reagierten skeptisch. „Niemand weiß, was Putin im Kopf hat“, sagte Oppositionssprecher Salem al-Meslet. Damit brachte er die vorherrschende Skepsis - aber auch die Überraschung über den Schritt - auf den Punkt.
Syrische Regierung stabilisiert
Denn Putin sprach davon, dass Russland seine Ziele weitgehend erreicht habe. Ein oberflächlicher Blick auf Syrien würde Zweifel an der Aussage aufkommen lassen. Noch immer tobt der Bürgerkrieg im Land, noch immer kämpfen Dutzende verschiedene Gruppierungen gegeneinander, und eine Lösung, schon gar eine friedliche, scheint in weiter Ferne.
Doch bei genauerer Betrachtung hat sich einiges geändert. Die russischen Luftschläge halfen - gemeinsam mit der Unterstützung des Iran und der Hisbollah - dem wankenden syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, seine Position zu behaupten. Anders als vor einem halben Jahr kann seine syrische Armee nun wieder militärische Erfolge verbuchen.
Druckmittel gegen Assad
Der russische Teilabzug nun sei aber auch ein Druckmittel Russlands gegen Assad, heißt es in einer Analyse auf dem Portal Vox.com. Putins Signal an Assad sei, dass man ihn unterstütze, aber nicht um jeden Preis. Und dass es für ihn nun besser sei, sich ernsthaft in die Verhandlungen einzubringen. Mit dem Verbleib von 1.000 Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Hmejmim und der Marinebasis Tartus behält Russland aber den Fuß in der Tür, vor allem für den Fall, dass andere Kräfte in der Region - von den USA bis Saudi-Arabien - die Situation eskalieren lassen.
Fakten geschaffen
Russland habe im Vergleich zur zahnlosen US-Politik Fakten geschaffen, schreibt der ehemalige US-Außenministeriumsprecher P. J. Crowley für die BBC. US-Präsident Barack Obama wiederhole sich in der Rhetorik, Assad müsse abdanken - einen Plan dafür gebe es aber nicht. Und so würden die US-Luftschläge die Dschihadistenmilizen in Syrien schwächen, eine Veränderung in den Machtverhältnissen gebe es aber nicht. Putin hingegen habe ohne viel Federlesens eingegriffen und Assad vorerst gestärkt. Der Kreml-Chef habe den Takt vorgegeben und habe jetzt die besseren Karten in der Hand, um zu sagen, wie es weitergeht, meint Crowley.
Zurück auf der Bühne der Weltpolitik
Neben der Situation in Syrien gibt es aber einen für den Kreml strategisch noch wichtigeren Kniff: Mit der Militäraktion hat sich Russland wieder als - auch zur Not militärisch agierender - Global Player der Weltpolitik etabliert. Bei den Genfer Friedensgesprächen sitzt man nun als wesentlich einflussreicherer Partner am Verhandlungstisch.
Vor allem aber hat es Russland geschafft, überhaupt sich in die Weltpolitik zurückzukatapultieren. Denn vor allem der Ukraine-Konflikt hatte Putin zum Geächteten gemacht, mit der Verhängung von Sanktionen durch USA und EU wurde er Paria. Nun ist Russland als Verhandlungspartner auf Augenhöhe wieder in der internationalen Politik zurück.
Teurer Einsatz
Dass Russland jetzt den Rückzug antritt, ist auch aus anderen Gründen nachvollziehbar. Mit dem niedrigen Ölpreis - die Haupteinnahmequelle des Landes - sieht es in der russischen Wirtschaft verheerend aus. Viel länger hätte sich der Kreml einen intensiven Einsatz auch nicht leisten können. Und Russland steigt noch zu einem Zeitpunkt aus, zu dem man nicht gänzlich in die Kriegswirren verstrickt ist. Es gibt also ein recht unkompliziertes Exit-Szenario. Zudem gab es kaum Verluste, sieht man von einem durch die Türkei abgeschossenen Kampfflugzeug ab.
Test für Kriegsgerät
Der US-Thinktank Stratfor verweist zudem auf zwei weitere Ziele, die Russland erreicht hat. Man konnte das modernisierte Kriegsgerät testen und für potenzielle Käufer ins Rampenlicht rücken. Zudem wurden vor allem in den vergangenen Wochen auch vermehrt islamistische Rebellengruppen angegriffen - und damit auch innenpolitisch ein Signal gesetzt. Bei etlichen Dschihadistenmilizen tummeln sich Kämpfer aus dem Nordkaukasus, die mit ihren Anschlägen in Russland auch für Moskau eine Gefahr darstellen.
Umgekehrt birgt der Abzug aber Gefahren für Syrien: Nur wenige Stunden nach dem angekündigten Teilabzug kündigte die islamistische Al-Nusra-Front eine neue Offensive in Syrien an.
Christian Körber, ORF.at
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