Themenüberblick

EU ringt um gemeinsame Position

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hat sein Veto gegen den geplanten Flüchtlingsdeal zwischen der Europäischen Union und der Türkei eingelegt. „Er hat ein Veto eingelegt gegen den Plan, wonach Migranten und Asylbewerber direkt aus der Türkei nach Europa umgesiedelt würden“, sagte der ungarische Regierungssprecher Zoltan Kovacs der Nachrichtenagentur Reuters.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Die Aufnahme syrischer Kriegsflüchtlinge durch die EU ist ein Eckpunkt des am Montag beim EU-Türkei-Sondergipfel diskutierten Plans für eine europäische Lösung mit Ankara. Demnach würde die Türkei alle illegalen Migranten in der Ägäis zurücknehmen, für jeden zurückgeschickten Syrer müsste die EU aber einen syrischen Kriegsflüchtling im Rahmen eines „Resettlement“-Programms aufnehmen.

Ablehnung keine Überraschung

Die Ablehnung Ungarns ist keine Überraschung, lehnt es doch seit Monaten strikt jede Aufnahme von Flüchtlingen im Rahmen europäischer Verteilungsmechanismen ab. Orban will seine diesbezügliche Politik auch mit einem Referendum einzementieren. Die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten berieten am Montag stundenlang über ein türkisches Vorschlagspaket.

Mehrere Minister beim EU-Gipfel

APA/AP/Francois Walshaerts

Beim EU-Gipfel wird hart mit der Türkei über geplante Maßnahmen gefeilscht

Der dänische Regierungschef Lars Lökke Rasmussen schrieb auf Twitter, es werde am Montag voraussichtlich keine Einigung geben - „auch wenn wir dem näher kommen“. Auch nach Einschätzung des maltesischen Premiers Joseph Muscat braucht die EU mehr Zeit. Eine Abmachung auf dem Gipfel sei deshalb unwahrscheinlich, so Muscat auf Twitter. Bereits Ende nächster Woche kommen die EU-Staats- und Regierungschefs zu einem weiteren Gipfel in Brüssel zusammen.

EU-Ratschef Donald Tusk hatte den EU-Gipfel zuvor um ein Abendessen verlängert. Grund seien „neue und ehrgeizige Ideen“, die Davutoglu vorgelegt habe. Nach Angaben aus EU-Kreisen traf die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel unterdessen erneut mit Tusk, Kommissionschef Jean-Claude Juncker und dem amtierenden niederländischen Ratsvorsitzenden Mark Rutte zusammen, um über das Angebot der Türkei zu beraten. Dann sollte das Treffen der 28 Staats- und Regierungschefs fortgesetzt werden, um eine gemeinsame Linie zu finden.

Neue Geldforderungen

Neben dem Austausch von syrischen Flüchtlingen im 1:1-Verhältnis diskutierten die Staats- und Regierungschefs weitere Milliardenhilfen für die Türkei. Nach den Worten von EU-Parlamentschef Martin Schulz forderte Ankara bis 2018 weitere drei Mrd. Euro. Die EU hatte bereits drei Mrd. Euro zur besseren Versorgung syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge in der Türkei zugesagt. Woher die weiteren Mittel kommen sollen, ist offen. Schon über die Aufteilung der im Herbst vereinbarten drei Milliarden haben die EU-Staaten wochenlang gerungen.

ORF-Reporter Hans Bürger aus Brüssel

ORF-Reporter Hans Bürger berichtet, warum es auf dem EU-Gipfel bisher für keine Einigung mit der Türkei gereicht hat.

Aus den Reihen der EU-Staaten kamen sofort Bedenken. Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) sagte am Rande der Euro-Gruppe, die in Brüssel parallel zu den Staats- und Regierungschefs der EU und der Türkei tagte, er sei „nicht bereit, darüber hinaus Mittel zur Verfügung zu stellen, solange nicht die Belastungen, die Länder wie Deutschland, Schweden, Österreich tragen, auch abgegolten werden“.

Die Türkei warte weiterhin vergeblich auf die von der EU in der Flüchtlingskrise zugesagte Finanzhilfe, hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zuvor gesagt. Drei Mrd. Euro seien angekündigt worden: „Vier Monate sind vergangen, sie haben sie uns immer noch nicht gegeben.“ Nach EU-Angaben wurden bisher 95 Millionen Euro für erste Projekte freigegeben.

Raschere Visafreiheit für Türken gefordert

Außerdem fordert Ankara eine Visabefreiung für türkische Staatsbürger bereits ab 1. Juni 2016. Ursprünglich war vereinbart worden, dass die EU darüber erst im Herbst entscheidet. Der Vorschlag einer Beschleunigung sei ein Schlüsselelement bei den Debatten, bestätigte Schulz. Die Visaerleichterung dürfte dem türkischen Premier Ahmet Davutoglu ein besonderes Anliegen sein, sagte der irische Ministerpräsident Enda Kenny.

Auch dagegen machte Ungarn laut Kovacs Einwände geltend: Ungarns Regierung sei der Meinung, „dass es ein diesbezüglich zu integrierendes europäisches Territorium“, nämlich die Ukraine, gebe, der diese Erleichterung zuerst zugute kommen müsste. Erst danach könne man darüber sprechen, ob die Türkei diese vielleicht auch bekommen könne, so Kovacs.

Türkei will auch über EU-Beitritt reden

„Die Türkei ist bereit, mit der EU zusammenzuarbeiten und auch Mitglied der EU zu werden“, hatte Davutoglu im Vorfeld des Gipfels gesagt. Er hoffe, dass der Gipfel zu einer Erfolgsgeschichte und einem Wendepunkt in den Beziehungen werde. Dabei schloss er auch die EU-Beitrittsverhandlungen mit ein. Zypern machte Diplomaten zufolge Vorbehalte gegen beschleunigte Beitrittsverhandlungen geltend.

Kritik an Übernahme oppositioneller Zeitung

Probleme bereitete auch das harte Vorgehen Ankaras gegen regierungskritische Medien. Nach Angaben italienischer Medien erklärte Regierungschef Matteo Renzi, er werde keine Vereinbarung mit der Türkei unterzeichnen, wenn darin nicht auf die Pressefreiheit verwiesen werde. „Es kann (...) nicht sein, dass wegen der Flüchtlingsfrage andere Werte, die für Europa wichtig sind, wie Pressefreiheit, einfach über Bord geworfen werden“, sagte Luxemburgs Premier Xavier Bettel. Hier gelte es, „extrem vorsichtig“ zu agieren, vor allem, was die Pressefreiheit betreffe, so Frankreichs Präsident Francois Hollande.

Ende vergangener Woche hatten türkische Polizisten das Redaktionsgebäude der bisher oppositionellen Zeitung „Zaman“ gestürmt und unter staatliche Zwangsaufsicht gestellt. Unterdessen wurde auch die mit dem Blatt eng verbundene Nachrichtenagentur Cihan unter Aufsicht derselben Treuhandverwaltung gestellt.

Beide gehören zum Medienkonzern Feza Gazetecilik, der der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen nahesteht. Erdogan wirft Gülen vor, Parallelstrukturen im Staat geschaffen zu haben, um ihn zu stürzen. Gülens „Hizmet“-Bewegung wurde in der Türkei zur Terrororganisation erklärt. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, Feza Gazetecilik werde beschuldigt, die „Gülenistische Terrororganisation“ zu unterstützen.

Links: