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Sprache und die Bilder im Kopf

Die Ursprünge des Genderns, also der geschlechtergerechten Sprache, reichen bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück. Beeinflusst von der Frauenbewegung in den USA, dem Women’s Liberation Movement, begann erst die Wissenschaft und nach und nach auch die Gesellschaft, sich mit Sprache zu beschäftigen, die Frauen nicht diskriminiert.

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Ziel sowohl der Frauenbewegung als auch der feministischen Sprachwissenschaft war es anfangs, die fehlende Gleichstellung von Frauen und Männern in der Familie, in der Ausbildung, im Beruf und vor dem Gesetz als Ungleichheit auch im Sprachsystem nachzuweisen.

Der Mann als Norm, die Frau als Abweichung

Daraus entstand bald die Forderung nach einem gleichberechtigten Sprachgebrauch - zuerst in den USA, wenig später dann auch im deutschsprachigen Raum. Durch geschlechtergerechte Sprache werden Frauen und Mädchen nicht lediglich in männlichen Formen „mitgemeint“, sondern ausdrücklich mit weiblichen Formen bezeichnet.

Im deutschen Sprachraum bezieht sich die Kritik vor allem auf die Verwendung der männlichen Formen sowohl für Frauen als auch für Männer - das generische Maskulinum; wenn also vom „Lehrer“ gesprochen wird, obwohl eine Lehrerin gemeint ist, oder von den „Schülern“, wenn es um Schüler und Schülerinnen geht. Arbeiten in einer Praxis vier Ärztinnen und ein Arzt, gilt im Deutschen nach wie vor die Regel, dass von „Ärzten“ gesprochen wird. Dass die Ärztinnen in der Überzahl sind, zählt nicht - sie werden unsichtbar gemacht. Nicht nur sprachlich, sondern auch in den Bildern, die dabei im Kopf entstehen.

Väter in der „Mütterberatung“

Sprache bringt Ungleichheiten zum Ausdruck und verfestigt sie gleichzeitig. Durch eine Veränderung des Sprachgebrauchs alleine können Ungleichheiten in den meisten Fällen zwar nicht beseitigt werden - aber sie werden hinterfragt. Was wiederum der Anstoß für gesellschaftliche Veränderungen sein kann.

So können etwa stereotype Rollenbilder durch Sprache verfestigt oder aber aufgebrochen werden. Denn Sprache und Gesellschaft stehen in Wechselwirkung: Sprache beeinflusst die Gesellschaft, und die Gesellschaft beeinflusst Sprache. Aus der „Mütterberatung“ wird dann die „Elternberatung“ - und Väter müssen sich nicht mehr mitgemeint fühlen, wenn sie sich nach der Geburt ihres Kindes beraten lassen und mit anderen Vätern und Müttern austauschen wollen.

Auch wenn Sprache sich im Lauf der Zeit ganz von selbst und nur selten durch Anordnungen verändert, gibt es doch einige Aspekte von geschlechtergerechtem Sprachgebrauch, die ihren Weg in Gesetzestexte gefunden haben. So wurden in Österreich 1985 Stellenausschreibungen, die sich nur an ein Geschlecht richten, gesetzlich verboten. 1988 wurde die Verwendung von Amtstiteln und akademischen Graden in der weiblichen Form eingeführt.

Es hat sich ausgefräuleint

Die Debatte über Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit von geschlechtergerechtem Sprachgebrauch wird seit Jahrzehnten geführt und wird wohl so schnell auch nicht abreißen. Doch langfristig sorgt ohnehin das Phänomen des Sprachwandels dafür, dass sich Veränderungen in der Gesellschaft auch in der Sprache widerspiegeln.

Und während die einen damit beschäftigt sind, sich über den „grassierenden Genderwahn“ aufzuregen, verschwinden heimlich, still und leise mehr und mehr diskriminierende Begriffe aus dem allgemeinen Sprachgebrauch. So gilt die mittlerweile als abwertend empfundene Anrede „Fräulein“ laut Duden als veraltet. Und sechsjährige Mädchen sagen heute am ersten Schultag: „Ich bin jetzt eine Schülerin“ - mit einer Selbstverständlichkeit, als wären Simone de Beauvoirs fast 70 Jahre alte Schriften über das andere, das zweite, das zweitrangige Geschlecht nie nötig gewesen.

Romana Beer, ORF.at