Warum die ganze Aufregung?
Es gibt wenige Themen, die in der öffentlichen Debatte über einen so langen Zeitraum immer wieder für so heftige Emotionen sorgen wie der Streit über eine geschlechtergerechte Sprache.
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Die Gräben verlaufen dabei quer durch die Geschlechter: So wie es Männer gibt, die es gut und wichtig finden, geschlechtergerecht zu formulieren, so gibt es Frauen, die dem gar nichts abgewinnen können und sich davon distanzieren.
Dass die Frage, ob man beim Reden und Schreiben gendern soll - zum Symbol dafür wurde das Binnen-I -, noch immer die Gemüter erhitzt, hat einen guten Grund, sind zwei Sprachwissenschaftlerinnen im Interview mit ORF.at überzeugt: „Solange der Mann symbolisch der Normfall ist, so lange bleibt er auch im Denken der Normalfall“, ist für den deutschen Linguisten Anatol Stefanowitsch die Sache klar. Er plädiert daher dafür, im Zweifelsfall sprachlich die Frauen zu bevorzugen.
Eines ergibt das andere
Die Wiener Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak findet die Vorstellung, als Ausgleich für die seit Jahrhunderten männlich dominierte deutsche Sprache den weiblichen Plural zur Norm zu machen, witzig - aber unrealistisch. Dafür gebe es bei vielen Männern wohl zu große Bedenken und Ängste. Dauerhaft und auf die Spitze getrieben, würden am Ende außerdem anstatt den Frauen die Männer ausgeschlossen, so Stefanowitsch, der aber auch meint: „Da wir Männer uns sowieso ständig und überall mitgemeint fühlen, wäre ich bei einer Entscheidung zwischen dem generischen Femininum und dem generischen Maskulinum trotzdem für das Femininum.“
Beide Wissenschaftlerinnen stimmen darin überein, dass sich die Sprechgewohnheiten ändern müssen, damit sich die Realität ändern kann. Nur über Sprache könnten wir kommunizieren und politische Ideen entwickeln und diese diskutieren, so Wodak. Sprache sei ja auch „Realität“, findet zudem Stefanowitsch. Beides gehe freilich Hand in Hand: Es sei ein „Henne-Ei-Problem“, was sich zuerst ändern müsse - und ein Scheinargument, zwischen Jobs und Gehältern einerseits und Sprache andererseits zu unterscheiden und die beiden Seiten dann „gegeneinander auszuspielen“.
Und durchaus sarkastisch fügt Stefanowitsch noch hinzu: „Diejenigen, die sprachliche Gleichstellung für eine sinnlose Alibiaktion halten“, seien „äußerst selten engagierte Verfechter von Einheitslöhnen“.
Wenn man nicht mitgemeint ist
Wodak ist überzeugt, dass sich seit den 1960er Jahren und der damaligen Emanzipationsbewegung Frauen immer weniger vom männlichen Plural, dem sogenannten generischen Maskulinum, mitgemeint fühlen. In nicht wenigen Fällen, wie „die Volksschullehrer“ oder „die Pfleger“, widerspricht das der heutigen Realität zudem schon auf groteske Art und Weise. Auch gibt es laut Stefanowitsch psychologische Studien, wonach Frauen sich nicht automatisch mitgemeint fühlen. Frauen müssten das immer zuerst für sich übersetzen. Die Folge sei eine „ständige Unsicherheit“, ob sie gerade mitgemeint seien oder nicht.
Andererseits könne die Umkehrung, also die Verwendung der femininen Sprachformen, als „Experiment“ dazu führen, Redakteurinnen wie Leserinnen zu zeigen, „wie tief das Maskulinum im Sprachgebrauch steckt“. Und dann könne es einen Anlass bieten, „darüber nachzudenken, woher diese Aufregung eigentlich kommt“.
Kein Dogma daraus machen
Vor allem aber sind sich Wodak und Stefanowitsch einig: Beim eigenen Sprechen und Schreiben das Augenmerk auf das Sichtbarmachen der laut Regelsprache oft nur mitgemeinten Frauen zu legen, muss weder mühsam noch nervend sein - sondern kann genauso gut Spaß machen und unterhalten. Wodak rät dazu, nicht dogmatisch zu sein, sondern es der Situation anzupassen. Dann sei es „gar nicht schwierig ... und auch nicht umständlich“. Das generische Femininum ist für Stefanowitsch zudem sprachlich eine schöne Alternative. Die Formen seien ja alle da, „sie müssen nur verwendet werden“.
Das ist für Wodak auch des Pudels Kern in der ganzen Debatte: Dass es so starken Widerstand gegen Veränderungen gibt, die Frauen nicht nur mit meinen, sondern mit ausdrücken, hat für die Linguistin einen klaren Grund: Sprache symbolisiere für einige Männer einen Machtkampf. Denn „wenn Männer in ihrer Macht hinterfragt werden oder es so wahrnehmen, irritiert das“.
Romana Beer und Guido Tiefenthaler, ORF.at
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