Experten fordern bessere Koordination
Eine besser Koordination zwischen der Polizei, Sozialarbeitern, Aufnahmezentren für Flüchtlingen, Erziehungsberechtigten und Hotlines für vermisste Kinder ist nach Ansicht von Experten notwendig, um das Verschwinden Tausender unbegleiteter Minderjähriger in Europa zu stoppen. Zu diesem Ergebnis kam ein am Mittwoch in Brüssel vorgestellter Bericht der Organisation Missing Children Europe.
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„Kinder, die in Europa ankommen, um Krieg, Armut und Verfolgung in ihrem Land zu entkommen, begegnen echten Risiken, dass sie Opfer von Menschenhandel, sexueller Ausbeutung, Zwangsehen und wirtschaftlicher Ausbeutung werden, einschließlich gewaltsamer Organspenden, erzwungenen Drogenschmuggels und Bettelei. Eine besorgniserregend hohe Zahl dieser Kinder wird niemals gefunden“, sagte Delphine Moralis, die Generalsekretärin der Organisation, am Mittwoch in Brüssel.
Nur wenige wurden gefunden
Nach Angaben von Missing Children Europe kamen 2015 mehr als 89.000 unbegleitete Kinder nach Europa - ein starker Anstieg gegenüber 23.000 im Jahr 2014. Die Organisation beruft sich dabei auf Zahlen des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) sowie von öffentlichen Websites und Regierungsquellen.
Nach Angaben von Europol wurden 10.000 dieser Kinder nur Stunden nach ihrer Registrierung als vermisst gemeldet, und nur eine Handvoll von ihnen wurde bisher wieder gefunden. Die nationalen Berichte würden darauf hinweisen, dass die Zahl der ungeleiteten Kinder noch höher sei und dass viele Kinder vermisst würden, bevor sie als Flüchtlinge registriert werden, sagte die Organisation.
Keine klaren Verfahren und Zuständigkeiten
Missing Children Europa untersuchte besonders die Praxis in sieben EU-Ländern - Großbritannien, Spanien, Italien, Belgien, Zypern, Irland und Griechenland. Behörden und Sozialarbeiter hätten eine weitverbreitete Frustration darüber zum Ausdruck gebracht, wie das Verschinden der Kinder gehandhabt werde. So fehlten klare Verfahren und klare Zuständigkeiten.
Auch dort, wo die Praxis im Prinzip funktioniere, gebe es oft mangelnde Ressourcen und fehlenden Willen des zuständigen Personals, angemessen zu reagieren, so die Organisation. Oftmals werde angenommen, dass sich Kinder freiwillig davonmachen. Zudem gebe es uneinheitliche Zählweisen in den Ländern, was den Informationsaustausch erschwere.
„Ungleichheit beenden“
Die Studienautorin Karen Shalev Greene beklagte, dem Verschwinden eines Migrantenkindes werde weniger Bedeutung zugemessen als bei einem vermissten Kind, das EU-Bürger ist. „Wir müssen diese Ungleichheit beenden.“ Wie aus dem Bericht weiter hervorgeht, gehört Österreich neben Finnland, Irland und Rumänien zu den wenigen EU-Staaten, die gesetzliche Verfahren für vermisste Flüchtlingskinder haben.
Nach Angaben des deutschen Familienministeriums werden allerdings deutlich weniger minderjährige Flüchtlinge in Deutschland vermisst als berichtet. Anlass waren Anfang Februar veröffentlichte Zahlen des Bundeskriminalamts (BKA), wonach zu dieser Zeit knapp 4.800 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge als vermisst galten. Das Familienministerium teilte daraufhin mit, diese Angabe müsse deutlich nach unten korrigiert werden, ohne jedoch eigene Zahlen vorzulegen.
Deutsche Regierung: Zahlen missverständlich
Die BKA-Zahlen seien „in diesem Kontext überaus missverständlich“, sagte ein Sprecher des Familienministeriums. „Sie lassen jedenfalls keine Rückschlüsse darauf zu, dass die Kinder und Jugendlichen in die Hände von Schleusern oder anderen Kriminellen geraten sind.“ Dass minderjährige Flüchtlinge als vermisst gelten, könne verschiedene Gründe haben, sagte ein Sprecher des Familienministeriums auf Anfrage der deutschen „Zeit“ (Onlineausgabe).
Da viele minderjährige Flüchtlinge ohne Papiere reisten, sei ihre Identität ungeklärt. So komme es zu mehrfachen „Aufgriffen“ und damit zu Vielfachzählungen, auch in verschiedenen Städten. Auch wenn minderjährige Flüchtlinge in eine andere deutsche Stadt oder ein anderes Land weiterreisten – etwa, weil sie dort Verwandte haben –, gelten sie demnach als vermisst.
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