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Rückkehr zu Schengen gefordert

EU-Ratspräsident Donald Tusk hat sich am Dienstag in Wien mit Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) getroffen. Nach dem Gespräch rief Tusk die EU-Staaten zu einer Rückkehr zur Anwendung der Schengener Regeln auf. Das Treffen war der Auftakt zu einer mehrtägigen Tour in die Länder der Westbalkan-Route. Hintergrund der Besuche sind die von Wien angeregten verschärften Grenzkontrollen, die zu einem Rückstau Tausender Flüchtlinge in Griechenland führen.

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Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz beschwor Tusk eine Rückkehr zum Schengener Kodex und eine einheitliche Grenzpolitik an der EU-Außengrenze. Dieser Schritt sei nicht für alle Staaten eine einfache Entscheidung - er sei aber notwendig. Man müsse - im europäischen Konsens - ein neues Kapitel im Ringen mit der Migrationskrise einschlagen.

EU-Ratspräsident Donald Tusk und BK Werner Faymann

APA/Hans Klaus Techt

Tusk und Faymann demonstrierten Einigkeit

Die Rückkehr zur Anwendung der Schengen-Regeln sei nicht deren Ende, sondern der einzige Weg, um die Regelung am Leben zu erhalten. Er hoffe, dass die schwierige Wahrheit endlich von allen in Europa verstanden würde. Mit Blick auf Griechenland sagte Tusk, dass man sich auch den humanitären Folgen der Entscheidung stellen müsse. Weiters müsse man die Zusammenarbeit mit den Nachbarländern verbessern - Tusk kündigte einmal mehr Gespräche mit der Türkei an.

„Nagelprobe unseres ‚Europäertums‘“

„Österreich befand sich während der letzten Monate im Auge des Orkans“, räumte auch der EU-Ratspräsident ein. Es könne daher „kaum als Überraschung kommen, dass die Frustration steigt - die Geduld geht zu Ende, während populistische Kräfte in die erste Reihe drängen“. Allein, gerade in Zeiten wie diesen sei es wichtig, „die Ruhe zu bewahren und gemeinsam an einem europäischen Plan zu arbeiten - und das schnell“. Nach dem Gespräch mit Faymann sei er überzeugt, dass Österreich daran mitarbeiten werde.

Neben einem effektiven Grenzmanagement müsse die EU aber auch „gemeinsam die humanitären Konsequenzen unserer Entscheidungen bewältigen“, sagte Tusk, vor allem Griechenland sei hier zu unterstützen. „Die Nagelprobe unseres ‚Europäertums‘ wird einerseits darin bestehen, zum Schengen-Regime zurückzukehren, anderseits aber, Athen während dieser schweren Zeit beizustehen.“

„Wartezimmer der EU in der Doppelmühle“

Faymann forderte wie auch schon nach dem Ministerrat am Dienstag ein Ende der „Politik des Durchwinkens“. Ebenfalls bei beiden Gelegenheiten betonte er, dass Österreich mit den für heuer vorgesehenen maximal 37.500 Asylplätzen in Österreich einen ausreichenden Anteil biete: Würden alle EU-Staaten diese Pro-Kopf-Quote umsetzen, so könnte die Union heuer zwei Millionen Flüchtlingen Platz bieten.

Österreich sei mit gutem Beispiel vorangegangen. Man würde die Menschen allerdings belügen, wenn man sagte, man könne so weitermachen und weiteren 300.000 oder 400.000 Asyl geben. „Nein, das schaffen wir nicht.“ Österreich dürfte ebenfalls nicht zum „Wartezimmer der EU in der Doppelmühle“ für durchreisende Flüchtlinge werden - durchgewunken auf der einen, gestoppt auf der anderen Seite. Das unorganisierte Chaos müsse beendet werden, nur eine gemeinsame europäische Politik an den Außengrenzen könne Wirkung zeigen.

Österreichs derzeitige Politik sei notwendig, auch gegenüber jenen, die sich daran gewohnt hätten, Flüchtlinge einfach durchzuwinken. Ebenso ziele sie auf jene ab, die Rechtsmeinungen aus dem Hut zaubern, die nicht an den EU-Außengrenzen oder Griechenland, sondern in Österreich „die Lupe in die Hand nehmen“.

Nächster Stopp Ljubljana

Noch am Dienstag folgte dem Treffen mit Faymann eine Visite bei Sloweniens Regierungschef Miro Cerar in Ljubljana. Tusk und Cerar setzten sich bei einem Treffen für die effektive Anwendung von Schengen-Regeln und Hilfe für Griechenland bei der Sicherung der EU-Außengrenze ein, berichtete die slowenische Nachrichtenagentur STA.

Beide unterstützen auch eine gemeinsame europäische Lösung für die Flüchtlingskrise, hieß es nach dem Treffen im Schloss Brdo bei Kranj. „Solange aber eine solche gemeinsame Lösung nicht ausgearbeitet und umgesetzt ist, ist es wichtig, dass jene Lösungen angewendet werden, die in diese Richtung führen“, sagte Cerar laut STA.

Das sei auch der Sinn seiner Initiative, Griechenland bei der Sicherung der Grenze unter die Arme zu greifen und gleichzeitig den Schutz der mazedonisch-griechischen Grenze zu verstärken, so der slowenische Premier. Laut Tusk ist es jetzt wichtig, dass die EU ihre Bemühungen für die Bewältigung der humanitären Konsequenzen verstärkt und Griechenland hilft. Wie er laut STA noch betonte, gäbe es keine Alternative für die Vereinbarung mit der Türkei.

Auch Türkei steht auf dem Programm

Bis Donnerstag stehen noch Kroatien, das Nicht-EU-Land Mazedonien und Griechenland auf dem Programm. Zusätzlich wird Tusk am Donnerstag die Türkei besuchen. In der Hauptstadt Ankara stehen Gespräche mit Regierungschef Ahmet Davutoglu auf der Agenda. Am Freitag folgt laut Tusks Büro in Istanbul ein Treffen mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.

Die Gespräche sind Vorboten eines Sondergipfels, dessen erster Teil der Türkei und ihrem aus Sicht der EU mangelnden Engagement bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise gewidmet ist. Auch Davotoglu wird anwesend sein. Außerdem will die EU eine Bilanz ihrer bisherigen Flüchtlingsstrategie ziehen. Diese wird zunehmend durch nationale Alleingänge wie Grenzschließungen und Flüchtlingsquoten unterlaufen. Nun soll Tusk zwischen den Westbalkan-Staaten, Österreich und Griechenland vermitteln.

Mazedonien verteidigt Vorgehen

Denn während die Maßnahmen für heftige Kritik aus dem belasteten Griechenland, aus Deutschland, Italien und der EU sorgten, verteidigte der mazedonische Präsident Djordje Ivanov das Vorgehen seines Landes weiterhin. „Wir haben unsere eigenen Entscheidungen getroffen. In Zeiten der Krise muss jedes Land seine eigenen Lösungen finden“, sagte Ivanov am Montag dem deutschen „Spiegel“ (Onlineausgabe). Wenn sein Land auf EU-Vorgaben gewartet hätte, „wäre Mazedonien mit Flüchtlingen überschwemmt worden“.

Ivanov sagte, dass Mazedonien seine Grenze völlig schließen werde, sobald Österreich seine Höchstzahl von 37.500 Asylanträgen für heuer erreicht habe. „Immer wenn ein Land weiter nördlich seine Grenze schließt, machen wir hier dasselbe.“ Zugleich betonte er: „Geschlossene Grenzen liegen sicher nicht in unserem Interesse.“ Auf Anraten Österreichs hatte Mazedonien ebenso wie andere Staaten entlang der Balkan-Route Tageshöchstgrenzen für die Einreise von Flüchtlingen eingeführt.

Tsipras pocht auf Verteilung

Im Vorfeld des Gipfels verkündete der griechische Regierungschef Alexis Tsipras, keinem EU-Beschluss zuzustimmen, der nicht die gleichmäßige Verteilung von Flüchtlingen in allen Staaten der EU vorsieht. Das gelte auch für den EU-Türkei-Gipfel in Brüssel, bekräftigte Tsipras Dienstagfrüh in einem Interview des griechischen Fernsehsenders Star.

Der Regierungschef und die Vorsitzenden der wichtigsten Parteien im griechischen Parlament wollen sich am Freitag in Athen treffen. Unter Vorsitz des griechischen Staatspräsidenten Prokopis Pavlopoulos will die politische Führung darüber beraten, wie es mit der Flüchtlingskrise weitergehen soll und welche Positionen Athen beim Gipfel mit der Türkei vertreten wird, wie Tsipras bestätigte.

Auch Merkel fordert Schengen-Rückkehr

Auch die deutsche Lanzlerin Angela Merkel (CDU) erwartet beim EU-Sondergipfel am Montag Fortschritte in der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Angesichts der „sehr schwierigen Lage“ an der griechisch-mazedonischen Grenze bestehe dringender Handlungsbedarf, sagte Merkel am Dienstag nach Beratungen mit dem kroatischen Ministerpräsidenten Tihomir Oreskovic in Berlin. Sie forderte, „die Politik des Durchwinkens zu beenden“ und wieder zum Schengen-System zurückzukehren.

Das werde am Montag sicherlich „noch nicht nicht abschließend geregelt“ sein. „Aber es muss ein Schritt in die richtige Richtung sein“, sagte Merkel. „Dass es Gesprächsbedarf gibt, zeigen uns die Bilder jeden Tag ganz deutlich.“

Medien: Athen beantragt Hilfspaket

Die griechische Regierung bat die EU indes um 480 Millionen Euro Nothilfe. Athen rechne damit, „rund 100.000 Menschen“ versorgen zu müssen, sagte eine Regierungssprecherin am Dienstag in Athen. „Wir können die Last durch alle hier ankommenden Flüchtlinge nicht tragen“, sagte die Regierungssprecherin. Es könne nur „um vorübergehende Maßnahmen“ gehen. „Wir brauchen eine dauerhafte Lösung, indem Flüchtlinge (in andere EU-Länder) umgesiedelt werden.“

Bereits am Montag hatte es geheißen, dass die EU-Kommission an Finanzhilfen für Griechenland arbeitet. Man verwende „alle verfügbaren Instrumente“, so eine Sprecherin. Konkret gehe es um Hilfen zur Unterbringung für Personal, Finanzen und materielle Unterstützung, so die Sprecherin. Griechenland solle vor allem beim Aufbau von Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge, beim Grenzschutzmanagement, bei der Umverteilung von Flüchtlingen auf andere EU-Staaten und bei Abschiebungen unterstützt werden.

EU-Kommission „sehr besorgt“

Am Montag hatten Hunderte Flüchtlinge die Bahntrasse und den Grenzzaun am griechischen Grenzübergang Idomeni zu Mazedonien gestürmt, woraufhin die mazedonische Polizei Tränengas gegen die Menschen einsetzte. Angesichts der Eskalation rief die EU-Kommission zu einer Beruhigung der Lage auf. „Das ist nicht unsere Vorstellung, wie die Krise gemanagt werden sollte.“ Internationale Rechtsstandards müssten eingehalten werden. Mazedonien verteidigte sein Vorgehen.

Tränengaseinsatz gegen Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze

APA/AFP/Louisa Goullimaki

Die Polizei setzte Tränegas ein - die Menschen brachten sich panikartig in Sicherheit

Auch Deutschland sehe sich durch diesen Vorfall in seiner Flüchtlingspolitik bestärkt, so Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Montagabend (Ortszeit) in Washington: „Die Bilder sind ein Beleg dafür, dass man versuchen kann, eigene nationale Wege zu finden, aber dass sie nicht zur Lösung führen“, so Steinmeier.

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