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Vorfälle „inakzeptabel“

Nach fremdenfeindlichen Zwischenfällen im deutschen Bundesland Sachsen haben sich Politiker entsetzt gezeigt. „Das sind keine Menschen, die so was tun. Das sind Verbrecher. Widerlich und abscheulich ist das“, sagte der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Auch der deutsche Justizminister Heiko Maas äußerte sich empört. Wer Beifall klatsche, wenn Häuser brennen, und wer Flüchtlinge zu Tode ängstige, handle „abscheulich“ und „widerlich“, schrieb der SPD-Politiker auf Twitter.

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Innenminister Thomas de Maiziere verurteilte die Vorfälle als „inakzeptabel“. „In Deutschland darf jeder seine Ängste und Sorgen äußern - das gilt auch für politische Meinungen, die einem nicht gefallen“, erklärte der CDU-Politiker. „Aber es gibt eine Schwelle des Anstands und des Rechts, die nicht überschritten werden darf - und bei den Geschehnissen in Sachsen wurden diese Schwellen deutlich überschritten.“ Der CDU-Landtagsabgeordnete Marko Schiemann spricht von „Tagen der Schande“.

Jubel über brennendes Hotel

In der Stadt Bautzen rund 50 Kilometer östlich von Dresden brannte in der Nacht auf Sonntag ein ehemaliges Hotel, das ab März als Flüchtlingsunterkunft dienen sollte. 20 bis 30 teils alkoholisierte Schaulustige zeigten laut Polizei „unverhohlene Freude“ und kommentierten den Brand mit abfälligen Bemerkungen gegen Flüchtlinge.

Ausgebrannte Flüchtlingsunterkunft in Sachsen

APA/dpa/Christian Essler

Das Dach des ehemaligen Hotels wurde schwer beschädigt

Zwei Männer, die laut Polizei die Arbeit der Feuerwehr massiv behinderten und einen Platzverweis nicht befolgten, wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen. Es sei „unerträglich, wie offen und respektlos der Hass auf Ausländer zur Schau getragen wird“, sagte Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU). Die Ermittler gehen von Brandstiftung aus, Spuren von Brandbeschleuniger wurden im Gebäude entdeckt.

Bus belagert

Schon am Donnerstagabend hatte sich in der Ortschaft Clausnitz etwa 40 Kilometer südwestlich von Dresden ein ähnlicher Vorfall ereignet. 15 Asylbewerber sollten per Bus in eine Unterkunft gebracht werden. Dabei kam es wegen einer Protestaktion zu stundenlangen Verzögerungen. Aus der fremdenfeindlichen Demonstration mit etwa 100 Teilnehmern wurden Sprüche wie „Wir sind das Volk“ gerufen, was auch das Motto der friedlichen Protestaktionen gegen die DDR-Führung 1989 war. Tillich erklärte nun: „Das besudelt das, was die Menschen an Mut in der friedlichen Revolution aufgebracht haben und den Fleiß beim Wiederaufbau Sachsens.“

Feuerwehr bei Löschung von Asylheim behindert

Im sächsischen Bautzen ist ein geplantes Asylwerberheim eventuell durch Brandstiftung in Flammen aufgegangen. Die Löscharbeiten wurden behindert, Schaulustige machten abfällige Bemerkungen.

Polizei gibt Flüchtlingen Mitschuld

Später holten Polizisten drei Flüchtlinge unter Zwang aus dem Bus - auf einem Internetvideo sind verängstigte und teils weinende Flüchtlinge im Fahrzeug zu sehen, ein Polizist zerrt einen jungen Burschen, laut „Spiegel“ einen 15-jährigen Libanesen, mit einem Klammergriff aus dem Fahrzeug.

Die Polizei verteidigte ihr Vorgehen am Samstag als „absolut notwendig“ und „verhältnismäßig“, sie habe die Menschen aus dem Bus in das Gebäude in Sicherheit bringen wollen. Der Chemnitzer Polizeipräsident Uwe Reißmann räumte ein, dass zunächst nicht genug Beamte an Ort und Stelle gewesen seien, gab aber auch den Flüchtlingen eine Mitschuld an der Eskalation. Sie hätten aus dem Bus heraus gefilmt und mit Gesten wie dem Stinkefinger provoziert. Daher schloss er - neben strafrechtlichem Vorgehen gegen Demonstranten - auch Ermittlungen gegen Flüchtlinge nicht aus.

„Kein überzeugendes Bild eines Rechtsstaats“

An den Aussagen wurde heftige Kritik laut: „Langsam beginne ich, an eine selbstverordnete, rechtsäugige Blindheit von Teilen der sächsischen Polizei und vor allem ihres Dienstherrn zu glauben“, meinte Sachsens Linke-Partei- und Fraktionschef Rico Gebhardt und forderte eine Sondersitzung des Landtagsinnenausschusses. „Wenn Zwangsmaßnahmen wie das Abführen im Polizeigriff so harmlos und gängig sind: Warum hat man diese Maßnahme nicht an den bedrohenden ,Demonstranten‘ durchgeführt, sondern an Frauen und Kindern, also an den Opfern statt an den Tätern?“

„Da läuft etwas sehr verkehrt in Sachsen“, sagte am Sonntag die Integrationsbeauftragte der Regierung, Aydan Özoguz (SPD). „Das Verhalten der Polizei in Clausnitz ist zutiefst erschütternd“, erklärte sie. „Ein Mob brüllt ausländerfeindliche Parolen und verhindert die Fahrt eines Busses mit Flüchtlingen zur Unterkunft, und die Polizei kündigt Ermittlungen gegen Flüchtlinge im Bus an.“ Zum wiederholten Mal könne die sächsische Polizei kein überzeugendes Bild eines Rechtsstaats liefern.

De Maiziere nimmt Polizei in Schutz

Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, sprach von „Polizeiversagen“. Seine Grünen-Kollegin Katrin Göring-Eckardt ebenfalls. „Es nicht zu benennen, ist eine Katastrophe“, twittert sie. Ihre Fraktion fordert, dass sich der Bundestag in einer Aktuellen Stunde mit den Vorfällen befasst.

Innenminister De Maiziere nahm die Polizei in Schutz. „Ich kann Kritik an diesem Polizeieinsatz nicht erkennen“, sagte er am Sonntagabend im „Bericht aus Berlin“ der ARD. Es sei richtig gewesen, die Flüchtlinge aus dem Bus in die Flüchtlingsunterkunft und damit in Sicherheit zu bringen: „Stellen Sie sich mal vor, der Bus wäre zurückgefahren. Dann hätten ja diese grölenden Leute noch recht bekommen“, sagte der Minister. „Nein, das war in Ordnung.“

Flüchtlingsheimleiter offenbar AfD-Mitglied

Der Sender MDR berichtete unterdessen, der Bruder des Flüchtlingsheimleiters von Clausnitz habe die Proteste in dem Ort mit organisiert. Dem MDR-Magazin „exakt“ habe dieser gesagt, er habe aber nicht gewollt, dass die Situation so eskaliert. Er habe nur eine Demonstration gewollt, um die Kritik an der Asylpolitik in Deutschland deutlich zu machen: „Wir wollten den Flüchtlingen nie was tun. (...) Die Kinder haben uns definitiv leidgetan. Das war von niemandem gewollt; zumindest die, die von uns hier aus dem Ort gekommen sind.“ Der Leiter der Flüchtlingsunterkunft ist laut Medienberichten Mitglied der rechtspopulistischen AfD.

Sachsen auf dem Weg zum „failed state“?

CDU-Bundesvize Armin Laschet sagte der Zeitung „Welt“ (Montag-Ausgabe): „In Bautzen und Clausnitz ist die Integration mancher Deutscher in unsere Leitkultur, die für Humanität, Respekt und Anstand steht, gescheitert.“ Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, sagte der „Welt“, Sachsen müsse aufpassen, dass es sich nicht zu einer Art „failed state“, also gescheitertem Staat, in Sachen Rechtsextremismus entwickele.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Monika Lazar sagte der Zeitung, sächsische Landesregierungen hätten seit den 90er Jahren die Lage dramatisch unterschätzt. Deshalb „konnte die Saat von Pegida aufgehen“. Die stellvertretende Linken-Vorsitzende Caren Lay erklärte, in Sachsen herrsche „Pogromstimmung“ gegen Flüchtlinge.

Molotowcocktails auf ein Flüchtlingsheim

Ebenfalls am Donnerstag warfen zwei Männer Molotowcocktails auf ein Flüchtlingsheim im ostsächsischen Löbau. Ein 16-Jähriger und ein 26-Jähriger wurden wegen des Verdachts der versuchten schweren Brandstiftung und des Verstoßes gegen das Waffengesetz in Untersuchungshaft genommen. Die beiden standen laut Polizei unter Alkoholeinfluss. Es sei nur dem Zufall zu verdanken, dass niemand verletzt worden und der Sachschaden gering sei, hieß es bei Polizei und Staatsanwaltschaft.

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