Präsidentschaftswahl mit Konfliktpotenzial
Es ist der einzige große Wahlkampf im Jahr - nicht nur deshalb spricht vieles dafür, dass das Rennen um die Hofburg diesmal um einiges politischer und brisanter vonstattengeht. Schließlich wollen die Parteien auch ihr eigenes Politikprofil schärfen. Mit voraussichtlich fünf starken Kandidaten ist der Ausgang völlig offen und eine Stichwahl wahrscheinlich. Dabei könnten einander ein linkes und ein rechtes Lager gegenüberstehen.
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Schon der offiziell als Unabhängiger antretende Ex-Grünen-Chef Alexander van der Bellen unterstrich bei seiner ersten Pressekonferenz politische Herausforderungen wie die Schere zwischen Arm und Reich, das kein Ende nehmende „Flüchtlingsdrama“, den Klimawandel und die tiefgreifenden Krise der EU.
Khol-Nominierung als Signal
Noch deutlicher wurde ÖVP-Kandidat Andreas Khol. Er nahm gleich zur Flüchtlingsdebatte Stellung und sprach sich für eine „kapazitätenorientierte Richtschnur“ aus, sichtlich bemüht, das rechtlich schwierige Wort der „Obergrenze“ für Flüchtlinge zu vermeiden. Das Asylthema sei das größte Problem, das Österreich und die ganze EU zu bewältigen habe. Und bei aller Sympathie für leidende Menschen beginne Nächstenliebe auch zu Hause, so Khol.
Alle diese Aussagen kann man so verstehen, dass Khol jedenfalls auch im Pool der potenziellen FPÖ-Wähler fischen will. Schon seine Nominierung nach der Absage von Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll ist ein Signal. Die ÖVP setzt nicht wie beim Amtsantritt von Parteichef Reinhold Mitterlehner angekündigt auf eine moderne, jüngere und weiblichere Linie.
Die „Gretchenfrage“ für Kandidaten
Als einer der Architekten der ÖVP-FPÖ-Koalition 2000 steht Khol für Offenheit gegenüber dem Lager rechts der ÖVP. „Ich glaube, dass ich mir meine Kanten abgeschliffen habe“, sagte er zwar gegenüber Ö1, in der ZIB meinte er aber, kein Problem damit zu haben, als Präsident FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache als Regierungschef anzugeloben. Die Frage ist seit der versteinerten Miene von Bundespräsident Thomas Klestil bei der Angelobung von Schwarz-Blau 2000 der Lackmustest für Kandidaten. Van der Bellen meinte dagegen diesbezüglich, dass die stärkste Fraktion nicht automatisch einen Anspruch auf den Bundeskanzler habe.
FPÖ-Kandidat als Fragezeichen
Die SPÖ schickt Sozialminister Rudolf Hundstorfer ins Rennen. Der zeigte sich bei seiner Präsentation staatsmännisch, konsensorientiert und deutlich weniger angriffig als Khol. Ob er den Spagat, in alle Richtungen offen zu wirken, tatsächlich schafft, bleibt abzuwarten.
Großes Fragezeichen ist die FPÖ, die nun beschloss, erst Ende Jänner über eine Kandidatur zu entscheiden. Der Dritte Nationalratspräsidenten Norbert Hofer selbst hat abgewinkt. Rechnungshof-Präsident Josef Moser, Ursula Stenzel und auch „andere Personen“ sind laut Hofer im Gespräch. Möglich scheint noch immer, dass Strache selbst kandidiert, einfach der Medienpräsenz wegen. Der FPÖ-Chef winkte zuletzt aber eher ab. Dass die FPÖ die unabhängige Kandidatin Irmgard Griss unterstützt, gilt mittlerweile als ausgeschlossen. Strache versicherte zuletzt jedenfalls, sicher einen eigenen Kandidaten aufzustellen.
Fischen in anderen Lagern
Bei mindestens vier, wahrscheinlich fünf starken Bewerbern scheint der Ausgang des ersten Wahlgangs völlig offen. Schon da scheint aber eine Blockbildung Rot-Grün und Schwarz-Blau möglich, vor allem wenn die Flüchtlingsthematik tatsächlich den Wahlkampf bestimmt. Allerdings haben einige der Persönlichkeiten durchaus das Potenzial, aus anderen Parteilagern Stimmen zu holen. Khol könnte einerseits - bei einem weniger starken FPÖ-Kandidaten - aus dem freiheitlichen Pool fischen. Andererseits könnten Stimmen aus dem urban-bürgerlich-liberalen Lager von der ÖVP zu Van der Bellen wandern, der noch dazu in der SPÖ-Klientel auf Sympathien hoffen kann.
Wen Griss Stimmen kosten kann, wird sich wohl erst klären, wenn alle Kandidaten feststehen. Sie wird wahrscheinlich versuchen, alle Lager „anzuknabbern“, könnte im bürgerlichen Bereich aber ein bisschen mehr Erfolg haben. Ein Achtungsergebnis könnte sie erreichen, sie droht aber im Wahlkampf in einer Materialschlacht der Parteien zerrieben zu werden. Zusätzliche unabhängige Kandidaten dürften wohl keine große Rolle spielen.
Showdown der Lager in der zweiten Runde
So fix eine Stichwahl scheint, so unklar ist aus derzeitiger Perspektive, wer den Sprung in die zweite Runde schafft. Es müsste allerdings wohl ein sehr knappes und spezielles Ergebnis im ersten Wahlgang vorliegen, dass einander Hundstorfer und Van der Bellen bzw. Khol und der FPÖ-Kandidat gegenüberstehen werden. Wahrscheinlicher ist, dass das Match dann Rot oder Grün gegen Schwarz oder Blau lautet. Dann müssten sich die unterlegenen Parteien deklarieren, wen sie unterstützen - sei es mit einer richtigen Empfehlung oder zwischen den Zeilen. Alles andere als ein Lagerwahlkampf SPÖ-Grüne gegen ÖVP-FPÖ wäre dann eine sehr große Überraschung.
Nächster Belastungstest für Regierung?
Das wiederum könnte das ohnehin angespannte Verhältnis in der Regierungskoalition weiter belasten. Einen Landtagswahlkampf gegeneinander zu führen ist die eine Sache und Routine. Aber auf Bundesebene zu konkurrieren und mit aktuellen und brisanten politischen Themen - zu denen man eigentlich eine gemeinsame Linie haben sollte - gegeneinander zu rittern, ist eine völlig andere.
Christian Körber, ORF.at
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