Rechts-Wende erinnert an Ungarn
Polens neue nationalkonservative Führung drückt aufs Tempo. Kaum eine Weihnachtsruhe gönnte sich die Mehrheitsfraktion der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski. Kurz vor dem Fest peitschte sie im Parlament die umstrittene Reform des Verfassungsgerichts durch. Sie läuft auf eine Lahmlegung der Verfassungshüter hinaus. Noch am Silvestertag verabschiedeten die PiS-Abgeordneten das neue Mediengesetz. Es sieht die Ernennung von Direktoren der öffentlich-rechtlichen Medien durch die Regierung vor.
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Gerechtfertigt werden die auch von Brüssel beanstandeten Eingriffe in den demokratischen Rechtsstaat mit der Notwendigkeit, den bisher angeblich von „Kommunisten“ und „Vaterlandsverrätern“ durchsetzten Staat umzubauen. Die hätten nämlich die Heimat in einem „neuen Mix von Kulturen und Rassen“ auflösen wollen, befand der neue Außenminister Witold Waszczykowski im Interview mit der deutschen „Bild“-Zeitung. So gelte es, „eine Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die ... gegen jede Form der Religion kämpft“, abzuwenden, fügte er hinzu.
Inhalte und Stoßrichtung der polnischen Veränderungen erinnern stark an die Vorgänge in Ungarn. Nach seinem Wahlsieg 2010 schuf auch der rechtskonservative Regierungschef Viktor Orban ein neues, repressives Medienrecht. Die öffentlich-rechtlichen Sender sind seitdem strikt gelenkte Sprachrohre der Regierung. Auch in Budapest wurde das Verfassungsgericht zuerst entmachtet und dann mit eigenen, loyalen Parteigängern Orbans besetzt.
Popularität durch Konflikt mit EU
Auch Orbans Propagandisten begründen diese Maßnahmen mit der angeblichen Notwendigkeit eines Bruchs mit der kommunistischen Vergangenheit - mehr als 20 Jahre nach der Wende. Nur so könnten die wahren nationalen und christlichen Werte zur Geltung gebracht werden. Orban ließ eine neue Verfassung schreiben, in der die Zugehörigkeit zum Christentum und zur ungarische Nation über den individuellen Freiheits- und Bürgerrechten steht.
Ob in demokratiepolitischen Fragen, ob in der grundsätzlichen Ablehnung von Flüchtlingen: Orban macht es seit Langem vor, wie man EU-Prinzipien und EU-Recht ignorieren und in Konflikten mit der EU die Popularität im eigenen Land steigern kann. In der Region wird das offenbar aufmerksam beobachtet. „Robert Fico in der Slowakei und Kaczynski in Polen kopieren Orbans Politik“, meint der Budapester Politikwissenschaftler Peter Kreko. „Was Orban mit Erfolg anwendet, machen ihm die Populisten der Region nach.“ Noch vor Amtsantritt deutete Waszczykowski Widerstand gegen die von seinen Vorgängern akzeptierten Verpflichtungen bei der Aufnahme von Flüchtlingen an.
Widerstand regt sich
Doch bei all den Gemeinsamkeiten bestehen auch Unterschiede. So hat Polens eigentlich starker Mann, PiS-Parteichef Kaczynski, keine Funktion in Staat und Regierung. Staatspräsident Andrzej Duda und Ministerpräsidentin Beata Szydlo stehen zwar formal an der Spitze - aber das Programm der neuen Regierung trägt deutlich die Handschrift Kaczynskis. In Ungarn wäre es undenkbar, dass jemand anderer als der Alleinentscheider Orban das Amt des Ministerpräsidenten bekleidete.
Orbans Regierungspartei FIDESZ (Bund Junger Demokraten) ist zudem - anders als Polens PiS - Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP). Was Orban auch macht, Verurteilungen und Sanktionen seitens des Europaparlaments scheitern am Veto der EVP. Die EU-Kommission wiederum verzettelt sich mit Orbans Juristen in technische Mikrodebatten über beanstandete Gesetze, die von Budapest meist so abgeändert werden, dass ihre demokratieabbauende Wirkung erhalten bleibt. Im Fall Polens könnte ein neuer EU-Kontrollmechanismus zum Zug kommen.
Brok: Polen ist größere Herausforderung
Auf internationalem Parkett tritt Orban geschmeidiger auf als Kaczynski, der vor allem in Deutschland einen ewigen Widersacher wittert und laut über das Thema Entschädigungszahlungen spekulierte. So glaubt der Europaabgeordnete Elmar Brok (CDU), dass Polens Herausforderung für die EU eine „andere Dimension (hat) als im Falle Ungarn, wo man mit dem Machtpolitiker Viktor Orban bei allen Differenzen zumindest immer reden kann“. Das mag auch am polnischen Selbstbewusstsein liegen: Unabhängig von der politischen Couleur sahen Warschauer Politiker ihr Land schon immer als Schwergewicht in der Region.
Ob sich das Modell Orban auf Polen übertragen lässt, scheint vorerst offen. Immerhin regt sich dort ernsthafter Widerstand gegen die Methoden der neuen Herrschenden. Zehntausende demonstrieren auf den Straßen. Doch auch in Ungarn hatte es zeitweise beachtliche Proteste gegeben: gegen das Mediengesetz, gegen die neue Verfassung, gegen die - später nicht eingeführte - Internetsteuer. Sie sind inzwischen verpufft.
Eva Krafczyk und Gregor Mayer, dpa
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