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Abkehr von der Abkehr

Die europäische Geheimdienstpolitik in Syrien setzt offenbar auf einen Kurswechsel. Bisher galt die Zusammenarbeit mit dem syrischen Geheimdienst wegen der ihm angelasteten Verbrechen als politisch gefährliches Terrain und wurde deshalb zumindest offiziell eingestellt. Doch mit der Stärkung der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) geben mehrere Staaten Signale für einen Kurswechsel.

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Einem Bericht der deutschen „Bild“-Zeitung (Freitag-Ausgabe) zufolge soll der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) wieder dauerhaft Mitarbeiter in der syrischen Hauptstadt Damaskus stationieren. Es gehe darum, die Zusammenarbeit mit dem syrischen Geheimdienst voranzutreiben, schreibt das Blatt.

Dem Bericht zufolge wollen die Deutschen auf diesem Weg unter anderem Gesprächskanäle öffnen, falls es beispielsweise zu einem Vorfall mit einem deutschen Aufklärungsjetpiloten kommen sollte. Deutschland beteiligt sich derzeit vorerst auf ein Jahr befristet mit der Entsendung von Aufklärungs- und Tankflugzeugen, einer Fregatte und Stabspersonal an dem Kampf gegen den IS in Syrien.

Beredtes Schweigen

Die Vorbereitungen für die Einrichtung einer Residentur, also einer dauerhaften Einrichtung, würden mit Wissen der deutschen Regierung laufen, Treffen zwischen syrischen und deutschen Geheimdienstmitarbeitern fänden bereits regelmäßig statt. Weiters gehe es um Informationsaustausch hinsichtlich islamistischen Terrorismus. Die Geheimdienstmitarbeiter könnten etwa in die derzeit geschlossene deutsche Botschaft in Damaskus ziehen. Diese wurde aus Sicherheitsgründen 2012 aufgelöst. Endgültig entscheiden wolle man Anfang 2016, heißt es laut „Bild“-Zeitung.

Die deutsche Regierung wollte den Bericht am Freitag nicht bestätigen. Zu solchen operativen Details der Arbeit des BND könne sie nicht Stellung nehmen, sagte die deutsche Vizeregierungssprecherin Christiane Wirtz in Berlin. Der BND selbst machte auf AFP-Anfrage zu dem Thema ebenfalls keine Angaben. Zu „operativen Aspekten seiner Arbeit“ äußere der Dienst sich nur gegenüber der Regierung und den zuständigen Bundestagsgremien, teilte eine Sprecherin mit. Syriens Präsident Baschar al-Assad behauptete in einem Interview mit dem niederländischen Fernsehsender NPO2 von Donnerstag, dass mehrere europäische Geheimdienste Kontakt mit Damaskus aufgenommen hätten.

Französische Geheimdienstler kritisieren Rückzug

Grundsätzlich blieb der BND im Gegensatz zum französischen Geheimdienst im Laufe des syrischen Bürgerkriegs trotz ideologischer Bedenken aktiv. Das ließ zumindest der französische Ex-Inlandsgeheimdienstchef Bernard Squarcini in einem Interview mit dem Wochenmagazin „Valeurs Actuelles“ nach den Terroranschlägen vom 13. November in Paris anklingen. Mit dem Interview sorgte Squarcini für Aufregung, weil er das Aus der Kooperation zwischen Paris und Damaskus angeprangert hatte.

Frankreich sei wegen der Ablehnung des syrischen Geheimdienstes auf Zulieferung durch den BND angewiesen, der das brisante Thema pragmatischer behandelt habe: „Wir verlieren viel Zeit mit der Anfrage bei den deutschen Geheimdiensten, die immer an Ort und Stelle geblieben sind, oder auch bei den Kollegen in Jordanien, Russland, den USA und der Türkei", so Squarcini. Er habe auf Druck der französischen Regierung eine Liste der Franzosen, die in Syrien kämpfen“ ablehnen müssen - aus „ideologischen Gründen“.

Geheimdienste sollen „mit dem Teufel essen“

Unter seinen Kollegen erntete Squarcini größtenteils Zustimmung. Zwei von der AFP befragte Geheimdienstmitarbeiter sprachen sich beispielsweise vor dem Hintergrund der Attentate dafür aus, die Kooperation mit Assad wiederaufzunehmen, obwohl die Regierung für Hunderttausende Tote verantwortlich sei. „Die Spezialdienste sind dafür da, mit dem Teufel zu essen. Sonst brauchte man uns ja nicht“, sagte Alain Chouet, früherer Chef des Spionagedienstes DGSE. Für offizielle Kontakte gebe es seiner Ansicht nach Diplomaten.

Trotz amtlicher Dementis sei es aber nicht ausgeschlossen, dass es weiter geheime Verbindungen zwischen Paris und Damaskus gegeben habe, sagte der frühere Direktor eines anderen französischen Spionagedienstes, der anonym zitiert werden wollte. „Informationsbeschaffung ist ein pragmatisches Metier. Wenn du den Eindruck hast, ein ausländischer Geheimdienst könnte dir Nützliches liefern, kannst du dich über die offizielle Haltung hinwegsetzen und sagst es einfach niemandem.“

Nationaler Austausch

Der französische Geheimdienst stand nach den Anschlägen von Paris schwer in der Kritik. So habe beispielsweise der Geheimdienst der Türkei Frankreich mehrmals über die Radikalisierung von Omar Ismail Mostefai, einen der Paris-Attentäter, informiert - ohne Rückmeldung. Außenminister Laurent Fabius behauptete später, ihm seien keine Warnungen bekannt gewesen. Er gab allerdings zu, dass der verstärkte Austausch von Informationen zwischen nationalen Geheimdiensten eine Notwendigkeit sei.

Diesen forderten die europäischen Staaten angesichts der sicherheitspolitischen Lage in den vergangenen Monaten immer wieder. Wichtig, so der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) sei auch die Kooperation mit Diensten außerhalb Europas. Die Zusammenarbeit etwa mit der Türkei und anderen Staaten in der Region sei „ausschlaggebend für die Sicherheit“ der Bürger.

Mehrheit gegen EU-Geheimdienst

Noch keine Zustimmung gibt es hingegen für einen eigenen EU-Geheimdienst. Den hatte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos gefordert. Andernorts ist die Begeisterung eher gering - immerhin fällt die Geheimdienstarbeit in die nationalen Kompetenzen. Bei der EU gibt es bisher nur ansatzweise eine Stelle, die sich mit Geheimdienstinformationen befasst: das Intelligence Analysis Centre (Intcen), das im Bereich der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini angesiedelt ist. Die Stelle ist klein und abhängig von den Informationen der nationalen Dienste.

Russland kooperiert eng

Enge Verbindungen mit Syriens Geheimdienst pflegt Russland. Offiziellen Verlautbarungen des russischen Verteidigungsministerium zufolge besitze Moskau unter anderem deswegen „exakte Angaben“ über die Position der „Feinde“. Auch die Geheimdienste des Irak und des Iran gehören mittlerweile zu einer Allianz der Militärgeheimdienste. Die vier Staaten bilden einen Ausschuss, um die Erkenntnisse ihrer Militärgeheimdienste auszutauschen und gemeinsam zu analysieren. Insgesamt sei eine bessere „Koordinierung“ vorgesehen. Es gehe darum, die „Bewegung von Terroristen zu überwachen“ und deren Schlagkraft zu mindern.

Schwere Vorwürfe

Die Zusammenarbeit mit Syriens Geheimdienst ist hochumstritten, da ihm als Instrument der Assad-Regierung schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen und Morde im syrischen Bürgerkrieg angelastet werden. Erst kürzlich prangerte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (WRW) nach der Prüfung von Fotos Tausender Folteropfer in Gefängnissen des syrischen Staates schwere Verbrechen an.

Ein früherer Fotograf der syrischen Militärpolizei mit dem Decknamen Cesar war Mitte 2013 aus Syrien geflohen und hatte mehr als 53.000 verstörende Bilder aus dem Land geschmuggelt. Die Bilder zeigten die Leichen von etwa 6.000 syrischen Gefangenen, viele wiesen schwere Folterspuren auf, teilte HRW weiter mit. Einigen Häftlingen wurden die Augen ausgestochen, andere hatten Verletzungen am Rücken oder am Bauch, viele waren stark abgemagert.

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