Pilztrip zum Selbstbasteln
Kappe, Latzhose und Schnurrbart sind seine Markenzeichen: Superinstallateur Mario ist eine Ikone der digitalen Spielewelt. Zum 30. Jahrestag seines ersten Abenteuers spendierte Nintendo den Fans Mitte September 2015 „Super Mario Maker“. Der moderne Level-Baukasten soll den alternden Videospielhelden dabei im Kampf gegen Schildkröten, Smartphones und YouTube unterstützen.
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Es dauerte bis zum September 1985, bis Mario „super“ wurde. Zwar trat der digitale Handwerker schon ein paar Jahre zuvor in Nintendos Videospiel „Donkey Kong“ in Erscheinung und fand den Weg auf diverse Spieleautomaten und Tricotronics, die Vorgänger der mobilen Spielekonsolen. Doch erst mit seinem eigenen Abenteuer „Super Mario Bros.“ schafften Nintendo und sein Maskottchen den Einzug in die Popkultur. Mit über 40 Millionen verkauften Exemplaren bis heute zählt der Titel zu den erfolgreichsten Videospielen aller Zeiten.

Nintendo/ORF.at
„Super Mario Bros.“ konnte 1985 mit - nach heutigen Maßstäben - einfacher Grafik überzeugen
Der japanische Hersteller hatte dabei auch Glück mit dem Timing: Der amerikanische Videospielmarkt erholte sich Mitte der 80er von einem kompletten Zusammenbruch, der binnen kürzester Zeit die Milliarden- zur Millionenindustrie schrumpfen ließ. Während einst große Hersteller wie Atari in der Versenkung verschwanden, veröffentlichte Nintendo seine neue Spielkonsole in den USA - und „Super Mario“ war das Spiel, das die Dominanz des japanischen Entwicklers auf dem westlichen Markt für die kommenden Jahre fixierte.
Schlaflose Nächte im „Mushroom Kingdom“
Das Spielprinzip wurde dabei bewusst einfach gehalten und auch in den Fortsetzungen praktisch unverändert übernommen. Mario muss auf seiner Reise durch ein magisches Pilzkönigreich hüpfen, laufen und dabei zahlreichen Gegnern ausweichen. Das Konzept ist auch für Anfänger leicht verständlich, um die Level zu meistern, braucht es aber einiges an Übung. Mit dieser Formel sorgte Nintendo nicht nur für schlaflose Nächte vor dem Fernseher, viele Nachahmer wollten ebenfalls am plötzlichen Erfolg des „Jump’n’Run“-Genres teilhaben.
Zu einem - durchaus umstrittenen - Standard avancierte auch die Story, die gleich in mehreren Teilen dasselbe Klischee bediente: Es gibt eine hilflose Prinzessin, die von Superheld Mario gerettet werden muss. Das veraltete Rollenbild ist heute Gegenstand zahlreicher, mitunter hitzig geführter Diskussionen unter Spielern. Für besonders großen Aufruhr in der Gaming-Community sorgte die „Feminist Frequency“-Reportagereihe, die Videospiele von einem feministischen Standpunkt kritisch betrachtet und dafür immer wieder „Super Mario“-Spiele als Negativbeispiel heranzieht.
„Super Mario“ vs. 21. Jahrhundert
Abseits der Sexismusvorwürfe hat Nintendo aber noch mit ganz anderen Herausforderungen zu kämpfen: Mit dem Smartphone als ständigem Begleiter sinkt die Nachfrage nach einer zusätzlichen Spielekonsole - vor allem, wenn Verkaufsschlager wie „Minecraft“ durch ihr frisches Spielkonzept längst mit der Popularität des altgedienten Videospiel-Stars mithalten können. Die Verkaufszahlen stellen Nintendos bisheriges Festhalten an eigener Hardware jedoch infrage: Während die Heimkonsole Wii noch ein voller Erfolg war, erweist sich Nachfolger Wii U als Ladenhüter.
Und obwohl der tragbare 3DS von einem ähnlichen Schicksal verschont blieb und sich trotz Smartphone-Dominanz gut verkauft, kündigte der jüngst verstorbene Nintendo-Geschäftsführer Satoru Iwata noch Anfang des Jahres ein eigenes Smartphone-Angebot an. Schon ab Herbst sollen erste Titel für iPhones und Android-Handys erscheinen, darunter auch ein neues Spiel aus der „Pokemon“-Reihe, einem weiteren Zugpferd des Unternehmens.
Neues Konzept für die YouTube-Generation
Auch in seinem Kerngeschäft betritt der japanische Konzern Neuland, wie sich an der jüngsten „Super Mario“-Variante zeigt. Nach weit über 100 Spielen mit dem vielseitigen Handwerker gibt es für die Spieler erstmals die Möglichkeit, selbst in die Rolle von Mario-Erfinder Shigeru Miyamoto zu schlüpfen. In „Super Mario Maker“ können eigene Level erstellt werden, die man wahlweise selbst durchspielen oder mit der Onlinecommunity teilen kann - ein Prinzip, mit dem etwa Sony bei „Little Big Planet“ bereits einigen Erfolg hatte. Schon vor der Veröffentlichung finden sich zahlreiche Videos solcher Spielwelten auf YouTube.

Screenshot von supermariomaker.nintendo.com
In „Super Mario Maker“ können Spieler erstmals ihre eigenen Levels bauen
Damit kommt Nintendo einer neuen Generation von Gamern entgegen, die einen gänzlich anderen Umgang mit Medien pflegt. Auf Streamingplattformen wie Twitch, das sich explizit an Gamer richtet, und dem kürzlich an den Start gegangenen Konkurrenzangebot von YouTube steht nicht mehr nur das Spiel, sondern vor allem der Spieler im Mittelpunkt. Dadurch rücken jene Titel in den Fokus, die Platz für Individualität bieten. Egal, ob „Minecraft“, „Little Big Planet“ oder „Die Sims“: Eigene Kreationen zeigen zu können ist heute angesagter, als ein stets gleichbleibendes Spielerlebnis auf Video festzuhalten.
„Super Mario“ lernt dazu
Ausgerechnet Nintendo, das im Umgang mit YouTube und Co. vor allem durch starres Beharren auf dem Urheberrecht und entsprechenden Abmahnungen regelmäßig die Community verärgert, geht mit „Super Mario Maker“ einen großen Schritt auf die Fans zu. Dass der Bedarf nach Eigenkreationen im „Mario-Universum“ da ist, zeigt sich an der langen Tradition talentierter Hacker, die schon seit den 90ern Originalspiele verändern, um neue Welten, Charaktere und Spielmechaniken einzubauen und - trotz rechtlicher Grauzone - die neuen Inhalte mit anderen Gamern teilen.
Mit dem „Bastle dein eigenes Spiel“-Prinzip in „Super Mario Maker“ will Nintendo eine neue Zielgruppe für die Erfolgsreihe gewinnen, ohne bisherige Fans zu verärgern. Nebenbei sollen damit auch 30 Jahre Entwicklung nachgeholt werden, die an „Super Mario“ oft vorbeigezogen sind. Der Level-Baukasten ist modern und macht auch länger Spaß - die Zukunft des Helden in Latzhosen ist damit für eine weitere (Konsolen-)Generation gesichert. Ob es allerdings ausreicht, die nächsten 30 Jahre immer nur die Prinzessin zu retten, werden die Spieler erst entscheiden müssen.
Florian Bock, ORF.at
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