Terrorbedrohung als Argument
Einen Krieg wolle er nicht gegen die Türkei führen, hat der russische Außenminister Sergej Lawrow am Mittwoch bekräftigt. Ohne Konsequenzen werde der Abschuss eines russischen Kampfjets durch türkische Abfangjäger aber auch nicht bleiben, so der Außenminister. Einen ersten Vorgeschmack darauf gab Moskau bereits.
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In einer Woche ist erst einmal Schluss mit türkischem Hühnerfleisch in Russland. Mit 1. Dezember tritt ein Importverbot in Kraft, meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax. Die türkische Wirtschaft dürfte das nur mäßig treffen. Gerade einmal 15 Millionen Euro im Jahr macht der türkische Hühnerfleischhandel mit Russland aus. Doch ein Schuss vor den Bug ist die Maßnahme allemal.
Zudem will Russland die Kontrollen über Lebensmittelimporte aus der Türkei verschärfen. Der russische Landwirtschaftsminister Alexander Tkatschew begründete das am Donnerstag mit „wiederholten Verletzungen russischer Normen durch türkische Hersteller“. Er verwies dabei etwa auf „verbotene und schädliche Substanzen“ sowie stark erhöhte Pestizid- und Nitratwerte. Von den Maßnahmen könnten 15 Prozent der landwirtschaftlichen Importprodukte in Russland betroffen sein.
Millionen Touristen könnten ausbleiben
Vor allem da sie nicht alleine daherkommt. Bereits am Dienstag stornierten einige russische Reiseveranstalter bis auf Weiteres alle Reisen in die Türkei. Das könnte der dortigen Wirtschaft schon eher zu schaffen machen. Immerhin 3,3 Millionen Russen besuchten im vergangenen Jahr die Türkei und stellten damit nach den Deutschen die größte Touristengruppe.
Für die Zukunft hätten vor allem die türkischen Badeorte sogar noch mit einem größeren russischen Interesse gerechnet: Nach dem mutmaßlichen Terroranschlag auf ein russisches Passagierflugzeug über dem Sinai stellten russische Airlines ihre Flüge zum ägyptischen Urlaubsort Scharm al-Scheich ein. Türkische Badeorte wären für russische Urlauber ein naheliegendes Ausweichziel gewesen, sie benötigen für diese auch kein Visum. Zehntausende russische Urlauber buchten ihren Urlaub von Ägypten auf die Türkei um.
Lawrow: Türkei nicht sicherer als Ägypten
Doch nun ist es gerade die Terrorangst, mit der Moskau gegen den türkischen Tourismus mobilisiert. In der Türkei sei es nicht sicherer als in Ägypten, sagte Lawrow bereits am Dienstag. Sowohl er als auch der russische Präsident Wladimir Putin unterstellten der Türkei überhaupt, gemeinsame Sache mit Terroristen zu machen. Als „Helfershelfer von Terroristen“ bezeichnete Putin die Türkei. Und Lawrow erklärte, Terroristen nutzten „das türkische Territorium, um dort Operationen in Syrien und anderen Ländern vorzubereiten“.
Mit Blick auf die Terrorgefahr wird zurzeit sogar überlegt, alle Flüge aus Russland in die Türkei einzustellen. Das würde allerdings nicht nur den türkischen Tourismus treffen. Auch Russlands Fluglinien würden eine solche Maßnahme schmerzhaft spüren. Russlands Marktführer Aeroflot bietet etwa pro Woche 35 Verbindungen in die Türkei an.
Enge Beziehungen in Energie- und Baubranche
Sollte Moskau mit den angedrohten Konsequenzen ernst machen, könnte das aber nicht nur für den Tourismus Folgen haben. Als Reaktion könnten wichtige gemeinsame Projekte gestoppt werden, teilte Ministerpräsident Dmitri Medwedew am Mittwoch in einer Erklärung auf der Internetseite der Regierung mit. Türkische Unternehmen könnten zudem Marktanteile in Russland verlieren.
Konkret wurde der Regierungschef nicht. Ein möglicher Hebel Moskaus liegt aber neben dem Tourismus vor allem in der Bau- und Energiebranche. Russische Projekte trugen in den vergangenen Jahren einen großen Teil zum Boom der türkischen Bauindustrie bei. Zugleich bezieht die Türkei mehr als die Hälfte ihrer Gaslieferungen aus Russland. Ein Drittel der importieren Kohle und immerhin rund 15 Prozent des Erdöls wurden in Russland aus dem Boden geholt.
Kernkraftwerk in Frage gestellt
Sollte Russland bei den Energielieferungen an der Preisschraube drehen, könnte das die Regierung in Ankara und den neuen Energieminister Berat Albayrak - immerhin Schwiegersohn von Präsident Erdogan - in Erklärungsnot bringen. Aktuell ist Erdgas in der Türkei relativ billig, auch wegen der günstigen Konditionen, die Ankara bisher mit Moskau ausgehandelt hatte. Allerdings versicherte der stellvertretende Energieminister Anatoli Janowksi bereits am Dienstag, dass Russland seine Gaslieferungen „im Einklang mit den abgeschlossenen Verträgen durchführen werde“.
Dafür nannte Kreml-Sprecher Dimitri Peskow am Mittwoch ein ganz konkretes Projekt, das durch den Zwischenfall im syrisch-türkischen Grenzgebiet gefährdet sei. Für 22 Milliarden Dollar (20,8 Mrd. Euro) soll der russische Atomkonzern Rosatom im Südwesten der Türkei ein Atomkraftwerk bauen. Das - auch in der Türkei umstrittene - Großprojekt sei nun gefährdet, so Peskow.
Prestigeprojekt „Turkish Stream“
Und dann ist da noch „Turkish Stream“. Unter diesem Namen planen Russland und die Türkei eine Gasleitung durch das Schwarze Meer. Sie soll von Südrussland unter dem Meer in den europäischen Teil der Türkei laufen und das durch die Krim-Krise gescheiterte „South Stream“-Projekt ersetzen. Doch auch Turkish Stream ist seit Monaten in der Schwebe. Der russische Gaskonzern Gasprom strich erst im Oktober die Baupläne von vier auf zwei Stränge zusammen.
Doch am Bau selbst hielten die beiden Länder bisher fest. Mitte November bekräftigten Putin und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan das Vorhaben beim G-20-Gipfel in Antalya. Die Verhandlungen sollten fortgesetzt werden, wenn in Ankara die neue Regierung ins Amt komme, hieß es damals. Am Dienstag stellte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu schließlich sein neues Kabinett vor - nur wenige Stunden nach dem Abschuss des russischen Kampflugzeugs.
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