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Unterschiedliche Strategien, gleiches Ziel

Die Anschläge der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Paris haben die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigen Industrie- und Schwellenländer enger zusammengeschweißt. Bei ihrem am Montagnachmittag zu Ende gegangenen Gipfel im türkischen Belek nahe Antalya wird in der Abschlusserklärung ein starkes Signal gegen den weltweiten Terrorismus erwartet.

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Während man sich im Grundsatz einig scheint, ist nach wie vor offen, wie die einzelnen Aktanten die gewählten Formulierungen für sich interpretieren und ob damit tatsächlich ein Konsens erzielt wird. Wie der „Guardian“ berichtet, kommt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin dabei eine Schlüsselrolle zu. Auch er plädierte für Konsens im Kampf gegen den Terror, spricht sich aber noch immer für eine Syrien-Lösung unter Einbindung von Machthaber Baschar al-Assad aus. Russland wird vorgeworfen, mit seinen Luftangriffen Gegner des Assad-Regimes anzugreifen und weniger den IS.

Seit Sonntagabend bemühten sich die westlichen Staatschefs nun in Zweiergesprächen, Putin auf einen gemeinsamen Kurs einzuschwören. Aus Moskauer Sicht ist eine gemeinsame Linie gegen den Terrorismus jedoch schwierig zu finden. Dazu sei „filigrane diplomatische Arbeit“ nötig, sagte Putins Sprecher. Die Interessen und Ansätze der westlichen Länder seien verschieden. „Wenn man glaubt, dass der Westen zu 100 Prozent einheitlich ist in seiner Position, liegt man falsch“, sagte Kreml-Sprecher Dimitri Peskow am Montag nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur TASS.

„Bei der Taktik gehen die Seiten auseinander“

US-Präsident Barack Obama und Putin etwa trafen einander zu einem halbstündigen vertraulichen Gespräch über die Zukunft Syriens, nachdem sie die Ergebnisse der Verhandlungen von Wien einhellig gelobt hatten. „Bei den strategischen Zielen im Kampf gegen den IS sind sie nahe beieinander, doch bei der Taktik gehen die Seiten auseinander“, sagte der Putin-Berater Juri Uschakow nach dem Treffen. Obama betonte den Angaben nach, dass alle Nationen den IS angreifen müssten. Auch Russlands Einsatz sei wichtig. Der Westen hält Moskau vor, weniger den IS als andere Gegner von Präsident Baschar al-Assad zu bombardieren, um das Regime zu stützen.

US-Präsident Barack Obama und Russlands Präsident Wladimir Putin

APA/AP/RIA-Novosti

Im Vorfeld des Gipfels galt ein offizielles Zusammentreffen zwischen Obama und Putin als unwahrscheinlich

Über ein Zweiertreffen zwischen Obama und Putin beim Gipfel der großen Industrie- und Schwellenländer war vorher viel spekuliert worden. TV-Bilder zeigten, wie die Präsidenten mit der amerikanischen UNO-Botschafterin Susan Rice und einem Dolmetscher beieinander saßen. Zweites Thema des etwa halbstündigen Treffens war die Ukraine.

Die fortdauernden Meinungsverschiedenheiten betonte auch der russische Vizeaußenminister Michail Bogdanow. Anders als die USA stufe Russland die schiitische Hisbollah und die palästinensische Hamas nicht als Terrorgruppen ein, sagte er in Moskau. Die syrische Kurdenpartei PYD, ein Ableger der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, sei für beide Seiten nicht terroristisch - wohl aber für die Türkei.

Auch Merkel sprach mit Putin

In der Nacht sprachen auch noch Putin und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel über Möglichkeiten für einen Friedensprozess. Grundlage für das 40-minütige Treffen am Rande des G20-Gipfels war die Syrien-Konferenz der Außenminister in Wien am Vortag, hieß es in deutschen Regierungskreisen. Merkel sprach bei Putin auch den Konflikt um die Ukraine an. Dabei sei es um die weitere Umsetzung des im weißrussischen Minsk im Februar vereinbarten Friedensabkommens gegangen. Nähere Angaben wurden nicht gemacht.

Deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin

APA/AP/Alexander Zemlianichenko

Putin und Merkel trafen einander in der Nacht

Für Montag steht nun noch ein Zweiergespräch mit dem britischen Premier David Cameron auf Putins Agenda. Er wolle Putin erklären, dass Russland und Großbritannien sicherer würden, wenn der IS zerstört würde. Darauf müsse man sich konzentrieren. „Großbritannien hatte seine Differenzen mit Russland, nicht zuletzt, weil sie auch die nicht zum IS gehörende Opposition Syriens bekämpfen. Das sind aber Menschen, die in der Zukunft von Syrien eine Rolle spielen werden.“

Mehr koordinierte Anstrengung

Der Terrorismus und die Flüchtlingskrise dominieren den zweitägigen Gipfel nach den Anschlägen von Paris mehr denn je. Wirtschaftsfragen, die Verringerung der Kluft zwischen Arm und Reich, ein gerechteres globales Steuersystem und der Klimaschutz sind als weitere Themen in den Hintergrund getreten. Auch UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon rief die G-20 zu mehr Gemeinsamkeit im Kampf gegen den Terror auf. „Wir brauchen viel mehr koordinierte Anstrengung.“

Obama kündigte an, verschärft gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) vorzugehen und nach einer Lösung im Syrien-Konflikt zu suchen, um die Ursachen für Terrorismus und Flüchtlingsbewegungen zu beseitigen. „Der Himmel hat sich verdunkelt durch die schrecklichen Angriffe, die in Paris stattfanden“, sagte Obama nach einem Treffen mit dem Gastgeber und türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Das gelte auch für den Anschlag in Ankara mit mehr als 100 Toten.

Recep Tayyip Erdogan und Barack Obama

APA/EPA/Tolga Bozoglu

Erdogan und Obama auf dem Gipfel

Erdogan selbst kündigte eine „harte Antwort“ auf den Terror an. Laut vertraulichen Angaben von Diplomaten drängten vor allem die USA, Großbritannien und Deutschland auf eine nochmalige Überarbeitung der geplanten Abschlusserklärung. Neben der eigentlich geplanten Gipfelerklärung sollte nach Angaben mehrerer Delegationen in Antalya eine Sondererklärung zum Terrorismus verabschiedet werden. Viele Teilnehmer drängten jedoch vor Beginn des Gipfels auf eine möglichst konkrete und tatkräftige „Antwort“.

Frankreich will Schritte gegen Terrorfinanzierung

EU-Ratspräsident Donald Tusk rief die G-20 zu konkreten Schritten auf. „Frankreich erwartet Taten“, sagte Tusk. In einem indirekten Hinweis auf Russland forderte er „jeden der G-20-Anführer“ dazu auf, sich bei Militäreinsätzen in Syrien auf die Terrormiliz IS zu konzentrieren. „Sie sind der wahre Feind der freien Welt, nicht die moderate syrische Opposition.“ Frankreichs Finanzminister Michel Sapin verlangte konkrete Maßnahmen gegen die Terrorfinanzierung.

Sapin vertrat gemeinsam mit Außenminister Laurent Fabius den französischen Staatspräsidenten Francois Hollande, der wegen der Anschläge und der anhaltenden Bedrohungslage in Paris geblieben war. Auch Sapin machte deutlich, dass Paris auf mehr hofft als auf Worte. „Über Solidarität und Mitgefühl hinaus will Frankreich konkrete Entscheidungen für den Kampf gegen die Terrorfinanzierung“, sagte er der Nachrichtenagentur AFP.

Ernste Mahnung „nach innen“ von Juncker

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mahnte vor allem die EU selbst, die Terroristen von Paris nicht mit jenen zu „verwechseln, die gute Gründe haben, an unsere Tür zu klopfen. (...) Diejenigen, die diese Angriffe organisieren, und diejenigen, die sie ausgeführt haben, sind genau diejenigen, vor denen die Flüchtlinge fliehen.“ Am Samstag hatte etwa die neue polnische Regierung ein Ausscheren aus der EU-Flüchtlingsvereinbarung angekündigt und das mit dem Terror von Paris begründet.

G20-Gruppenbild

AP/Susan Walsh

Die Staats- und Regierungschefs beim traditionellen Gruppenfoto

Zumindest ein Bekenntnis in dieser Hinsicht dürfte es geben: In einem am Sonntag von Medien zitierten Entwurf zur Abschlusserklärung heißt es: „Das Ausmaß der anhaltenden Flüchtlingskrise“ sorge für „weltweite Besorgnis mit großen humanitären, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen“, heißt es darin. „Eine koordinierte und umfassende Antwort ist nötig, um diese Krise und die langfristigen Konsequenzen anzugehen.“

NGOs loben „positive Sprache“

Die G-20-Staaten versprechen, ihre Bemühungen zum Schutz und zur Unterstützung der Flüchtlinge zu verstärken. Es müssten „dauerhafte Lösungen“ gefunden und die politischen Konflikte angepackt werden. Alle Staaten werden aufgerufen, zur Bewältigung der Krise beizutragen und „die damit verbundene Verantwortung zu teilen“. Entwicklungsorganisationen wie Oxfam begrüßten die „sehr positive Sprache“ und das Versprechen, mehr Unterstützung für die Flüchtlinge zu leisten.

Unmissverständlich festgelegt haben sich die G-20-Staaten vorerst aber nur auf die eigene Agenda: Deutschland wird Ende 2016 die G-20-Präsidentschaft übernehmen. „Wir freuen uns auch, uns 2017 in Deutschland zu treffen“, heißt es in dem Entwurf des Abschlusskommuniques. Schon zuvor klar war, dass China am 1. Dezember die Präsidentschaft von der Türkei übernimmt. Im kommenden Jahr findet der nächste G-20-Gipfel in der ostchinesischen Stadt Hangzhou statt.

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