Großstädter suchen das „echte Leben“
Mit seinem Onlineprojekt „Social Street“ in Bologna wollte Gründer Federico Bastiani das Prinzip der Nachbarschaft wiederbeleben. Ausgerechnet mit Hilfe der virtuellen Facebook-Vernetzung lernte er die Bewohner seiner Straße im „echten“ Leben kennen. Aus 1.000 Facebook-Freunden wurden Nachbarn, die man nun persönlich kennt. Jetzt folgen Städter auf der ganzen Welt Bastianis Idee.
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„Das Leben hier hat sich grundlegend verändert“, sagte Bastiani im Gespräch mit ORF.at. „Wir fühlen uns mit unseren Alltagssorgen nicht mehr alleine und anonym, sondern können uns auf unsere Nachbarn verlassen“. Seit es die Facebook-Gruppe „Via Fondazza“ gibt, helfen sich die Bewohner der Straße in Bologna gegenseitig, wo sie können.
Ob Einkäufe, Kinderbetreuung oder Reparaturen – immer sei schnell jemand zur Seite, egal, was man braucht, sagte Bastiani. Die Nachbarn würden Zugtickets austauschen, die sie nicht mehr brauchen, ihre Möbeltransporte gemeinsam organisieren und Feste planen. Menschen ohne Auto können über die Facebook-Gruppe eine Mitfahrgelegenheit vor ihrer Haustüre finden.
Das Potenzial Sozialer Medien
Als Bastiani seine geschlossene Facebook-Gruppe „Via Fondazza“ 2013 gründete, konnte er nicht ahnen, damit einmal in der „New York Times“ zu landen. Die Gruppe hatte anfangs 20 Mitglieder, nach kurzer Zeit folgten Bastiani hundert Personen und heute, zwei Jahre später, hat er mit seinem Projekt über tausend Anhänger. Ab dem Moment hatte Facebook seinen Dienst getan.

Federico Bastiani
Der Erfinder der „Social Street“, Federico Bastiani, in der Via Fondazza
Längst kennen die Bewohner der Straße einander auch persönlich und nicht nur über das Netz. Die simple Idee des Projekts breche mit den bisherigen Gewohnheiten von Menschen in Großstädten. Statt Anonymität herrsche jetzt ein echtes Gemeinschaftsgefühl. „Wir grüßen einander, sprechen über uns und unsere Leben und fühlen uns jetzt dazugehörig“, sagte eine Bewohnerin der Via Fondazza gegenüber der „New York Times“.
400 „Soziale Straßen“ weltweit
Bastianis Initiative fand unterdessen großen Anklang. Fast 400 „soziale Straßen“ gibt es in England, Brasilien, den USA, Kanada, Spanien, Frankreich, Portugal und natürlich Italien. Bastiani gründete deshalb eine eigene Onlineweltkarte, in der Tag für Tag neue „Social Streets“ eingetragen werden. Das Projekt zeige, wie viel Potenzial in Sozialen Netzwerken steckt, so Kommunikationsexperte Günter Jaritz gegenüber ORF.at: „Social Media wird ganz sicher immer mehr zu einem wichtigen Teil unseres Lebens. Nicht nur in der Kommunikation. Social Media verändert im Rahmen der digitalen Revolution auch den Alltag der Menschen im Privat- und im Berufsleben.“
Inspiriert von der „Social Street“ hat jetzt auch das Stadtmagistrat in Bologna ein paar Straßen weiter in der Via del Battiferro eine Gemeinschaftsküche gegründet. Hier kochen ehrenamtliche Helfer Pasta für sozial benachteiligte Menschen. Es gehe vor allem darum, eine Gemeinschaft herzustellen, „denn es sind die Menschen, die einer Stadt erst ihr Gesicht geben“, sagte Gemeindevorstand Roberto Morgantini in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung „Corriere della Sera“. Er hat eine Initiative einer Gemeinschaftsküche mit freiwilligen Helfern gestartet.
„Prinzipien müssen erhalten bleiben“
„Social Street“-Gründer Bastiani zeigt sich noch immer überwältigt, wie viel Aufmerksamkeit seine Idee weltweit gefunden hat. Das mache ihn aber auch vorsichtig, sagte er: „Wenn eine so simple Idee in so kurzer Zeit so viel Anklang findet, kann das auch eine Gefahr für das gesamte Projekt bedeuten.“ Bastiani habe Angst, dass sein kostenloses Projekt mit dem einzigen Ziel, Menschen miteinander zu verbinden, künftig für politische oder kapitalistische Zwecke genutzt werden könnte.
Bastiani möchte an seinem Projekt jedenfalls nichts verändern: „Wir bleiben bei unseren ursprünglichen Prinzipien. Am Ende geht es nur darum, dass sich Menschen kostenlos miteinander vernetzen und sich gegenseitig helfen. Wie es auch früher unter Nachbarn ganz normal war.“
Manuela Tomic, ORF.at
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