Themenüberblick

„Altherrenklubs überholt“

Das Problem ist auf EU-Ebene nicht anders gelagert als auf nationaler Ebene und in vielen Firmen: Meist gibt es öffentliche Bekenntnisse zur Gleichstellung von Frauen, doch wenn es um die konkrete Besetzung einer Führungsposition geht, kommt oft erst recht wieder ein Mann zum Zug.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte das im Vorjahr ganz deutlich zu spüren bekommen: Als er seine 28-köpfige Mannschaft mit 40 Prozent Frauen (also mindestens elf) besetzen wollte, machte er seine Rechnung ganz offensichtlich ohne den Wirt. Die Mitgliedsländer, die je einen Kommissionskandidaten nominieren, nannten zunächst nur zwei Frauen. Erst nach einem mühsamen Prozess konnte Juncker zumindest wieder neun Kommissarinnen - so viele wie in der Kommission davor - präsentieren.

EuGH als Vorreiter

Auch am Europäischen Gerichtshof (EuGH) dominieren derzeit die Männer. Doch das wird sich künftig ändern, wenn jener Gesetzesvorschlag, den das EU-Parlament am Mittwoch in Straßburg beschließen wird, umgesetzt wird.

Europäische Gericht

Reuters/Yves Herman

1.325 Verfahren waren beim Europäischen Gericht Ende 2013 anhängig

Konkret geht es dabei um einen seit 2011 andauernden Streit über eine bessere personelle Ausstattung des EuGH in Luxemburg - genauer des Gerichts Erster Instanz, genannt Europäisches Gericht. Es ist - auf nationaler Ebene - verkürzt gesagt mit dem Verwaltungsgericht zu vergleichen, während der Gerichtshof dem Verfassungsgericht entspricht.

Beim Europäischen Gericht hatten sich aufgrund der Ausweitung der Zuständigkeiten die Verfahren immer mehr verzögert. Von 2006 bis 2010 stieg die Zahl der anhängigen, nicht abgeschlossenen Verfahren von 1029 auf 1.300 stark. Die Zahl der neu eingegangenen Verfahren nahm im gleichen Zeitraum um ein Drittel zu - 636 statt 432. Ein Verfahren dauerte damals im Schnitt vier bis fünf Jahre, vom Beginn bis zum Urteilsspruch. Zu lang, wie sich alle einig waren. Der Rückstau wurde inzwischen teilweise abgebaut. Dass eine der zentralen Institutionen aber personell besser ausgestattet werden sollte, darüber herrschte damals wie heute Einigkeit.

Nationale Eitelkeiten

Dass es trotz der Dringlichkeit bisher keine Lösung gibt, hat einen einfachen Grund: Die Mitgliedsstaaten - also der EU-Rat - konnten sich nicht auf einen Modus zur Ernennung der neuen Richter einigen. Jeder wollte zum Zug kommen. Das führte zu der - nur aus der Logik des EU-Rats verständlichen - Lösung, dass nun die Zahl kurzerhand auf 56 verdoppelt wird. Damit wird der Streit zwischen den 28 Staaten umgangen - freilich um den Preis, dass es mehr Richter geben wird als derzeit nötig. Mehr als selbst das Gericht forderte und mehr als das EU-Parlament - nicht zuletzt aus Kostengründen - zunächst bereit war zu bewilligen.

Wundersame Vermehrung

Sechs bis zehn zusätzliche Richter hatte der EuGH ursprünglich gefordert - nun bekommt er 28. Der Grund: Kein EU-Land wollte auf „seinen“ zweiten Richter verzichten. Geschätzte Mehrkosten: rund 20 Mio. Euro pro Jahr.

Der Gesetzesvorschlag der Kommission scheiterte daher in erster Lesung im Parlament. Der zuständige Rechtsausschuss handelte vor der nunmehrigen zweiten Lesung in einem informellen Trilog - also Verhandlungen im kleinen Kreis mit dem Rat - einen Kompromiss aus. SPÖ-Delegationsleiterin Evelyn Regner, selbst Mitglied im Ausschuss, betonte gegenüber ORF.at, die Mitgliedsstaaten hätten bei der Anzahl der Richter in keiner Weise mit sich reden lassen. Sie hätten das Parlament „klar vor die Wahl gestellt“: Entweder akzeptiere das Parlament die neue Gesamtzahl 56 oder das Projekt scheitere. Der Ausschuss habe letztlich zähneknirschend das kleinere Übel gewählt, so Regner.

Zwei Bedingungen

Allerdings habe man seinerseits zwei Bedingungen hineinreklamiert. Einerseits eine Revision nach fünf Jahren und vor allem: eine verpflichtende 50:50-Quote Frauen und Männer bei den Richterposten. Um zu verhindern, dass die Mitgliedsländer dies - ähnlich wie bei Junckers Zusammenstellung der Kommission - in der Realität hintertreiben, wird in dem nun vorliegenden Gesetzeskompromiss auch das Prozedere festgelegt: Jeder Staat muss zwei Kandidaten nominieren, mindestens einer davon muss eine Frau sein. Es ist dies das erste Mal, dass eine echte Gleichstellung von Frauen in einer EU-Institution per Gesetz vorgeschrieben wird.

„Wichtiges Signal für Wechsel“

Der größte europäische Dachverband von Frauenorganisationen, die European Women’s Lobby (EWL), begrüßt diese Gleichstellung als „wichtiges Signal für einen Wechsel“. Es wäre die erste verpflichtende Quote, so die NGO, die seit 2009 für eine 50:50-Quote in allen europäischen Institutionen kämpft.

„In Zeiten wie diesen, in denen Europas Demokratie und Werte von so vielen Seiten infrage gestellt werden, ist es wichtiger als je zuvor, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Institutionen, die de facto Altherrenklubs sind, sind überholt“, so EWL-Generalsekretärin Joanna Maycock.

Abzuwarten bleibt, ob die Kommission eine Quotenregelung am EuGH zum Anlass nehmen würde, so etwas für andere EU-Institutionen anzudenken. Erklärtes Ziel dieser Kommission ist es, bis Ende der derzeitigen Legislaturperiode 2019, eine 40-Prozent-Quote im mittleren und höheren Management zu erreichen, allerdings ohne gesetzliche Verpflichtung.

Letztes Wort hat der Rat

Das letzte Wort ist freilich noch nicht gesprochen. Denn die EU-Mitgliedsstaaten müssen den Kompromiss ebenfalls noch offiziell absegnen. Wenn sie die Forderungen des Parlaments ablehnen, gibt es noch die dritte und letzte Runde, das Vermittlungsverfahren. Das bedeutet aber auch: Eine Einigung würde sich nochmals verzögern. Und eine Umsetzung könnte auch rechtlich schwierig werden, da es mit dem Diskriminierungsverbot unvereinbar sein könnte.

Guido Tiefenthaler, ORF.at, aus Brüssel

Links: