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Zwölf MSF-Mitarbeiter unter den Toten

Ein Luftangriff hat nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) die letzte in Betrieb stehende medizinische Einrichtung in der nordafghanischen Stadt Kunduz getroffen. Dabei seien mindestens 19 Menschen, zwölf Mitarbeiter und sieben Patienten, getötet worden, wie MSF mitteilte. Weitere 37 Menschen seien zum Teil schwer verletzt

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Das Krankenhaus sei in der Nacht auf Samstag mehrmals von Bomben getroffen worden und bei der Attacke teilweise zerstört worden, so MSF. Die Hilfsorganisation erhob schwere Vorwürfe: Sofort nach dem Beginn des Bombardements habe man das US- und afghanische Militär kontaktiert, dennoch habe das Bombardement noch mehr als 30 Minuten angehalten. Routinemäßig würden die genauen Geodaten des Spitals mehrfach allen Konfliktparteien übermittelt, zuletzt am 29. September.

Die US-Armee übernahm die Verantwortung für den Anschlag. In der Nähe des Spitals seien um 2.15 Uhr am Samstag Luftangriffe gegen „Einzelpersonen, die eine Gefahr für die Streitkräfte darstellten“ durchgeführt worden, bestätigte ein Armeesprecher gegenüber CNN. Es könnte dabei zu Kollateralschäden in einer nahe gelegenen medizinischen Einrichtung gekommen sein, so der Sprecher weiter. Eine Untersuchung des Vorfalls durch das Militär laufe.

Zerstörung nach Luftangriff auf Krankenhaus in Kunduz

APA/AFP/MSF

Teile des Krankenhauses wurden komplett zerstört

Zum Zeitpunkt der Attacke seien 105 Patienten und 80 nationale und internationale medizinische Fachkräfte im Haus gewesen. Der örtliche Leiter von Ärzte ohne Grenzen, Bart Janssens, äußerte sich schockiert über den Angriff und forderte alle Konfliktparteien auf, die Sicherheit von Gesundheitseinrichtungen und deren Personal zu respektieren. Allein diese Woche seien knapp 400 Patienten in dem rein durch Spenden finanzierten Krankenhaus behandelt worden, so MSF. Auch das internationale Rote Kreuz kritisierte den Bombenangriff scharf. Die Gewalt gegen Patienten und medizinische Mitarbeiter sei erschreckend, teilte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) am Samstag mit.

Taliban überrannten Stadt

Die Taliban hatten am Montag bei einem überraschenden Angriff mit rund 700 Kämpfern die nordafghanische Stadt Kunduz erobert. Die Taliban ließen in Kunduz Hunderte Häftlinge frei, setzten Regierungs- und Mediengebäude in Brand und hissten ihre Fahnen. Sie erbeuteten Panzer und andere Fahrzeuge, riefen „Allahu Akbar“ und kündigten die Einführung des islamischen Scharia-Rechts an, wie in Videoaufnahmen zu sehen war.

Am folgenden Tag startete die afghanische Armee eine Gegenoffensive. Am Mittwoch bekam sie Unterstützung durch die NATO. Spezialkräfte trafen nach Angaben des westlichen Militärbündnisses in Kunduz ein, um die Regierungstruppen zu beraten. Am Freitag schließlich meldeten Sicherheitskräfte die vollständige Rückeroberung der Stadt.

Kämpfer nach wie vor in Häusern verschanzt

Augenzeugen berichten aber von andauernden Kämpfen in den Straßen Kunduz. Ein Großteil der Taliban habe sich zwar zurückgezogen, es fänden jedoch weiterhin Häuserkämpfe mit dort verschanzten kleineren Gruppen von Taliban statt. Außerdem hätten die Taliban an verschiedenen Stellen Sprengfallen platziert.

Karte zu Afghanistan

Grafik: APA/ORF.at

Der militärische Erfolg der Taliban in Kunduz und in benachbarten Provinzen macht das Erstarken der islamistischen Aufständischen im Norden Afghanistans deutlich. Es verstärkte die Zweifel an der Fähigkeit der Armee und der Polizei des Landes, selbst für Sicherheit zu sorgen. Das Vorhaben der USA, 2016 fast alle ihre verbliebenen Soldaten aus Afghanistan abzuziehen, wurde erneut in Zweifel gezogen.

Deutschland berät über Verlängerung von Einsatz

Rund 13.000 NATO-Soldaten sind nach dem Ende des Kampfeinsatzes in Afghanistan Ende 2014 für die Folgemission „Resolute Support“ weiterhin am Hindukusch, um die einheimischen Streitkräfte auszubilden und zu beraten. Bis zu 850 deutsche Soldaten sind daran beteiligt. Die deutsche Bundeswehr ist dabei von Mazar-i-Sharif aus weiter für den Norden verantwortlich.

Deutschland will den Einsatz in Afghanistan einem Bericht zufolge zunächst um ein Jahr verlängern. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen werde das beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister in der kommenden Woche in Brüssel vorschlagen, berichtete die Zeitung „Welt am Sonntag“. Der für Ende 2016 geplante Abzug werde angesichts der Angriffe der radikalislamischen Taliban als „verfrüht“ eingeschätzt. Deutschland wolle „das, was in Afghanistan bisher erreicht wurde, nicht aufs Spiel setzen“.

Die deutsche Regierung stellte daraufhin klar, noch sei nicht über eine mögliche Verlängerung des Einsatzes in Afghanistan entschieden. „Die Konsultationen innerhalb der Bundesregierung und in der NATO dauern an“, so ein Ministeriumssprecher am Samstag.

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