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Bobos, Babys, Bärte und Beton

Wer das Klischee sucht, wird im siebenten Wiener Gemeindebezirk rasch fündig - bärtige Hipster, Bobos mit Babys und junge Kreative, die ihre Kaffeepausen vor dem Geschäftslokal verbringen, findet man hier an jeder Ecke. Fast jeder Zweite, der in Neubau lebt, hat seine Stimme bei den letzten Wahlen auf Bezirksebene den Grünen gegeben.

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Aber auch auf Gemeindeebene ist die Gegend eine grüne Hochburg: Ziemlich exakt in der geografischen Mitte Neubaus - zwischen Burggasse und Westbahnstraße, zwischen Hermanngasse und Zieglergasse - findet man nämlich jenen Sprengel, in dem die Grünen mit 42,55 Prozent (ohne Wahlkarten) ihr wienweit bestes Ergebnis einfahren konnten.

Auf Gemeindeebene ist der Bezirk Neubau rot. Doch der „grünste“ Sprengel der Stadt lag bei der letzten Wahl mitten im siebenten Bezirk.

Genau dort findet sich auch das Büro der Grünen Neubau, direkt gegenüber das Amtshaus, in dem Thomas Blimlinger seit 2001 als Bezirksvorsteher tätig ist. Für ihn, seit seiner Geburt hier lebend, ist Neubau quasi ein Dorf, dessen Entwicklung er seit Jahrzehnten mitverfolgt. „Wo früher vier, fünf Studenten in einer WG gewohnt haben, ist einer geblieben. Der ist heute Psychotherapeut oder Jurist und wohnt mit seiner Familie dort“, erklärt Blimlinger den demografischen Wandel. „Der Bezirk ist recht homogen - das Publikum ist im Bereich Neubau-West, Kaiserstraße nicht viel anders als am Spittelberg“, so Blimlinger.

„Berlinesker“ als noch vor ein paar Jahren

In den Gründerzeit- und Biedermeierhäusern des Grätzels leben noch immer viele alteingesessene Neubauer, verhältnismäßig stark fluktuierend Studenten und Singles - und immer mehr junge Familien. Längst kann man sich auf dem Siebensternplatz nicht mehr nur in Sachen Hipster-Streetstyle auf den letzten Stand der Dinge bringen, sondern auch Kinderwagen- und skandinavische Babymodentrends ausloten.

Shared Space Office Büro Hermann in 1070 Wien

ORF.at/Carina Kainz

Coworking-Büros wie das Büro Hermann profitieren von der zentralen Lage

In den Gassenlokalen rundherum lassen sich mehr und mehr Jungunternehmer nieder. Als Johanna Kurz und Kathi Reidelshöfer 2009 das Shared-Office-Büro Hermann gründeten, sei ihnen vor allem die zentrale Lage wichtig gewesen. „Der Bezirk hat sich seit damals noch ziemlich gemausert. Die Infrastruktur war immer schon gut, aber es ist jetzt noch berlinesker geworden mit mehr Cafes, Shops und anderen Coworking-Spaces.“

„Es muss nicht immer ein Baum sein“

Nach den negativen Seiten des Bezirks gefragt, müssen die beiden Grafikerinnen aus dem Büro Hermann erst überlegen - „es ist halt nicht sehr grün. Naturtechnisch ist der Bezirk nicht sehr sexy.“ Dessen ist sich natürlich auch Blimlinger bewusst - auch wenn er da relativ gelassen ist: „Ich bin ja ein Grüner, der sagt: Es muss nicht immer ein Baum sein.“ Es gehe um Freiflächen: „Wenn ich genug Platz habe zum Gehen und zum Sitzen, dann ist das viel wert. An erster Stelle steht mehr Platz, dann kommt mehr Grün.“

Die-Grüne-Galerie in 1070 Wien

ORF.at/Carina Kainz

Das Büro der Grünen liegt im grünsten Sprengel von ganz Wien

Gerade dieser Platz ist in den Innenstadtbezirken jedoch ein rares Gut, das sich nicht immer ganz widerstandslos schaffen lässt. „Ich habe vor zehn Jahren begonnen mit den Schanigärten in der Parkspur, damals haben sich alle aufgeregt. Heute ist das selbstverständlich“, so Blimlinger. Die liberale Schanigartenregelung des Bezirks ziehe die Gastronomie an. Essen kann man im Siebenten alles, von Afghanisch bis Wienerisch - und egal ob Eis, Burger oder Sushi, man findet auch eine vegetarische oder vegane, Bio- oder Fairtrade-Version davon.

Spezialisten und Spezielles Tür an Tür

Ähnlich breit ist auch das Angebot in den Geschäften. In der Neubaugasse wirbt man seit Jahren mit dem Slogan „Die Straße der Spezialisten“. Zwar hat es mittlerweile schon die eine oder andere Kette hierher geschafft, grundsätzlich dominiert aber eine Mischung aus kleinen Boutiquen, Secondhandshops, Fachhändlern und jungen Geschäftsleuten. So reiht sich ein Special-Interest- und Very-Special-Interest-Geschäft an das andere: Stickbedarf und Trüffel- und-Honigverkauf, Barbershop und Jonglierfachhändler, Schraubengeschäft und Ballettboutique.

Brothers´ Barbershop in 1070 Wien

ORF.at/Carina Kainz

Im Frühjahr hat Brothers’ Barbershop in der Neubaugasse geöffnet. Der Andrang ist groß - die Termine für „Cuts“ und „Trims“ sind begehrt.

Neben jungen Start-ups finden sich darunter immer noch viele Familienbetriebe. Ein solcher ist die Werkstatt Kfz-Service Hermanngasse, seit 26 Jahren im Besitz von Marinko Krizanac. Der gebürtige Kroate lebt seit mittlerweile 45 Jahren in Österreich, sein Sohn soll bald den Betrieb übernehmen. Für den siebenten Bezirk hat er nichts als Lob: „Es ist eine wunderschöne Gegend. Ein Altwiener Bezirk mit Flair.“

KFZ-Service Hermanngasse GesmbH in 1070 Wien

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Vor allem in Bezug auf den Verkehr habe sich viel geändert in den letzten Jahren, sagt Werkstattbesitzer Marinko Krizanac

Es habe sich schon viel verändert in den letzten Jahren - berufsbedingt falle ihm das vor allem in Bezug auf den Verkehr auf. „In der Gasse gibt es heute sicher 30 Parkplätze weniger als früher“, erzählt Krizanac, „es gibt aber auch viel mehr Moped- und Fahrradfahrer hier.“ Auf sein Geschäft - 4.500 Stammkunden betreut die Werkstatt mittlerweile - hätte sich das trotzdem nicht negativ ausgewirkt. „Problemlos“ sei der Bezirk einfach, sagt Krizanac, und das habe für ihn nicht wirklich etwas mit der Politik zu tun. „Egal wer hier regiert, der Bezirk bleibt so“, glaubt er.

Einigkeit bei den Wahlthemen

Auf Bezirksebene sind das seit 2001 die Grünen, auf Gemeindeebene konnte die SPÖ (nach einer Legislaturperiode Grün) den Bezirk bei der letzten Wahl wieder zurückerobern. Die Themen, mit denen heuer um Wählerstimmen gekämpft wird, sind sowohl bei den Grünen als auch bei der SPÖ mit Spitzenkandidat Gallus Vögel und der ÖVP mit Spitzenkandidatin Christina Schlosser ziemlich gleich gelagert. Sehr weit oben auf der Liste steht die Verbesserung der Verkehrssituation.

Seit der Umwandlung der Mariahilfer Straße in eine Fußgänger- und Begegnungszone ist auch im Siebten einiges anders als vorher. Einbahnen wurden umgelegt, Neustiftgasse und Burggasse sind als Durchzugsstraßen zu 30er-Zonen geworden. „Manche, die hier wohnen und auf das Auto angewiesen sind, sind vielleicht noch ein bisschen verstört. Aber es ziehen hier auch viele Leute zu, und die wissen, wenn ich hier lebe und ein Auto habe, muss ich eine Garage haben“, sagt Blimlinger.

Bezirksvorsteher von Neubau Thomas Blimlinger

ORF.at/Peter Pfeiffer

„Wer großflächige Wiesen liebt, der muss woanders wohnen.“ Bei aller Liebe zu 1070 ist sich Blimlinger der Schwachstelle Neubaus bewusst.

Vor allem entlang der Burggasse und der Neustiftgasse, den beiden Hauptdurchzugsstraßen zwischen Gürtel und Ring, ist der Verkehr eine Belastung für die Anrainer. „Es gilt zwar Tempo 30, aber speziell in der Nacht ist die Neustiftgasse doch eine kleine Stadtautobahn. Wenn man die Parkplatzspuren durchbricht, die Gehsteige bis an die Straße heranführt, dann verhalten sich Autofahrer automatisch vorsichtiger“, erläutert Vögel die Ideen der SPÖ.

Die Suche nach neuen Grünflächen

Die ÖVP macht sich unter anderem für eine Wiedereinführung einer öffentlichen Anbindung in den ersten Bezirk stark, so Schlosser. Genau wie SPÖ und Grüne befürwortet sie auch die Öffnung von Grünflächen (etwa das Gelände des Sophienspitals) für die Allgemeinheit, wünscht sich aber zusätzlich auch noch mehr artgerechte Hundezonen in den bereits bestehenden Parks.

Auto und Grünen-Wahlplakat in 1070 Wien

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Die Kinderwagendichte ist groß - Kinderbetreuungsplätze sind knapp

Eines der dringensten Probleme im Bezirk, und auch da sind sich die Parteien einig, sind die Immobilienpreise. Denn auch wenn in vielen Gründerzeithäusern - dank Richtmietzins - die Mieten noch erschwinglich sind, ist das Wohnen im Bezirk teuer, und Baugrund ist so gut wie keiner mehr vorhanden. Dort, wo in den vergangenen Jahren noch neue Immobilien entstanden, dominieren Vorsorge- und Anlegerprojekte, in denen Wohnungen zu wienweiten Höchstpreisen verkauft und dann oft teuer vermietet werden.

„Den Preis wert“ statt preiswert

„Die Lage ist mir den Preis wert“, sagt eine Neu-Neubauerin, die seit wenigen Monaten in einer Mietwohnung in der Zollergasse lebt. Rund 70 Quadratmeter hat ihre Wohnung im Dachgeschoß. „Ich habe schon lange gesucht, bis ich etwas gefunden habe, das meinen Vorstellungen entspricht, hier habe ich es gefunden. Die Wohnung passt, und die Lage könnte nicht besser sein.“

Die 33-jährige Juristin gibt zu, dass die rund 1.100 Euro Miete schon ein Grund waren, länger zu überlegen - aber andererseits: Für immer wolle sie ja auch nicht bleiben. „Irgendwann wäre ohnehin ein Haus im Grünen mein Traum.“ Die junge Frau ist kein Einzelfall.

Eine ihrer Nachbarinnen, im Geschäftsbereich eines Verlags tätig, erzählt, dass sie froh sei, im zweiten Bezirk zu arbeiten: „Sonst würde ich Neubau ja gar nie verlassen.“ Seit einigen Jahren besitzt sie eine Eigentumswohnung, auch für sie war bei der Kaufentscheidung die Lage ein wesentlicher Faktor. „Schon damals war die Gegend teuer - trotzdem ist meine Wohnung seitdem noch im Wert gestiegen.“ Sollte sie wegziehen wollen, könne sie die Wohnung immer noch leicht vermieten. Wer schon einmal hier eine Mietwohnung gesucht hat, weiß, dass selbst teure Objekte oft rasch vergeben sind.

Nicht nur Luxusprobleme

Das alles heiße aber nicht, dass es nicht auch hier Armut gebe, erzählt SPÖ-Spitzenkandidat Vögel - im Gegenteil. „Wir sehen das bei unserem monatlichen Beratungsbrunch.“ Die Möglichkeit, kostenlos mit Experten über Probleme wie Miet- und Arbeitsrechtsangelegenheiten zu sprechen, werde sehr gut angenommen, genauso wie ein gratis Nachhilfeprogramm. Zu 99 Prozent seien es aber sozioökonomische Probleme, bei denen die Menschen Hilfe brauchten - quer durch alle Altersschichten.

SPÖ Neubau

SPÖ Neubau

Neben einem Gratisnachhilfeangebot für Schüler betreut der Lernclub der SPÖ Neubau seit August auch eine Gruppe junger afghanischer Asylwerber

Wichtig sei deshalb die Errichtung von geförderten und finanzierbaren Wohnungen, so Vögel. „Neubau darf nicht zu einer reinen Luxusadresse werden“, heißt es im aktuellen Wahlfolder der SPÖ - und unschwer erkennbar als Seitenhieb gegen die Grünen gemeint: „Uns geht es um mehr als ‚nur‘ um Radfahren und Schanigärten.“ Trotzdem: Die Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg sei recht harmonisch. „Es ist diesbezüglich ein liebenswerter Bezirk“, so Vögel. Das sieht auch Blimlinger so - „wenn ich oft aus anderen Bezirken höre, wie es dort zugeht.“

Schwerer Stand für die FPÖ

Recht wenig hört und sieht man von der FPÖ Neubau, die weitgehend auf einen wahrnehmbaren Bezirkswahlkampf verzichtet. Dort, wo Menschen mit ihrer Lebenssituation zufrieden sind, so die Analyse der Meinungsforscher nach den letzten Wahlen, hat die FPÖ nur wenig Potenzial - und in Neubau scheint sich das auch genau so niederzuschlagen. Mit 13,42 Prozent auf Gemeindeebene und 10,67 Prozent Stimmanteil auf Bezirksebene war es für die FPÖ der schlechteste Bezirk der letzten Wien-Wahl.

Helfer transportieren Betten für die ankommenden Flüchtlinge, die im ehemaligen Kurier-Gebäude untergebracht werden

ORF.at/Carina Kainz

Das ehemalige „Kurier“-Gebäude soll 2016 abgerissen werden, seit Dienstag dient ein Teil davon als Notschlafstelle für bis zu 500 Flüchtlinge

Wie anderswo soll heuer die Wählermobilisierung auch hier über das Thema Flüchtlinge passieren. Dass nun keine zwei Wochen vor der Wahl eine Notschlafstelle im ehemaligen „Kurier“-Gebäude in Betrieb gegangen ist, erregt die freiheitlichen Bezirksräte: „Zuwanderer dürfen nicht auf Kosten der Bezirksbevölkerung untergebracht werden“, heißt es auf der Website der Freiheitlichen in Neubau.

Wenig Empfänglichkeit für Angstparolen

Bei einer von der Bezirksvorstehung organisierten Anrainerinformationsveranstaltung eine Woche vor der Eröffnung der Notschlafstelle äußerte FPÖ-Bezirksrat Vincent Holzleitner massive Sicherheitsbedenken, sprach von der Gefahr durch „radikalisierte“ Zuwanderer und Islamisten, die in der Nacht die Gegend unsicher machen würden. Beim Großteil der gut 150 bis 200 anwesenden Anrainer schien er damit aber nur schlecht Ängste schüren zu können.

Ob ein Willkommensfest für die Flüchtlinge vielleicht eine gute Idee wäre, wurde stattdessen gefragt - und immer wieder, wie man helfen könne. Man informierte sich über die Abläufe, das Rote Kreuz und Stadt-Wien-Flüchtlingskoordinator Peter Hacker gingen sachlich auf die Fragen und Sorgen ein. „Die Menschen hier sind schon anspruchsvoll“, weiß Blimlinger aus seiner Erfahrung zu berichten, „aber sie verstehen, warum etwas gemacht wird, wenn man es kommuniziert.“

Sophia Felbermair, ORF.at

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