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Mit Sylvester Stallone im Fitnessraum

Schwimmbad auf dem Dach, Sauna, Fitness- und Kinderspielräume, Grünflächen und Loggien: Die Mieter im Heinz-Nittel-Hof in Wien-Floridsdorf haben im Vergleich zu anderen Gemeindebauten viele Annehmlichkeiten. Es ist ein Vorzeigeprojekt des roten Wien aus den 1980er Jahren. Dennoch scheint die Unzufriedenheit inzwischen groß zu sein. Das zeigen nicht nur die jüngsten Wahlergebnisse.

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Als noch stärkster Partei im traditionellen Arbeiterbezirk kamen der SPÖ in den letzten Jahren stetig Wähler abhanden. In zwei der vier Wohnblöcke wurde sie 2010 sogar von der FPÖ überholt. In dem Block in der Brünner Straße 140 mit 204 Wohnungen wählten überhaupt mehr als 63 Prozent der wahlberechtigten Bewohner die FPÖ - das in Wien stärkste Sprengelergebnis (ohne Wahlkarten) für die Freiheitlichen. Die SPÖ erreichte dort knapp 30 Prozent. Die Sozialdemokraten sind seither auf Ursachensuche, argumentieren mit hoher Fluktuation im Heinz-Nittel-Hof und der Stimmungsmache einzelner FPÖ-Sympathisanten und -Funktionäre, die in dem Bau wohnen.

„Wir haben es schön hier“

„Es ist die Summe vieler Kleinigkeiten“, ist der eingesessene Floridsdorfer Ludwig Kalkus hingegen überzeugt. Der 63-Jährige ist seit 33 Jahren Hausbesorger in der Brünner Straße 140 und kennt „seine Leute“ - viele davon seit mehr als 30 Jahren. Er kümmert sich darum, dass das Zusammenleben im Haus funktioniert, dass die Fische im Aquarium im Saunaruheraum gefüttert werden, die Blumen in den Stiegenhäusern gegossen werden und die Müllräume frei sind.

Eindrücke vom Floridsdorfer Gemeindebau

ORF.at/Simone Leonhartsberger

Der Fitnessraum wurde mit Unterstützung der Mieter eingerichtet

Im Fitnessraum hängen Bilder von Bodybuildern und Sylvester Stallone: „Wir haben es schön hier“, erzählt Kalkus. Aber er hört auch die vielen Dinge, welche die Bewohner stören: wenn Frauen im Schwimmbad mit Gewand ins Wasser gingen, man im benachbarten Einkaufszentrum kaum noch ein deutsches Wort höre, wenn sich Mitbewohner nicht an die Regeln hielten.

„Die Einzigen, die etwas machen“

Für Michael Niegl, Klubobmann der FPÖ Floridsdorf, selbst in einem Simmeringer Gemeindebau aufgewachsen, sind diese Probleme nicht neu. Seine eigene Auflistung an Beschwerden von Mietern in Gemeindebauten reicht von „extremer Verschmutzung über einen Anstieg der Kriminalität bis zu kulturellen Spannungen“. Der Heinz-Nittel-Hof sei diesbezüglich im Vergleich zu anderen großen Gemeindebauten begünstigt. Den Aufschwung der FPÖ erklärt sich Niegl mit „realen“ Sorgen der Mieter: „Die Bewohner haben die begründete Befürchtung, dass sich die Situation auch bei ihnen verschlechtert.“

Die FPÖ weiß diese Angst zu nützen. Für eine 21-jährige Mieterin im Block in der Brünner Straße 140 steht schon fest, dass sie am 11. Oktober den Blauen ihre Stimme geben will. „Sie sind die Einzigen, die etwas machen.“ Vor allem bei den Flüchtlingen gingen die Freiheitlichen „strukturierter“ vor, sagte sie. „Was man so liest, steht die SPÖ dafür, mehr Leute aufzunehmen. Wir haben aber selbst zu wenige Jobs für die Österreicher.“

Zwischen Gemeindebau und Kellergassen

Die 21-jährige Fitnesstrainerin ist im Heinz-Nittel-Hof aufgewachsen und kennt die meisten Leute in ihrem Haus. Sie schätzt das viele Grün in der Anlage, in den hinteren Bereich traue sie sich aber abends nicht mehr, erzählt sie. Dort säßen Jugendliche zusammen und „reden einen blöd an“. Sie habe auch schon von Gewalt gehört. Selbst war sie bisher nicht betroffen.

Heinz-Nittel-Hof

Zwischen Einfamilienhäusern und älteren Gemeindebauten wurde der Heinz-Nittel-Hof von 1979 bis 1983 auf ehemaligen Feldern nach den Plänen von Harry Glück im Auftrag der Gemeinde Wien errichtet. In 1.422 Wohnungen leben rund 4.200 Menschen - knapp ein Drittel der Bewohner von Eisenstadt.

Die Fitnesstrainerin arbeitet in Floridsdorf, auch in ihrer Freizeit ist sie meistens hier unterwegs - mit dem Auto. Über die Brünner Straße ist sie von einer der größten Gemeindebausiedlungen Wiens in fünf Kilometern in Niederösterreich, ebenso weit ist es zu den Stammersdorfer Heurigen. Mehr als doppelt so viele Kilometer müsste sie hingegen fahren, um etwa zum Schottenring zu gelangen. Über die Donau Richtung Innenstadt fährt die 21-Jährige im Schnitt auch nur einmal pro Monat.

Im Heinz-Nittel-Hof spielt sich im Kleinen ab, was für viele Wiener Gemeindebauten gilt. Rote und Blaue liefern einander spätestens seit der letzten Wahl 2010 ein Match um die großen Flächenbezirke nordöstlich der Donau und die Gemeindebauten. Floridsdorf ist mit knapp 152.000 Einwohnern nach der Bevölkerung der drittgrößte Bezirk, mit über 44 Quadratkilometern flächenmäßig der zweitgrößte und beherbergt einige große Gemeindebauanlagen.

Hausbesuche vs. Stammtische

„Als einer der großen Gemeindebauten im Bezirk ist der Heinz-Nittel-Hof sehr wichtig für uns“, betont Gerhard Spitzer, Geschäftsführer der SPÖ Floridsdorf. Schon im vergangenen Jahr wurde die Wohnanlage zum Nummer-eins-Aktionsgebiet für Hausbesuche auserkoren. Vor der Wahl im Oktober läuft derzeit die dritte Welle. Ob der Aufwand dafürsteht, traut sich selbst Spitzer nicht zu sagen. Die Menschen seien schwierig zu erreichen, der Zeitaufwand hoch, die Erfolgsquote bis zum tatsächlichen Gespräch aber gering. Der persönliche Kontakt sei aber sehr wichtig, um zu erfahren, wo der Schuh drückt.

Eindrücke vom Floridsdorfer Gemeindebau

ORF.at/Christian Öser

Der Heinz-Nittl-Hof wurde zum Ziel-eins-Gebiet für Hausbesuche der SPÖ

Fragt man die Bewohner im Heinz-Nittel-Hof, merken die wenigsten etwas von der Präsenz der Parteien in ihrer Anlage. Ab und zu lädt die SPÖ zu Festen. Doch die unübersichtlichen Wohnungen mit Dutzenden Stiegen machten es selbst für die FPÖ schwierig, in persönlichen Kontakt zu treten, so ein langjähriger Bewohner aus dem noch SPÖ-dominierten Nachbarblock.

„Leute scheuen keine Kontaktaufnahme mehr“

Die FPÖ geht einen anderen Weg. Sie veranstaltet im Bezirk fünfmal im Monat einen Stammtisch in unterschiedlichen Restaurants und Gasthäusern. Zu den Treffen kämen jedes Mal zwischen 20 und 70 Personen - bei prominenten Gastreferenten auch mehr, so Niegl. Er selbst nehme meistens daran teil. Die FPÖ im Bezirk habe aber auch genügend Personen, die im Heinz-Nittel-Hof wohnen und die Partei informierten: „Die Leute scheuen sich nicht mehr, mit uns Kontakt aufzunehmen.“

Man versuche aber „Diskretion wahren zu lassen“, denn selbst so mancher Hausbesorger suche inzwischen den Kontakt zur FPÖ, so Niegl. In der FPÖ gehe bereits das Bonmot um, dass die SPÖ in Floridsdorf mehr Mitglieder als Wähler habe, so der FPÖ-Bezirkspolitiker. Sein SPÖ-Gegenspieler Spitzer widerspricht. Er sieht bei den ehrenamtlichen Helfern im Bezirk keine Mobilisierungsprobleme. Allerdings beobachtet auch Spitzer, dass insbesondere dort, wo FPÖ-Funktionäre und -Sympathisanten leben und „gegen etwas Stimmung machen“, die Ergebnisse für die FPÖ besser seien. Das zeige sich auch im Heinz-Nittel-Hof.

FPÖ als Kummerkasten?

Auch wenn die Flüchtlingskrise das Wahlkampfthema ist und für Unsicherheit sorgt, zeigten sich schon bisher Risse im alltäglichen Leben, so Niegl. „Viele Menschen kommen auch zu uns, weil sie mit ihren Beschwerden etwa bei Wiener Wohnen (Hausverwaltung vieler Gemeindebauten, Anm.) nicht gehört und ignoriert werden. Das Schlimmste ist, dass die Menschen die Hoffnung verloren haben.“ Entscheidend sei vor allem, die Einhaltung der Hausordnung strenger einzufordern - auch mit Konsequenzen bis zur Delogierung.

Eindrücke vom Floridsdorfer Gemeindebau

ORF.at/Simone Leonhartsberger

Blick vom Dachschwimmbad auf die Brünner Straße Richtung Niederösterreich

Diese Konsequenzen gebe es, erzählt ein langjähriger Mieter aus dem benachbarten Wohnblock, in dem sich die SPÖ 2010 noch mit einem Vorsprung von knapp drei Prozent behaupten konnte. So habe etwa die Gesiba, die im Auftrag der Gemeinde Wien den Heinz-Nittel-Hof verwaltet, für die Hausbewohner den Zugang zum Schwimmbad gesperrt, die immer wieder Dutzenden hausfremden Personen das Schwimmen auf dem Dach ermöglicht hatten. Als Mitglied eines Mieterkomitees habe er auch jahrelang daran gearbeitet, die vergleichsweise hohen Betriebskosten in Kooperation mit der Hausverwaltung zu reduzieren. Das habe etwa durch den Austausch der Haus- und Gartenbetreuungsfirmen funktioniert.

Wenige Argumente gegen „Bauchgefühl“

Positive Beispiele stellen für Niegl allerdings die Ausnahme dar: „Die Wohnqualität lässt sukzessive nach. Vor zehn bis 15 Jahren waren die Probleme um gute 50 Prozent geringer.“ Auch Spitzer wird mit Problemen der Floridsdorfer konfrontiert - mit der Angst vor Gewalt etwa. Konkret könnten die wenigsten etwas sagen, so Spitzer. Dieses Bauchgefühl basiere oft auf Dingen, die man vom Hörensagen kenne, und es sei oft ganz anders als die Realität. Viele könnten häufig nicht konkret benennen, wovor sie Angst haben. „Wir tun uns schwer, diesem Bauchgefühl mit rationalen Argumenten zu begegnen“, so Spitzer etwas ratlos.

Bezirk der Autofahrer

Auch wenn die Dreieckständer vor dem Floridsdorfer Bezirksamt vor allem mit Plakaten der Grünen beklebt sind, ist der kleine Koalitionspartner der Wien-Regierung im 21. Bezirk in den politischen Gesprächen wenig präsent. Mit einer „absichtlichen Beschränkung von Autofahrern“ könne man in einem Randbezirk, in dem die Leute auf das Auto angewiesen seien, wenig erreichen, sagte Niegl.

Diese Kritik kann Susanne Dietl, Klubobfrau der Grünen in Floridsdorf, nicht nachvollziehen. Es gehe vielmehr um Verkehrsberuhigung und darum, den Pendlerverkehr draußen zu halten: „Besonders in den Wohngebieten wollen die Menschen selbst Tempo 30.“ Die Meinung gegenüber hier besonders kritisierten Themen wie der Fußgängerzone in der Mariahilfer Straße habe sich inzwischen auch gebessert, ist sich Dietl sicher.

„Wahnsinnigkeiten“ der Grünen

Noch sind allerdings nicht alle von den Ideen der Grünen überzeugt. „Für so Wahnsinnigkeiten wie die Fußgängerzone in der Mariahilfer Straße und den Wiental-Steg gibt es Geld“, schimpft etwa eine 70-jährige Bewohnerin aus dem Block in der Brünner Straße 140. Sie sieht sich selbst als „eine der Toleranteren“ in der Siedlung, sie habe leider sogar eine Nachbarin, die stark für die FPÖ Stimmung mache. Zufrieden ist aber auch sie nicht. Die öffentliche Anbindung etwa sei gerade für Ältere schlecht.

„Wo ist die Verlängerung der U6?“, fragt die langjährige Mieterin. Die U6-Verlängerung wird zwar auch von vielen Floridsdorfer Bezirkspolitikern gefordert, im Rathaus ist sie aber derzeit kein Thema. Die Verbindung zwischen der Brünner Straße 140 und der Inneren Stadt über die Donau sind weiterhin das Auto und die Straßenbahnlinie 31. Diese soll aber als Linie 32 verlängert werden.

Simone Leonhartsberger, ORF.at

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