Identifikationsfigur damals wie heute
Alle Welt kennt Mahatma Gandhi als Vater der indischen Unabhängigkeit, aber er war nicht der Einzige, der für die Freiheit seines Landes kämpfte. Gandhi hatte nicht nur Verbündete und Anhänger. Der Anführer der Gegenseite war Subhash Chandra Bose (1897 - 1945), der in Indien im Status eines Nationalhelden steht. Bis heute weiß dort jeder, wer gemeint ist, wenn von „Netaji“ (Führer) die Rede ist.
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Mohandas Karamchand Gandhi ist bis heute „Mahatma“ („Große Seele“), sein politischer Erbe Jawaharlal Nehru bis heute „Pandit“ („Lehrer“) - dass Bose aber der historische „Führer“ Indiens bleibt, kommt nicht von ungefähr. Bei Weitem nicht alle Inder waren auch zu Gandhis Zeit von dessen Konzept des gewaltlosen Widerstands überzeugt. Sie fanden in Bose ihre Identifikationsfigur - und finden sie heute in einem Indien, das eine geopolitische Führungsrolle einnehmen will, wieder.
Liebesbriefe nach Wien
Bose, kurzzeitiger Präsident des indischen Kongresses, propagierte ganz im Widerspruch zu Gandhi den bewaffneten Kampf gegen die haushoch überlegene britische Besatzungsmacht. Er ging dafür ein Bündnis mit Nazi-Deutschland ein. Wien wurde dabei zur zentralen Drehscheibe und auch zum Schauplatz kurzen privaten Glücks. Bose war 1933 nach Wien gekommen, um sich hier in ärztliche Behandlung zu begeben. Er nutzte seinen Aufenthalt, um sich mit europäischen Unabhängigkeitsbewegungen (Irland, Italien, Türkei) auseinanderzusetzen.
In dieser Zeit knüpfte er auch die ersten Kontakte zur deutschen und italienischen Regierung, die ihm acht Jahre später zur Flucht nach Berlin verhelfen sollten. Und er lernte Emilie Schenkl kennen, ein „süßes Wiener Mädl“, das er heimlich heiratete. Wie innig seine Liebe zu ihr war, bezeugen Hunderte Briefe, die er ihr während jahrelanger Trennung schrieb. Er könne nicht entscheiden, ob sie seine einzige Liebe bleibe, heißt es in einem: Er hoffe es, und es liege nur an ihrem Willen, bei ihm zu bleiben.

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Emilie Schenkl und Bose in Europa
1941 zur Flucht aus Indien gezwungen
Briefe musste es geben, wie sich etwa in der Biografie „His Majesty’s Opponent“ nachlesen lässt: Nur rund drei der neun Jahre ihrer Ehe verbrachten sie tatsächlich gemeinsam. Er kehrte nach Indien zurück, wo er seine eigene Partei (Block Forward) gründete, mit der er die Unabhängigkeitsbewegung militarisierte. Er richtete die Revolutionsarmee ein, bewaffnete die Frauen und rief zum Kampfgegen die Kolonialmacht auf. 1941 musste er deshalb aus Indien fliehen.
Er gewann das Vertrauen der Nazi-Regierung und gründete die „Zentrale freies Indien“ in Berlin. Mit Hilfe der deutschen Wehrmacht baute er eine indische Legion auf. Sie bestand aus indischen Kriegsgefangenen der britischen Armee, Indern in Wehrmachtsuniformen, mit Turbanen und einem Stoffabzeichen am linken Ärmel, das einen Tiger im Sprung und die Aufschrift „Freies Indien“ zeigte. Auch wurde der antibritische Propagandasender Freies Indien aufgebaut, um die indischen Soldaten gegen die Engländer aufzuhetzen.
Von Hitler enttäuscht abgewendet
Bose zweifelte jedoch immer mehr an den Nazis - nicht zuletzt, weil sie mit den Rassengesetzen auch die Inder verfolgten. Nach einem Treffen mit Adolf Hitler im Jahre 1944 verließ Bose enttäuscht Deutschland. Hitler war nicht bereit, die Erwartungen Boses hinsichtlich der Befreiung Indiens zu erfüllen. Ein deutsches U-Boot brachte ihn nach Südostasien, wo er - nun mit Japans Unterstützung - eine provisorische Regierung gründete und das freie Indien auf den Andamanen und Nikobaren ausrief. Am 18. August 1945 starb er laut offiziellen Angaben bei einem Flugzeugabsturz über Taiwan.
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