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1945 „wahrscheinlich noch am Leben“

Subhash Chandra Bose ist außerhalb von Indien kaum jemandem ein Begriff. Dort steht er jedoch fast auf einer Stufe mit Landesvater Mahatma Gandhi, wenn auch als dessen Gegenteil: Bose trat für den bewaffneten Kampf gegen die Briten ein, und das in einer Allianz mit den Nazis. Für Indiens Premier Narendra Modi ist Bose nun zum selbst gerufenen Geist geworden, den er nicht mehr loswird.

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Bose ist seit jeher eine Identifikationsfigur der indischen Nationalkonservativen. Mancherorts wird er fast wie ein Heiliger verehrt. Zur Legendenbildung trug maßgeblich bei, dass sein Tod vor 70 Jahren viele offene Fragen hinterließ. Als der nunmehrige Premierminister Modi noch in Opposition war, ging er selbst mit der Forderung nach der Veröffentlichung von Boses staatlichem Geheimakt auf Stimmenfang.

Wuchernde Mythen

Bose kam laut offiziellen Angaben bei einem Flugzeugabsturz über Taiwan ums Leben. Seine Anhänger halten das jedoch für eine Behauptung. Seine Leiche wurde nie gefunden, überprüfbare Belege für das Unglück gibt es nicht. Umso wilder wuchern die Mythen: Manche glauben etwa, er sei in Wahrheit nach Russland entführt worden. Andere vermuten, er habe seinen Tod selbst vorgetäuscht und noch jahrzehntelang unerkannt in Indien gelebt. Als „echtes“ Sterbejahr geistert 1964 herum.

Geheimakt

APA/EPA/Piyal Adhikary

Westbengalen macht mit der Offenlegung eigener Akten Druck

Als Beleg für ihre Verschwörungstheorien sahen Boses Anhänger, dass keine indische Regierung seit der Unabhängigkeit im Jahr 1947 den Geheimakt dazu freigeben wollte. Auch Modi bleibt die Einlösung seines Wahlversprechens nun schon seit über einem Jahr schuldig, unter wachsendem Unmut seiner Anhänger. Den Druck verstärkt hat nun der Bundesstaat Westbengalen, der am Freitag alles an Geheimakten über Bose veröffentlicht hat, was sich im eigenen Archiv befand. Die wirklich brisanten Akten liegen aber in Delhi.

Modi soll „Wahrheit nicht unterdrücken“

Die westbengalische Chefministerin Mamata Banerjee - im direkten politischen Wettstreit mit Modis Bharatiya Janata Party - sieht schon durch die Veröffentlichung des eigenen Aktenmaterials bewiesen, dass Bose nach 1945 „wahrscheinlich“ noch am Leben war. Man könne die Wahrheit „nicht ewig unterdrücken“, heizte sie die Stimmung gegenüber der „Times of India“ (Freitag-Ausgabe) weiter an. Genauere Informationen blieb aber auch sie schuldig: Sie habe „noch nicht viel Zeit gehabt, um die Akten durchzuschauen“.

Adolf Hitler empfängt in seinem Hauptquartier "Wolfsschanze"' im Mai 1942 den indischen Politiker und Nationalistenführer Subhas Chandra Bose zu einer längeren Unterredung.

picturedesk.com/SZ-Photo/Scherl

Nazi-Diktator Adolf Hitler und Bose bei einem Treffen in Berchtesgaden

Die Geheimhaltung über sieben Jahrzehnte hinweg mag auch damit zu tun haben, dass Boses Geschichte so gar nicht zum indischen Staatsgründungsmythos passt: Er baute den indischen Nationalkongress (INC) Seite an Seite mit Gandhi und gewann 1939 sogar gegen dessen Kandidaten bei der Wahl zum Parteiführer. Zu diesem Zeitpunkt waren die Differenzen zwischen den beiden schon offensichtlich, wenig später folgte der Bruch: Bose begann Allianzen für einen Krieg gegen die britischen Kolonialherren zu schmieden.

Kurzes privates Glück in Wien

Als Verbündete gegen die Briten baute Bose im europäischen Exil anfangs vor allem auf die Nazis. Die ließen ihn jedoch im Unklaren, speisten ihn mit nur symbolhafter Unterstützung ab und verfrachteten ihn schließlich per U-Boot nach Japan, wo es ihm mit den dortigen Faschisten nicht besser erging. Bose hatte sich verkalkuliert. In Indien wiederum war inzwischen Pandit Nehru zur bestimmenden Größe der Unabhängigkeitsbewegung geworden.

Subhas Bose mit seiner Frau (ca. 1937)

Public Domain

Bose und seine Wiener Ehefrau Emilie

Dass Boses Name auch in Österreich nur wenigen ein Begriff ist, verwundert: Schließlich lernte er hier in der Zwischenkriegszeit die Wienerin Emilie Schenkl kennen und lieben. In Bad Gastein wurde geheiratet. Nur etwa drei Jahre der neunjährigen Ehe verbrachten sie jedoch miteinander. Die gemeinsame Tochter Anita sollte später in Deutschland als Wirtschaftswissenschaftlerin und SPD-Politikerin Karriere machen.

Weiterhin brisant?

Dass Bose vielen Akteuren damals gefährlich hätte werden können, ist evident: Sein über die Jahre gesammeltes Wissen - neben Hitler stand er auch mit Italiens Diktator Benito Mussolini, der japanischen Regierung und anderen im Einvernehmen - wäre dafür schon genug gewesen. Auch die Briten und die Russen fürchteten ihn, und nicht zuletzt wäre er bei einer Rückkehr nach Indien nach dem sich abzeichnenden Ende des Kriegs zweifellos wieder eine politische Führungsfigur geworden.

Als Grund für die weiterhin aufrechte Geheimhaltung von Boses Akt nennt das Büro des Premierministers denn auch, man sei dazu gezwungen: Die Durchsicht der Dossiers habe ergeben, dass die Offenlegung auch heute noch „Beziehungen zu befreundeten Ländern nachteilig beeinflussen würde“. Westbengalens Chefministerin Banerjee findet diesen Grund „lächerlich“: Modis Kabinett habe offenbar verschlafen, dass Indien sich nicht mehr so fürchten müsse, weil es nun doch schon seit geraumer Zeit ein unabhängiges Land sei.

Lukas Zimmer, ORF.at

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