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„Vor historischer Bewährungsprobe“

Eine breite Mehrheit der EU-Abgeordneten hat am Donnerstag die Umverteilung von 120.000 Flüchtlingen, die sich derzeit in Ungarn, Italien und Griechenland aufhalten, in Europa beschlossen. Am Montag war eine Sitzung der EU-Innenminister über diese Frage weitgehend gescheitert.

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Die EU-Parlamentarier forderten mit ihrer Abstimmung nun die Umsetzung des Vorschlags der EU-Kommission. Die legislative Entschließung wurde mit einer breiten Mehrheit von 372 Ja-Stimmen gegenüber 124 Nein-Stimmen und 54 Enthaltungen angenommen. Die Abstimmung ist Teil der Umsetzung der geplanten Notfallmaßnahmen. Das EU-Parlament muss dazu angehört werden. Die Letztentscheidung liegt aber bei den EU-Staaten.

Konservative, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne unterstützten den Plan. „Wir wollen zeigen, dass Europa bereit ist zu handeln“, sagte der Fraktionschef der konservativen EVP, Manfred Weber. Der Fraktionschef der Sozialdemokraten (SPE), Gianni Pitella, sagte: „Europa muss wieder ein Europa der Solidarität sein.“ Mehrere Abgeordnete, darunter auch FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky, übten Kritik an dem Dringlichkeitsvotum. Der britische Rechtspopulist Nigel Farage sagte, Quoten würden nur noch weitere Anreize für Flüchtlinge schaffen, nach Europa zu kommen.

Druck auf Innenminister erhöhen

Am Dienstag werden die EU-Innenminister erneut über die Verteilung der Flüchtlinge in Europa beraten. Noch keine Einigung herrscht unter den Ministern darüber, wie die Aufteilung konkret erfolgen soll. Laut dem Plan der Kommission muss Österreich 3.640 Flüchtlinge zusätzlich aufnehmen. Deutschland würde mit 31.443 Menschen den größten Anteil übernehmen. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) bezeichnete den EU-Parlamentsbeschluss als „wichtigen Schritt“.

Verteilungsschlüssel

Die Kriterien für die Aufteilung setzen sich zu jeweils 40 Prozent aus der Bevölkerungszahl und aus der Wirtschaftsleistung der EU-Staaten nach BIP zusammen. Zu jeweils zehn Prozent zählen die durchschnittliche Zahl der Asylanträge je eine Million Einwohner von 2010 bis 2014 und die Arbeitslosenquote.

Das Dringlichkeitsvotum des EU-Parlaments soll Druck auf die Innenminister ausüben, sich zu einigen. „Wir stehen vor einer historischen Bewährungsprobe“, sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD). Vor allem die osteuropäischen Staaten lehnen Flüchtlingsquoten weiterhin ab. Ungarn etwa wehrt sich dagegen, weil es sich nicht als Erstaufnahmeland und somit als nicht zuständig für Asylverfahren sieht. Rumäniens Präsident Klaus Johannis sieht verbindliche Vorgaben der EU zur Aufnahme von Schutzsuchenden nicht als Lösung der Flüchtlingskrise.

Das EU-Land, das nach dieser Quote Flüchtlinge aufnimmt, erhält laut dem Gesetzesvorschlag von der EU einen Pauschalbetrag von 6.000 Euro pro Asylwerber. Italien, Griechenland und Ungarn bekommen für jede Person, die aus ihrem Hoheitsgebiet umgesiedelt wird, einen Pauschalbetrag von 500 Euro für die Überstellung. Großbritannien, Irland und Dänemark verfügen über Ausnahmeregeln, sie müssen sich an der Umsiedlung nicht beteiligen.

Dänemark macht Ausnahme von der Ausnahme

Dänemark erklärte sich am Donnerstag dennoch bereit, laut den Plänen von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker 1.000 Flüchtlinge aufzunehmen. „Angesichts der völlig außergewöhnlichen Situation haben wir heute zum Ausdruck gebracht, dass die Regierung freiwillig anbieten will, eine auf 1.000 Personen begrenzte Anzahl Asylwerber aufzunehmen“, sagte die dänische Integrationsministerin Inger Stöjberg am Donnerstag in Kopenhagen. „Das hängt jedoch davon ab, dass es eine Unterstützung der Parteien im Parlament gibt und dass eine gemeinsame europäische Lösung gefunden werden kann.“

Verzicht auf verpflichtende Quoten?

Nach Angaben aus Kreisen der EU-Kommission könnte die EU allerdings ihre Pläne für verpflichtende Quoten bei der Verteilung von Flüchtlingen fallen lassen. Damit wolle sie den osteuropäischen Staaten entgegengekommen, die sich gegen die Aufnahme von Asylsuchenden sperren, hieß es am Mittwoch aus dem Umfeld der EU-Kommission. Die verbindliche Quote sei keine Option mehr, sagte ein Kommissionsvertreter.

Stattdessen werde ein Verteilmechanismus angestrebt, der auf Freiwilligkeit beruhe. „Unser Ziel ist es, die Einheit Europas zu erhalten“, sagte der für Migration zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos. Die EU-Kommission wies am Donnerstag aber Medienberichte zurück. Die Pläne einer verbindlichen Quote würden von der Kommission weiter verteidigt. Bereits formal beschlossen wurde die Umsiedlung von rund 40.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien. Das soll aber ohne feste Quote geschehen.

EU will multinationale Grenzschutzteams

Avramopoulos kündigte gegenüber der deutschen „Welt“ (Donnerstag-Ausgabe) zudem den Aufbau von multinationalen Grenzschutzteams für die bessere Sicherung der EU-Außengrenzen an. Bis Ende des Jahres soll ein Vorschlag für ein europäisches Grenzüberwachungssystem vorliegen, so der EU-Kommissar. Damit solle die Grenzsicherung zu einer gemeinsamen europäischen Aufgabe gemacht werden. „Dann könnten deutsche und griechische Grenzposten gemeinsam in Griechenland oder Italien tätig werden.“ Trotz der Wiedereinführung von Grenzkontrollen durch Deutschland und Österreich sieht der Migrationskommissar das Schengen-System in Europa nicht am Ende: „Das Schengen-System ist nicht in Gefahr, es wird weiterexistieren. Es sieht Grenzkontrollen in Ausnahmesituationen ausdrücklich vor.“

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