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Quotenentscheidung auf Oktober vertagt

Die EU-Innenminister haben sich am Montag nicht auf eine verbindliche Verteilung von Flüchtlingen in der Europäischen Union geeinigt. Stattdessen vereinbarte die Mehrheit der Länder im Grundsatz nach rund siebenstündigen Beratungen, dass man im Oktober beschließen wolle, 120.000 Flüchtlinge über die EU-Staaten zu verteilen, wie der luxemburgische Außen- und Immigrationsminister Jean Asselborn mitteilte.

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Für kommenden Dienstag ist unterdessen ein weiteres Sondertreffen der EU-Innenminister angesetzt, wie die luxemburgische EU-Ratspräsidentschaft am Dienstagabend mitteilte.

Die EU-Innenminister diskutierten laut Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) am Montag gar nicht über eine Flüchtlingsquote und trafen auch keinen Beschluss. „Da heißt es dranbleiben und die Diskussion weiterführen“, sagte Mikl-Leitner nach Ende der Beratungen heute Abend in Brüssel.

Schaltung zum deutschen Europapolitiker Elmar Brok

Der deutsche CDU-Europa-Politiker Elmar Brok im Interview mit Armin Wolf: „Es ist ein Armutszeugnis für eine Reihe von EU-Mitgliedsstaaten“, so Brok.

Gegen eine Einigung hätten sich vor allem die mittelosteuropäischen und die baltischen Staaten gestellt. Das Ziel zur Verteilung von zusätzlich 120.000 Flüchtlingen in Europa sei nur „eine Empfehlung“ des luxemburgischen EU-Ratsvorsitzenden Jean Asselborn. „Wir hatten keinen Beschluss in dem Sinne. Aber nichtsdestotrotz muss sich Europa so rasch wie möglich wieder an einen Tisch setzen und weiter verhandeln.“ Ein EU-Sondergipfel sei bisher aber noch nicht beschlossen worden.

„War nicht mehr zu erwarten“

„Entweder scheitert Europa an der Flüchtlingsfrage oder wir lösen gemeinsam diese große Herausforderung“, sagte die Innenministerin. Sie wolle an dieser Stelle aber niemandem drohen. „Von der heutigen Sitzung war nicht mehr zu erwarten.“

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner im Gespräch mit  Dimitris Avramopoulos und Simonetta Sommaruga

APA/EPA/Oliver Hoslet

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sieht eine „große Herausforderung“

Entscheidung im Oktober?

EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos sagte, es habe bei der geplanten Verteilung der 120.000 Flüchtlinge „nicht die Vereinbarung gegeben, die wir wollten“. Nach Angaben von Diplomaten fand keine Abstimmung zu der Frage statt. Es sei aber klar gewesen, dass eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten die Umverteilung aus stark belasteten EU-Staaten unterstütze. Durch eine solche Entscheidung könnten die Gegner der Aufnahme von Flüchtlingen nun möglicherweise beim nächsten Innenministertreffen Anfang Oktober überstimmt werden.

Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve sprach von einer „großen Mehrheit“ für den Vorschlag. „Eine gewisse Zahl von Staaten wollte sich aber nicht am solidarischen Prozess beteiligen, vor allem die Länder der Visegrad-Gruppe.“ Das sind Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn. Cazeneuve warnte, es gebe „kein Europa a la carte, Solidarität ist nicht teilbar“.

„Mehrheit ist Mehrheit“

Auf die Frage, ob bei einem Mehrheitsbeschluss auch die Verteilungsgegner Flüchtlinge aufnehmen müssten, sagte der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere: „Mehrheit ist Mehrheit.“ Wenn es eine verbindliche Regelung gebe, müsse sie „von allen eingehalten werden“.

Bei der Errichtung sogenannter Hotspots zur Registrierung in Italien und Griechenland sei der EU-Ministerrat weitergekommen. Die Genfer Flüchtlingskonvention sei von keinem Teilnehmer infrage gestellt worden. Die Diskussion über Hotspots in Ungarn nehme Fahrt auf, fix seien aber nur Hotspots in Italien und Griechenland, von denen aus Flüchtlinge auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden sollen.

Ruf nach Sondergipfel der Regierungschefs

Die Umverteilung von Asylsuchenden soll Ungarn, Griechenland und Italien entlasten. Der Fraktionschef der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt, forderte einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs, weil das gesamte Schengen-System für die Reisefreiheit in Europa in Gefahr sei. EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte mit einem solchen Schritt bei mangelnden Fortschritten bei diesem Thema gedroht.

ORF-Korrespondent Peter Fritz aus Brüssel

In Brüssel berieten die EU-Innenminister wieder über die Aufteilung der Flüchtlinge und die Einführung von Quoten.

Mittelosteuropäische und baltische Staaten beharrten auf ihrer Ablehnung. „Wir denken, dass Quoten nicht die richtige Lösung sind“, sagte der slowakische Innenminister Robert Kalinak. Es müsse stattdessen dafür gesorgt werden, dass die Syrien-Flüchtlinge in den Auffanglagern in der Türkei, im Libanon oder Jordanien blieben. Neben Ungarn sind Polen, Tschechien und die Slowakei gegen eine Pflichtverteilungsquote, wie sie die EU-Kommission vorschlägt.

De Maiziere übte gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Bernard Cazeneuve Druck auf die bremsenden Länder aus. Die beiden Minister gaben eine gemeinsame Pressekonferenz.

Mikl-Leitner hält Deutschland für mitverantwortlich

Mikl-Leitner machte unterdessen deutlich, dass sie Deutschland für mitverantwortlich am aktuellen Ausmaß der Flüchtlingskrise hält. Nachdem in internationalen Medien zu lesen gewesen sei, dass die deutsche Bundesregierung das sogenannte Dublin-Verfahren für Syrer ausgesetzt habe, hätten sich „Tausende von Menschen verstärkt auf den Weg gemacht“, sagte die konservative Politikerin. Es habe „sehr viele Hoffnungen“ gegeben.

Zu den von Deutschland wiedereingeführten Grenzkontrollen sagte Mikl-Leitner: „Wir haben damit gerechnet, dass Deutschland irgendwann einmal reagieren musste. Es war allen klar, dass das so nicht weitergehen kann.“

De Maiziere sagte, die Grenzkontrollen seien auch als Druckmittel gegen andere EU-Staaten wieder eingeführt worden: „Wir haben gezeigt, dass Deutschland nicht bereit ist, alleine durch eine faktische Umverteilung die Last zu tragen.“

Asselborn warnt vor Dominoeffekt

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte vor einem Chaos an den Grenzen in Europa, wenn viele Länder wieder Grenzkontrollen einführen würden. „Das wird ein Dominoeffekt werden, und wir können Schengen vergessen“, warnte Asselborn.

Die schweizerische Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga bemängelte, dass der Vorschlag der EU-Kommission für einen dauerhaften Verteilmechanismus „offenbar nicht einmal ein Thema“ sei. „Ich bedaure das sehr, weil es ist allen klar: Wenn wir in dieser Frage vorwärtskommen wollen, (...) dann braucht es einen festen Verteilmechanismus.“

Juncker für fixe Quote

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte ein solches System in der vergangenen Woche erneut vorgeschlagen. Immer dann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen ein Land zu stark belaste, könnten Flüchtlinge nach dem festgelegten Verteilungsschlüssel in andere EU-Staaten umgesiedelt werden.

Der Vorschlag für eine Notumsiedlung sieht lediglich vor, 120.000 Flüchtlinge aus Griechenland, Italien und Ungarn auf andere EU-Länder zu verteilen. Das soll zusätzlich zu den 40.000 Flüchtlingen erfolgen, auf deren Aufnahme sich die EU-Staaten im Sommer geeinigt hatten - doch in der Praxis waren die tatsächlichen Zusagen hinter dem Ziel zurückgeblieben. Die Minister bekräftigten am Montag diese Zahl. Bis Jahresende soll es eine Einigung auf die restliche Zahl geben.

Der UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge, Antonio Guterres, appellierte an die EU, sich endlich auf die Verteilung von Flüchtlingen zu einigen. „Wir erleben heute eine Situation des Chaos und der Verwirrung bei der Flüchtlingskrise in Europa“, sagte Guterres. Die EU-Staaten müssten Ordnung schaffen: „Solidarität ist etwas, was einige Länder manchmal benötigen und andere Länder anbieten müssen.“

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