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Mitteilung entwickelte Eigendynamik

Die Bilder davon, wie Menschen auf der Flucht in den vergangenen Tagen in Österreich und Deutschland willkommen geheißen wurden, sind um die Welt gegangen. Für einen Großteil der Flüchtlinge war Österreich allerdings nur eine Station auf der Durchreise.

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Von den etwa 16.000 Menschen, die alleine am Wochenende die österreichisch-ungarische Grenze überquerten, reisten etwa 15.000 weiter nach Deutschland. In Österreich wurden übers Wochenende laut Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) 730 Asylanträge gestellt - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Migranten am Wiener Westbahnhof

ORF.at/Peter Prantner

Die Ankunft eines Sonderzuges auf dem Wiener Westbahnhof

Etwa zwei Drittel der am Wochenende aus Österreich in Deutschland angekommenen Menschen wurden mittlerweile in Bayern untergebracht. Ein Drittel wurde laut der Bezirksregierung von Oberbayern auf andere deutsche Bundesländer verteilt. Die Deutsche Bahn koordinierte nach eigenen Angaben die Weiterfahrt mit planmäßigen sowie Sonderzügen etwa nach Dortmund, Frankfurt, Hamburg, Braunschweig, Saalfeld und Eisenhüttenstadt.

Merkel: „Missverständnis“

Ein Grund, warum so viele Flüchtlinge nach Deutschland weiterreisen, anstatt in Österreich Asyl zu beantragen, könnte eine Ankündigung Deutschlands von Ende August sein. In dieser Mitteilung hieß es, dass Deutschland das Dublin-III-Abkommen für Menschen mit syrischer Staatsangehörigkeit aussetze. Das Dublin-Verfahren sieht vor, dass Asylsuchende in dem Land ihren Antrag stellen müssen, in dem sie als Erstes die EU betreten. „Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weitestgehend faktisch nicht weiter verfolgt“, sagte Ende August ein Sprecher des deutschen Bundesamtes laut der Nachrichtenagentur AFP.

Nur wenige Tage später meldete das deutsche Innenministerium: „Deutschland hat Dublin nicht ausgesetzt.“ Das Abkommen sei geltendes Recht in Europa. Asylwerber müssten in dem Land registriert werden, in dem sie die EU betreten hätten. Wer also nach Ungarn komme, müsse sich dort registrieren lassen und das Asylverfahren durchlaufen. Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel meldete sich zu Wort: Es sei offenbar zu einem „Missverständnis“ gekommen. Die Dublin-Verordnung gelte in Europa nach wie vor. Sie räumte ein, die Ankündigung, syrische Flüchtlinge nicht mehr in andere EU-Staaten zurückzuschicken, habe offenbar zu einer „gewissen Verwirrung“ geführt.

Verwirrung um die Zahl 800.000

Diese „Kommunikationspanne“ dürfte allerdings der Hauptgrund gewesen sein, warum fast alle nach Deutschland weiterreisen, schrieb der Sender n-tv. Es sei allerdings auch schon vor dieser Mitteilung „faktisch“ der Fall gewesen, dass Deutschland Syrer nicht in andere EU-Staaten zurückgeschickt habe. Von 44.000 Syrern im ersten Halbjahr 2015 habe die Bundesrepublik nach Angaben des deutschen Innenministeriums nur 131 zurückgeschickt.

Die Meldung habe aber eine gewaltige Eigendynamik entwickelt und sei in Sozialen Netzwerken ins Englische und Arabische übersetzt worden. Auf dem Budapester Ostbahnhof (Keleti), wo Tausende Menschen auf eine Weiterreise warteten, hätten schließlich auch abgewandelte Versionen der Mitteilung die Runde gemacht. So habe es etwa geheißen, Deutschland wolle 800.000 Syrer aufnehmen. 800.000 ist aber die Zahl an Menschen, von der die deutsche Regierung annimmt, dass sie in diesem Jahr nach Deutschland kommen werden. Eine andere Version der Mitteilung war laut n-tv, Deutschland nehme jetzt alle Syrer auf, die es über die Grenze schaffen.

„Negative Bilder von Traiskirchen“

Dass Deutschland derzeit so eine Sogwirkung auf die Flüchtlinge entwickelt, erklärt Österreichs neuer Regierungsberater Kilian Kleinschmidt auch mit der starken Wirtschaftskraft Deutschlands und den damit verbundenen Hoffnungen, durch schnelle Verfahren rasch arbeiten und studieren zu können, um sich eine Existenz aufzubauen. Außerdem gebe es größere syrische Gemeinschaften, die es auch als Zielland attraktiv machten.

Migranten am Wiener Westbahnhof

ORF.at/Peter Prantner

Für viele Flüchtlinge ist Wien nur Zwischenstation

Österreich werde zwar auch als attraktives Land gesehen, aber nicht immer, denn es habe in den letzten Monaten auch negative Signale gegeben, so Kleinschmidt. Er meint damit die negativen Bilder, die aus Traiskirchen in die Welt hinausgingen, „das spricht sich schon herum“ - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Wichtige Transitstation auf Balkan-Route

Dass seit Wochen täglich mehr als tausend Menschen auf der Flucht in Ungarn ankommen, hängt damit zusammen, dass Flüchtlinge aus den Krisenregionen jetzt verstärkt die Balkan-Route statt den gefährlichen Weg über das Mittelmeer nach Europa wählen. Auf ihrem Weg über den Balkan ist Ungarn eine wichtige Transitstation, weil das Land seit 2007 zur grenzkontrollfreien Schengen-Zone gehört. Die wenigsten Flüchtlinge wollen aber in Ungarn bleiben. Bis vor drei Monaten konnten sie auch weitgehend ungehindert gen Westen weiterreisen, weil Ungarns Behörden sie kaum kontrollierten.

Ein Wendepunkt in der ungarischen Asylpolitik kam im Juni dieses Jahres, als mehrere EU-Staaten ankündigten, insgesamt rund 16.000 Flüchtlinge nach Ungarn zurückzuschicken, weil diese bereits dort registriert worden seien. Das entspricht dem Dublin-III-Abkommen. Daraufhin beschloss Ungarn den Bau eines Zauns an der 175 Kilometer langen Grenze zu Serbien, der Flüchtlinge abhalten soll. Zudem teilte Budapest mit, die Flüchtlinge aus dem Westen zunächst nicht wieder aufnehmen zu wollen.

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