Schlechte Versorgungslage
Nach wie vor weigern sich Hunderte Flüchtlinge, einen am Donnerstag im ungarischen Bicske gestoppten Zug zu verlassen. Wie viele tatsächlich die Nacht im Zug verbrachten, ist unklar. Die Angaben schwanken zwischen 300 und 1.000. Die ungarische Polizei spricht von 500.
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Die Menschen sind erschöpft, verweigern Berichten zufolge aber Wasser und Lebensmittel von Polizisten. Freiwilligen Helfern - privat und von Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz - wird aber offenbar der Zutritt zum Zug verwehrt. Es fehlen Decken. WC-Anlagen dürften zum Teil außer Betrieb sein, berichtete Markus Müller aus Bicske 40 Kilometer von Budapest entfernt für das Ö1-Morgenjournal - mehr dazu in oe1.ORF.at. Einige sind inzwischen ausgestiegen und protestieren zwischen dem Zug und dem gleich anschließenden Zaun.

APA/AP/Petr David Josek
Einige weigern sich, Lebensmittel und Wasser von Polizisten zu nehmen
Sie wehren sich weiter gegen den Transport in das bereits überfüllte Aufnahmezentrum Bicske. Auch dort dürfte die Versorgungslage schlecht sein. Dem Ö1-Bericht zufolge schlafen selbst Kinder im Lager auf dem Boden. Auch auf Twitter verbreitete Bilder bestätigen das.
Weiterreise kaum möglich
Die Strategie der Polizei ist unklar. Offenbar wartet sie darauf, dass die Menschen den Zug von selbst verlassen. Schon im Laufe des Donnerstagabends gingen nach Angaben des Polizeichefs der ungarischen Grenzkontrolle, Laszlo Balazs, 16 Flüchtlinge „freiwillig“ ins Lager. Mit der Aktion dürften die Behörden jedenfalls erreicht haben, dass die Flüchtlinge auf dem Budapester Ostbahnhof (Keleti) nicht mehr in jeden Zug drängen werden, der sie Richtung Österreich und Deutschland bringen könnte.
Derzeit wird Keleti von internationalen Zügen ohnehin nicht angefahren. Freitagfrüh fuhr erstmals wieder ein Zug von Budapest nach Hegyeshalom an der österreichischen Grenze. Flüchtlinge versuchten laut APA nicht, in den Zug zu steigen. Aber auch dieser Zug fuhr nicht über die Grenze nach Österreich. Weiterhin campieren Hunderte in der Umgebung des und im Keleti-Bahnhof. Einige Dutzend erreichten am Donnerstag nach Angaben der Wiener Polizei die österreichische Hauptstadt.

APA/ORF.at
Der Bahnhof Keleti war nach zwei Tagen Sperre am Donnerstag wieder geöffnet worden. Ein mit Flüchtlingen besetzter Zug mit angeschriebenem Ziel Sopron wurde zu Mittag allerdings in Bicske gestoppt. Dort standen 20 Busse für den Transport in das Flüchtlingslager von Bicske bereit. Am Nachmittag spielten sich dort dramatische Szenen ab. Viele verweigerten die Fahrt in das Lager, schrien „No camp!“ („Kein Lager“), einige legten sich auf die Gleise oder blieben eben in dem Zug. Die Polizei erklärte ihr Vorgehen damit, dass sie nur die Personalien der Flüchtlinge habe kontrollieren wollen. Das sei wegen der chaotischen Zustände am Budapester Ostbahnhof nicht möglich gewesen. Deswegen habe man den Zug in Bicske aufgehalten.
Chaos in Bicske
Auf dem Bahnhof in Bicske verweigern Hunderte Flüchtlinge die von der Polizei verteilte Nahrung und Wasser.
Ohne Registrierung Abschiebung
Diejenigen Flüchtlinge, die sich jetzt in Bicske freiwillig kontrollieren lassen, würden in ein Aufnahmelager gebracht. Jene, die die Kontrolle verweigerten, würden abgeschoben, erklärte der Vizechef der ungarischen Einwanderungsbehörde, Attila Kiss. Laut ungarischen Regeln werden Flüchtlinge in das Land abgeschoben, aus dem sie eingereist sind. In den meisten Fällen ist das derzeit Serbien.
Der ungarische Regierungschef Viktor Orban bekräftigte am Donnerstagabend zudem, dass Ungarn den im Land befindlichen Flüchtlingen unter Berufung auf das Dublin-Abkommen die Ausreise verweigern will. Von Deutschland verlangte er eine Klarstellung zum Umgang mit Menschen aus Syrien. Es gebe „einen Konflikt zwischen Ungarn und Deutschland“ in der Frage, sagte Orban bei einem Besuch in Brüssel.

APA/Herbert P. Oczeret
Der Zug mit Ziel Sopron endete Donnerstagmittag in Bicske. Seither warten die Flüchtlinge auf eine Weiterreise.
Äußerungen aus Deutschland, dass Syrer auch in der Bundesrepublik Asyl beantragen könnten und nicht mehr in den Ankunftsländern in der EU, sei von den Flüchtlingen als „Einladung“ verstanden worden. „Diese Kommunikationsfehler und Äußerungen haben eine unmögliche Situation in Ungarn geschaffen. Wenn Deutschland sie wirklich eingeladen hat, sollte Deutschland Visa ausstellen“, sagte Orban. Dann könnten sie aus Ungarn ausreisen.
UNO-Eingreifen in Budapest gefordert
Angesichts der Tausenden auf dem Budapester Keleti-Bahnhof gestrandeten Menschen forderte die Fraktionsvorsitzende der europäischen Grünen, Rebecca Harms, ein Eingreifen der UNO: „Wo bleibt die UNO, wo bleiben internationale Hilfsorganisationen?“, fragte die Politikerin bei einem Besuch in Budapest am Freitag. Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz sind derzeit im Bahnhof nicht präsent. Versorgt werden die Flüchtlinge lediglich von Freiwilligen der Organisation Migration Aid. Deren Helfer versorgen die Gestrandeten mit Wasser, Lebensmitteln, Kleidung und notdürftig medizinisch.
Sammelstelle an Grenze zu Serbien
Die ungarische Polizei eröffnete unterdessen eine neue Sammelstelle an der ungarisch-serbischen Grenze. Die Einrichtung in der Nähe der Grenzstadt Röszke kann 1.000 Flüchtlinge aufnehmen und liegt nahe dem „Hangar“, in dem die Registrierung der aus Serbien kommenden Migranten erfolgt.
An der Fertigstellung der neuen Sammelstelle, die für 38 Millionen Forint (rund 120.000 Euro) realisiert wurde, waren neben Bauarbeitern auch Strafgefangene beteiligt, die unter Aufsicht von Beamten des Strafvollzugs arbeiten. Das Gelände soll laut Medienberichten mit einem Zaun umgeben werden, der dem 175 Kilometer langen, 4,5 Meter hohen Grenzzaun an der ungarisch-serbischen Grenze ähneln soll.
Diplomatische Spannungen mit Österreich
Aufgrund der Flüchtlingssituation in Ungarn zitierte Kanzler Werner Faymann (SPÖ) für Freitag den ungarischen Botschafter ins Kanzleramt. Anlass sind diplomatische Spannungen wegen des Themas Flüchtlinge. „Die Genfer Menschenrechtskonvention ist von allen Staaten der EU zu respektieren“, sagte Faymann laut einer Aussendung des Kanzleramts am Donnerstag. „Asyl ist ein Menschenrecht, das in allen Staaten der Europäischen Union gilt“, so der Bundeskanzler, „genauso wie auch ein gemeinsamer Grenzschutz mit koordinierter Registrierung und eine faire Verteilung von flüchtenden Menschen auf alle Länder gelten sollte.“
Auch Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) will sich am Freitag mit seinem ungarischen Amtskollegen Peter Szijjarto zur Aussprache treffen. Auf die Frage nach der Botschaft, die Kurz Szijjarto überbringen wolle, erklärte der Sprecher: „Die Genfer Konvention gilt für alle.“
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