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Uneinigkeit vor Abstimmung

Mit fast 1,7 Millionen Unterschriften ist im September vor zwei Jahren die erste erfolgreiche EU-weite Bürgerinitiative zu Ende gegangen - Wasser war das Thema, das so viele Menschen mobilisierte. Damit war die EU-Kommission gezwungen, zu den Forderungen Stellung zu nehmen: Das tat diese auch - doch sie handelte bisher nicht. Das EU-Parlament versucht nun, neuen Schwung in den Kampf für ein Grundrecht auf Wasser zu bringen.

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Am Dienstag stimmte das Plenum des EU-Parlaments in Straßburg über das Thema, das alle Europäer täglich betrifft, ab - fast genau zwei Jahre nach Abschluss der ersten Bürgerinitiative, die das nötige Quorum erreichte, sodass sich die Kommission den Forderungen widmen muss. Alle österreichischen EU-Abgeordneten stimmten schließtlich für den Antrag - mit einer Ausnahme: NEOS-Abgeordnete Angelika Mlinar von der liberalen Fraktion ALDE enthielt sich.

Die zentralen Forderungen an die Kommission decken sich im Großen und Ganzen mit jenen der Bürgerinitiative: Gesetzliche Verankerung des Menschenrechts auf Wasser auf EU-Ebene, Verbot der Privatisierung, Zugang für alle zu Wasser und die Forderung, die Wasserversorgung aus allen künftigen internationalen Handelsabkommen - etwa TTIP oder TiSA - auszunehmen.

„Äußerst schwach“

Die irische EU-Abgeordnete Lynn Boylan, die den Initiativantrag als Berichterstatterin verfasste, zeigte sich im Gespräch mit ORF.at von der bisherigen "äußerst schwachen Reaktion der Kommission „sehr enttäuscht“. Denn die Kommission, die der direkte Addressat von Bürgerinitiativen ist, sei bisher nicht auf die Schlüsselforderungen eingegangen, so das Mitglied der Fraktion der Vereinigten Linken. Die Resolution mache das dagegen und gehe darüber noch hinaus.

Vorwurf der Zweideutigkeit

Insbesondere wirft Boylan der Kommission vor, sehr wohl die Privatisierung von Wasserversorgern voranzutreiben - „im Gegensatz zu ihren Beteuerungen, dass dies allein in der Kompetenz der Mitgliedsländer liegt“, so Boylan. Konkret geschehe das etwa im Rahmen der Verhandlungen der im Frühjahr in „die Institutionen“ umbenannten Troika über Sparpakete - etwa in Griechenland oder in ihrer Heimat Irland - so Boylan. In Irland war es im Vorjahr zu lautstarken Protesten gekommen, nachdem die Regierung aus Spargründen erstmals Wassergebühren einführte.

Boylan warnt die Kommission auch, dass die Missachtung der Bürgerinitiative und das Nichteingehen auf deren Forderungen das Vertrauen der Europäer in die EU-Institutionen weiter schwächen wird.

Kritik an EVP

Die Resolution ist für die Kommission ohnehin nicht bindend, sollte aber den politischen Druck zu handeln erhöhen. Denn die Kommission - sie hat aufgrund des Initiativrechts als einzige EU-Institution das Recht, Gesetzesvorschläge zu machen - habe sich im Wesentlichen darauf beschränkt, bestehende Gesetze einzuhalten. Das sei dem Umweltausschuss „zu wenig“ gewesen.

Volksbegehren auf Europäisch

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die Europäische Bürgerinitiative (EBI) eingeführt. Ziel ist es, dass sich Bürger aktiver in den politischen Prozess auf EU-Ebene einmischen. Die Kommission muss sich mit den Forderungen einer EBI befassen, wenn diese mindestens eine Millionen Unterschriften aus mindestens sieben EU-Ländern erhält. Die Kommission muss sich mit der EBI befassen, aber keinen Gesetzesvorschlag machen. De facto entspricht die Bürgerinitiative damit einem Volksbegehren in Österreich.

Die SPÖ-EU-Abgeordnete Karin Kadenbach, die im Umweltausschuss sitzt und die Resolution unterstützt, fürchtet jedoch, dass die Wirkung dadurch abgeschwächt wird, dass es selbst im EU-Parlament keine geschlossene Front für die Resolution gibt. Die konservative EVP-Fraktion legte dem Plenum nämlich eine alternative Resolution vor.

Die Berichterstatterin Boylan warf der EVP-Fraktion vor, im Umweltauschuss „zynisch“ gehandelt zu haben. Die spanische EVP-Abgeordnete Esther Herranz-Garcia - sie war für die EVP als sogenannte Schattenberichterstatterin federführend - nahm trotz Nachfrage gegenüber ORF.at nicht Stellung. Die ÖVP-Abgeordnete Elisabeth Köstinger beteuerte ihrerseits, die ÖVP-Delegation unterstütze auf jeden Fall auch die vom Ausschuss verabschiedete Resolution im Plenum in Straßburg. Sie betonte, dass neben dem Menschenrecht auf Wasser für Österreich vor allem mehr Transparenz bei der Preisgestaltung - auch bei öffentlichen Wasserversorgern - ein wichtiges Thema sei.

Der deutsche EU-Parlamentarier Sven Giegold (Grüne) hatte am Wochenende Alarm geschlagen und gewarnt, die EVP wolle den Antrag des Umweltausschusses zu Fall bringen. Im EVP-eigenen Resolutionsantrag seien entscheidende Forderungen der Bürgerinitiative nicht enthalten - etwa der Vorschlag der Umweltausschusses, Trinkwasser von Binnenmarktregeln und Handelsabkommen wie TTIP auszunehmen.

Auch wenn die Initiative schließlich mit einer Mehrheit von 363 Stimmen angenommen wurde - 96 Gegenstimmen und 231 Enthaltungen nehmen dem Antrag viel an Durchschlagskraft.

Doch jene EU-Bürger, die die Bürgerinitiative unterstützten, werden ohnehin weiter auf eine Klarstellung warten müssen: Denn die Kommission, die vom Parlament im Sinne der Bürgerinitiative zum Handeln aufgefordert werden wird, sieht keine Grundlage, das Recht auf Wasser zu EU-Recht zu machen, und spielt den Ball gegenüber ORF.at bereits vorab an die Mitgliedsländer weiter.

Guido Tiefenthaler, ORF.at

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