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Nach Faymann-Kritik an Ungarn

Ungarn hat am Dienstag den österreichischen Botschafter in Budapest, Ralph Scheide, ins Außenministerium zitiert. Grund waren Aussagen Faymanns im ORF-„Sommergespräch“ am Montagabend. Budapest warnte Wien nun vor „gefährlichen Spannungen“.

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Faymann hatte dort den ungarischen Stacheldrahtzaun an der Grenze zu Serbien ebenso heftig kritisiert wie den Umgang des Landes mit der Dublin-Verordnung. Es sei falsch zu glauben, dass man die Problematik so lösen könnte, hatte Faymann in Bezug auf die umstrittene, 175 Kilometer lange Grenzbarriere erklärt: „Da wissen wir, dass Schlepper Möglichkeiten des Ausweichens haben. Daher ist nur eine politische Lösung möglich.“

Die Dublin-Verordnung

Die Dublin-Verordnung regelt, dass Asylwerber in jenes EU-Land rückgeschoben werden können, in dem sie erstmals registriert wurden.

Zudem hatte der Bundeskanzler suggeriert, Ungarn halte sich nicht an die Dublin-III-Richtlinie, wonach jener Staat für das Asylverfahren zuständig ist, in dem Schutzsuchende erstmals EU-Boden betreten haben. „Dann ist vorgesehen, dass dort das Verfahren abzuwickeln ist, das ist sehr lückenhaft. Einige machen das zu wenig.“

„Unwahrheiten verbreitet“

Ungarns Außenminister Peter Szijjarto zeigte sich am Dienstag „enttäuscht“ von den Aussagen Faymanns. Er erwarte sich vom Regierungschef eines Nachbarlandes, erst dann Kommentare abzugeben, wenn dieser die Fakten vollständig verstanden habe, und nicht, Unwahrheiten zu verbreiten, zitierte die ungarische Agentur MTI Szijjarto. Zudem könnten Faymanns Aussagen zu „gefährlichen Spannungen“ führen.

Den Vorwurf, Ungarn würde Migranten einfach durchreisen lassen, wies der Außenminister zurück. Der Schengen-Grenzkodex lege klar fest, dass es Aufgabe der Mitgliedsstaaten sei, ihre Außengrenzen zu schützen, sagte Szijjarto. Ungarn werde sich daran halten, auch wenn es dafür kritisiert werde, fügte er hinzu. Bereits am Vormittag hatte das ungarische Außenministerium den französischen Botschafter vorgeladen. Grund war ebenfalls Kritik des französischen Außenministers Laurent Fabius an der ungarischen Flüchtlingspolitik.

Orban trifft EU-Spitzen

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban kündigte derweil ein Krisentreffen an, um über das Thema Flüchtlinge zu beraten. Er werde am Donnerstag mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz beraten, hieß es auf der Regierungswebsite. Die EU-Kommission bestätigte ein Treffen Junckers mit Orban.

Regierung schießt sich auf Ungarn ein

Faymann kündigte am Dienstag nach dem Ministerrat sowohl bilaterale Gespräche mit den Nachbarländern Slowakei, Tschechien und Ungarn als auch eine nationale Klausur an. Es könne nicht sein, dass Ungarn die Dublin-Regeln nicht einhalte, nur weil diese nicht gut funktionieren.

„Gesetze sind auch von Ungarn einzuhalten“, so Faymann. Ungarn habe die Ankündigung Deutschlands, für syrische Flüchtlinge die Dublin-Regeln auszusetzen, offenbar absichtlich so „missverstanden“, dass es überhaupt keine Kontrollen mehr durchführe. Dublin sei mittel- und langfristig „nicht sinnvoll und lückenhaft“, deswegen könne man es aber nicht ignorieren, sagte der Kanzler in Richtung Ungarn, mit dem Österreich auch bilaterale Gespräche führen werde.

Auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) hält an Dublin fest. Dass Österreich nicht kontrollieren und Asylwerber nach Deutschland weiterschicken würde, wies er zurück. Es sei technisch nicht möglich, flächendeckende Kontrollen durchzuführen, man kontrolliere aber stichprobenartig.

Dublin-Verordnung „problematisch“

Mitterlehner sprach sich bereits am Montag gegen die von Deutschland vorgemachte nationale Aussetzung des Dublin-Verfahrens für syrische Flüchtlinge aus. Möglich sei das nur auf europäischer Ebene, andernfalls setze man sich dem Vorwurf einer Vertragsverletzung aus, sagte er bei einer Pressekonferenz. Bundespräsident Heinz Fischer hatte die Aussetzung am Sonntag gefordert.

Die Dublin-Verordnung sei in ihrer Anwendung problematisch, so Mitterlehner unter Verweis etwa auf Griechenland und die Urteile zu den dortigen menschenrechtlichen Standards. Die EU habe eine Evaluierung angekündigt. Geplant sei sie erst für 2016. Nun werde man sehen, ob das auch schneller gehen werde.

Merkel: Keine Mitverantwortlichkeit

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wies unterdessen die Aufforderungen aus Ungarn und Österreich zurück, Deutschland müsse seine Rechtslage bei Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien klären. „Was die Frage der ankommenden syrischen Flüchtlinge anbelangt, so sehe ich ehrlich gesagt keine Mitverantwortung Deutschlands“, sagte Merkel am Dienstag in Berlin zu den aus Ungarn über Österreich ankommenden Zügen mit Flüchtlingen.

Es sei lediglich darauf hingewiesen worden, dass die, die in Deutschland ankämen, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch den Status als Bürgerkriegsflüchtlinge bekommen würden. „Das dürfte angesichts der Situation in Syrien keine Überraschung sein und müsste eigentlich in jedem europäischen Land ähnlich sein“, sagte Merkel.

Dublin „nicht ausgesetzt“

„Für uns gilt natürlich die derzeitige Rechtslage. Wir stellen nur durch das praktische Erleben jeden Tag fest, dass die geltende Rechtslage offensichtlich nicht praktiziert wird“, sagte sie mit Blick auf das Dublin-Abkommen. „Deutschland hat Dublin nicht ausgesetzt“, so ein Sprecher des deutschen Innenministeriums am Dienstag in Berlin.

Merkel forderte andere EU-Regierungen auf, sich nun nicht gegenseitig Fehler vorzuwerfen, sondern an gemeinsamen europäischen Lösungen zu arbeiten. Dazu gehörten Registrierungszentren in Griechenland und Italien. Zudem müsse die Rückführung nicht bleibeberechtigter Flüchtlinge geklärt und eine faire Verteilung von Asylwerbern innerhalb der EU erreicht werden.

CDU-Politiker fordert Vertragsverletzungsverfahren

Der deutsche CDU-Politiker Gunther Krichbaum hat die EU-Kommission aufgefordert, Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn und Österreich zu prüfen. „Es ist skandalös, dass Flüchtlinge nun ungeprüft und ohne Ausweiskontrolle nach Deutschland kommen“, sagte der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im deutschen Bundestag am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. „Es handelt sich ganz offensichtlich um einen Bruch der Dublin-Vereinbarung. Und die EU-Kommission muss als Hüterin der Verträge aktiv werden“, sagte der deutsche Politiker.

Bekommt Österreich EU-Warnbrief?

In Brüssel wurde unterdessen bekannt, dass die EU-Kommission 32 Warnbriefe an EU-Staaten vorbereitet. Dabei gehe es um fünf Punkte - Fingerabdrücke, Asylverfahren, die Definition, wer für Asyl qualifiziert ist, die Bedingungen für den Erhalt von Asyl und die Einhaltung der Menschenrechte.

An wen die Briefe geschickt werden, wollte die Sprecherin nicht sagen. Sie betonte allerdings, dass auch Staaten betroffen seien, gegen die in Bezug auf Asylregeln bisher keine sogenannten Vertragsverletzungsverfahren gelaufen seien. Das sei zum Beispiel Österreich, wie die dpa folgerte. „Dort mussten Asylsuchende zuletzt zeitweise unter freiem Himmel schlafen, weil keine Unterkünfte zur Verfügung gestellt wurden“, so die Nachrichtenagentur.

Die Sprecherin sagte ferner, dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker „in permanentem Kontakt“ u. a. mit Kanzler Faymann und Merkel stehe. Zu verschiedenen Aussagen und kritischen Stimmen in der Flüchtlingskrise stellte die Sprecherin fest, dass „jetzt nicht die Zeit ist, mit dem Finger auf andere zu zeigen“. Es sei klar, dass nicht ein EU-Land allein die Flüchtlingskrise bewältigen könne. Es gehe um eine gemeinsame Verantwortung.

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