Bereits zuvor in Verdacht geraten
Zwei der vier Männer, über die nach dem Tod von 71 Flüchtlingen in einem Lkw auf der Ostautobahn (A4) von einem ungarischen Gericht Untersuchungshaft verhängt worden ist, sind offenbar amtsbekannt. Sie sollen bereits vor dem Fall im Burgenland wegen des Verdachts auf Schlepperei in das Visier der Polizei geraten sein, schreibt das Internetportal Nol.hu am Montag.
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Die Männer, drei Bulgaren und ein Afghane, stehen unter Verdacht, für den Tod von 71 Flüchtlingen in einem Kühltransporter auf der Ostautobahn (A4) verantwortlich zu sein. Am Sonntag wurde ein weiterer verdächtigter Bulgare verhaftet. Zwei der fünf mutmaßlichen Schlepper seien zuvor in Deutschland aufgefallen, berichtete am Montag der „Spiegel“ (Onlineausgabe). Einer von ihnen war demnach sogar zur Fahndung ausgeschrieben. Zuvor hatte es schon geheißen, dass zwei der Beschuldigten im Burgenland in das Visier der Polizei geraten seien.
Ende Juli Afghanen nach Bayern geschleppt?
Bei dem gefahndeten Mann handelt es sich dem Bericht zufolge um einen 29-jährigen Bulgaren. Auf ihn stießen die deutschen Sicherheitsbehörden laut „Spiegel“ in den vergangenen Jahren mehrfach im Zusammenhang mit Straftaten, unter anderem auch Menschenschmuggel. So soll der mutmaßliche Schlepper Ende Juli an Bord eines Transporters mit 38 überwiegend aus Afghanistan stammenden Flüchtlingen gewesen sein, der auf der Autobahn 3 in Bayern angehalten wurde.
Die beiden Fahrer konnten damals laut dem Bericht flüchten. In dem Fahrzeug sei jedoch eine ungarische Kurzzeitzulassung gefunden worden, die auf den 29-Jährigen ausgestellt war. Die Staatsanwaltschaft Deggendorf ermittele daher gegen ihn wegen gewerbsmäßigen Einschleusens, berichtete der „Spiegel“. Die Strafverfolgungsbehörde in Deggendorf war am Montag für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen.
Auch ein zweiter nach der Flüchtlingstragödie festgenommener Verdächtiger soll sich nach Informationen des Nachrichtenportals schon einmal in Deutschland aufgehalten haben. Die Daten des heute 28-jährigen Afghanen wurden demnach von der Bremer Polizei erfasst, weil er sich ohne Aufenthaltserlaubnis in Deutschland aufhielt.
U-Haft noch nicht rechtskräftig
Laut dem ungarischen Nachrichtenportal wird gegen die fünf Verdächtigen nicht wegen Mordverdachts, sondern wegen organisierten Menschenschmuggel ermittelt. Dafür könnte in Ungarn eine Strafe von zwei bis 16 Jahren verhängt werden. Die Untersuchungshaft ist noch nicht rechtskräftig, da die Verdächtigen Berufung einlegten.
Zwar gebe es noch keinen diesbezüglichen Beschluss, doch würden die Behörden die in Ungarn verhafteten Verdächtigten mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb kürzester Zeit an Österreich ausliefern, schrieb Nol.hu. Wie die Nachrichtenagentur BTA berichtete, ermittelt auch die bulgarische Sicherheitsbehörde SANS in diesem Fall.
Zeuge will Schlepper gesehen haben
Unterdessen hat sich ein ungarischer Fernfahrer gemeldet, der den Kühltransporter bereits am Mittwochvormittag auf der A4 gesehen haben will. Er habe auch den Schlepper gesehen, sagte er gegenüber dem Internetportal Index.hu. Er sei aus Deutschland kommend nach Ungarn unterwegs gewesen, als er bei Parndorf den parkenden Lkw auf der Gegenfahrbahn gesehen habe. Dabei habe er am Mittwoch gegen 9.45 Uhr einen Mann gesehen, der die Hintertür des Lasters zuschlug. Dann sei dieser Mann panikartig zur Beifahrerseite eines vor dem Lkw abgestellten Autos gelaufen und davongefahren - mehr dazu in burgenland.ORF.at.
Obduktionen laufen
Die ungarischen Behörden sehen es als erwiesen an, dass der Lkw im mittelostungarischen Kecskemet, etwa 15 Kilometer südlich von Budapest, losfuhr. Noch immer nicht geklärt ist jedoch, wann die 71 Menschen ums Leben kamen. Bisher wurden 26 der 71 Leichen obduziert. Laut Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil verdichten sich die Hinweise auf einen Erstickungstod.
Das sei allerdings noch kein endgültiges Ergebnis, Gewebeproben müssten noch abgewartet werden, so Doskozil im Interview mit dem ORF Burgenland am Sonntagabend - mehr dazu in burgenland.ORF.at.
Lkw „Millimeter für Millimeter“ untersucht
Neben der Obduktion der Leichen untersuchen die Behörden derzeit auch den Lkw. Das Schlepperfahrzeug werde im burgenländischen Nickelsdorf „Millimeter für Millimeter“ untersucht, erklärte Polizeisprecher Helmut Marban am Samstagabend. Im Fokus der technischen Untersuchungen stehtinsbesondere die Kühlanlage und die Frage, ob diese vielleicht präpariert worden sei, um eine Luftzufuhr zu ermöglichen, sagte Doskozil gegenüber der APA.
Die Ermittler versuchen weiters herauszufinden, wie luftdicht der Laderaum des Lkw war. Diese Auswertung sei ein Faktor, um ein Weg-Zeit-Diagramm erstellen zu können, um eventuell auch den Todeszeitpunkt zu klären, sagte Doskozil. Man müsse schauen, wie weit dieser eingeengt werden könne. Dadurch ließe sich eine Aussage darüber treffen, wo höchstwahrscheinlich der Tod eingetreten ist - in Österreich oder noch vor der Grenzüberfahrt in Ungarn.
Frage der Zuständigkeit
Das dürfte auch für die Zuständigkeit der Behörden der beiden Länder interessant sein. Die Staatsanwaltschaft des Komitats Bacs-Kiskun hatte die Zuständigkeit für ihre Ermittlungen bisher damit begründet, dass der Lkw in Kecskemet losgefahren sei. Die ungarischen Ankläger sind auch für die Hausdurchsuchungen zuständig, bei denen am Freitag nicht näher bezeichnetes Beweismaterial beschlagnahmt wurde. Offensichtlich halten sie sich aber nicht nur für die Ermittlungen, sondern allenfalls auch für die Anklageerhebung zuständig.
Aber auch die Staatsanwaltschaft Eisenstadt fühlt sich zuständig. Sprecherin Verena Strnad hielt am Sonntag gegenüber der APA allerdings fest: „Es ist zu betonen, dass es keinen Streit über die Zuständigkeit gibt. Es ist wichtig, den Beschuldigten vor Augen zu führen, mit welchen strengen Sanktionen sie rechnen müssen.“ Die zentrale Aufgabe sei die Aufklärung des Falles, sagte Strnad und betonte einmal mehr die gute Zusammenarbeit mit den ungarischen Behörden. Man stehe auch seitens der Staatsanwaltschaften in engem Kontakt. Ob die vier Verdächtigen nach Österreich ausgeliefert werden, hänge „untrennbar“ mit der Frage der Zuständigkeit zusammen. Dazu werde es Gespräche geben.
Österreichische Ermittler in Ungarn
Von der burgenländischen Polizei wurde am Samstag ein Ermittlungsteam nach Ungarn geschickt. Wie lange die Beamten aus Österreich dort bleiben werden, hänge damit zusammen, was die Gespräche mit der Führung des Polizeikomitats ergeben, erläuterte Doskozil. Jedenfalls werde mit dem Direktor abgeklärt, was erforderlich sei. „Um den Informationsfluss auch entsprechend aufrechtzuerhalten, wird der eine oder andere Beamte sicherlich dort bleiben.“ Vernehmungen können die österreichischen Ermittler allerdings keine durchführen.
Spezialteam soll Identität klären
Seit Sonntag ist auch ein Spezialteam zur Identifizierung der Opfer im Einsatz. Dabei handelt es sich laut Doskozil um ein DVI-Team (Desaster Victim Identification), wie er gegenüber der APA am Samstagabend im Interview mitteilte. „Ab morgen beginnt ein etwa zwanzigköpfiges Team, das sich damit auseinandersetzt, wie die Identifikation stattfinden soll beziehungsweise das bemüht ist, die Personen zu identifizieren“, so Doskozil.
Hotline
Die Polizei bittet um Hinweise und hat dafür eine Hotline mit der Nummer 05 9133 103 333 eingerichtet.
Die Mitglieder seien speziell ausgebildete Kollegen, die zu Krisensituationen oder Katastrophenfällen - etwa auch bei der Tsunami-Katastrophe 2004 - ausrücken. Sie seien vor allem in der dauerhaften Sicherung von DNA-Proben ausgebildet. Weiters geht es vor allem um den Versuch, die Hinterbliebenen der 59 Männer, acht Frauen und vier Kinder informieren zu können, damit sie nicht namenlose Gräber bekommen müssen.
Polizeisprecher Marban hatte am Samstagabend bestätigt, dass die Untersuchung von Behältnissen und Kleidung abgesehen von einem syrischen Pass wenige Spuren ergeben habe. Man konzentriere sich nun auf die Handys der Opfer, „vielleicht führt uns das zur Identität der Leute“. Bei der Identifikation der Opfer sei die Polizei darüber hinaus auch auf Hinweise von Angehörigen und Freunden angewiesen, so Doskozil. Die burgenländische Polizei richtete deshalb eine Hotline ein, die rund um die Uhr besetzt ist - seit Sonntag auch mit Dolmetschern.
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