Riskante Überexpansion
Chinas Wirtschaft ist im letzten Quartal um sieben Prozent gewachsen. Im internationalen Vergleich ist das noch immer hoch, doch für das Land ist es der schlechteste Wert seit 1990. Diese Entwicklung lässt unter anderem die Frage nach der Zukunft der Geisterstädte im Reich der Mitte wieder lauter werden. Von so manchem Großprojekt blieben nur leere Mauern und Schuldenberge der Regionalregierungen.
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Die wohl bekannteste chinesische Geisterstadt ist Kangbashi bei der innermongolischen Stadt Ordos. Kangbashi wurde ursprünglich für 300.000 Menschen errichtet, trotz geringen Zuzugs erweiterte man die Kapazitäten für eine Million Bewohner. Die Stadt hat große Probleme, sich tatsächlich mit Menschen zu füllen.
Zwischenzeitlich forcierte die chinesische Regierung laut dem „Guardian“ die Ansiedlung von Bauern. Mit ihnen sollen derzeit rund 100.000 Menschen in Kangbashi leben. Das bedeutet zwar einen Wachstum, die tatsächlichen Kapazitäten sind allerdings nur zu einem Bruchteil gefüllt.
Klotz am Bein
Der Unwille, sich in Kangbashi anzusiedeln, könnte mit der schwierigen ökonomischen Situation der Region zusammenhängen. Ordos selbst ist reich an natürlichen Ressourcen, beherbergt beispielsweise ein Sechstel der landesweiten Kohlereserven. Diese schwemmten jahrelang hohe Summen in die Kassen der Region. In diesem Goldrausch begann man dann 2004 damit, das Kangbashi-Viertel in die Höhe zu ziehen.

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Trotz geringen Interesses wurden Kangbashis Kapazitäten ausgebaut
Heute ist der Kohlemarkt allerdings unter Druck, die Preise sind auf dem Boden, und der städtische Immobilienmarkt erlebt als Folge der Überexpansion einen Einbruch. Die Beschäftigung sinkt und die mit den Großprojekten betrauten Stadtentwicklungsfirmen geraten zunehmend ins Straucheln. Das könnte der Regionalregierung schweren finanziellen Schaden zufügen. Derzeit erweist sich Kangbashi für Ordos und China als schwerer Klotz am Bein.
Verödetes Villengroßprojekt
Auch in der Jingjin New City will niemand leben. Das Villenprojekt ist etwa auf halbem Weg zwischen Peking und der Hafenstadt Tianjin, die Mitte August von tödlichen Explosionen erschüttert wurde, gelegen. Hinter der „Triumphbogen“ genannten Zufahrt befindet sich laut „Financial Times“ ein Hyatt Regency Hotel mit 800 Betten, erbaut im Stil eines europäischen Palastes. Doch nur etwa zehn Prozent der Zimmer seien im Schnitt ausgelastet.
Die Tennishalle und andere Anlagen sind zugesperrt. Sieben Jahre nach der Errichtung falle das Gebäude auseinander, auf vielen Balkonen wachse hohes Unkraut. Zu Füßen des Hotels erstreckt sich auf etwa 15 Quadratkilometern „Asiens größter Villenkomplex“, so die Eigenwerbung für das Projekt. Mehr als 2.000 Villen stehen bereits, Hunderte weitere sind geplant. Doch kaum jemand lebt dort - auch die Infrastruktur, wie Einkaufsmöglichkeiten, fehlt weitgehend.
Bauboom für Wachstum
China baute in den letzten Jahren mit großer Intensität. Dabei ging es nicht nur um die Schaffung von Produktions- und Wohnraum, Landnahme und Bebauung wurden bewusst als Instrument benutzt, um Investitions- und Jobwachstum aufrechtzuerhalten und wirtschaftliche Aktivität zu generieren.
Dabei begaben sich viele Regionalregierungen in finanzielle Abhängigkeit, indem sie die Verpachtung von Bauland zur zuverlässigen Geldspritze abseits der Mittel aus Peking machten. Diese wurden unter anderem dazu benötigt, die beachtlichen Schuldenberge zu tilgen, die für Infrastrukturentwicklung angehäuft wurden.

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Die Strukturen bleiben weitestgehend ungenutzt
Laut einer heuer veröffentlichten Studie der japanischen Investmentbank Nomura stellen die hohe Verschuldung der Regionen und die zunehmenden Schwierigkeiten, diese zurückzuzahlen, ein beträchtliches Risiko dar. Die Investmentbank Mizuho Securities Asia schätzt, dass es sich bei den Regionalschulden mittlerweile um einen Betrag von ca. 25 Billionen Yuan, also rund 3,3 Billionen Euro, handeln könnte.
Industriestädte in Turbulenzen
Chinas derzeit langsamer wachsende Wirtschaft sowie die zunehmende Verschiebung weg von Bau, Rohstoffverarbeitung, Billigexport und Industrie hin zum Dienstleistungs- und Entwicklungssektor bringt vor allem schwächer entwickelte Provinzen in die Bredouille. Viele der ausgestorbenen Städte, Industrieparks und Viertel befinden sich in diesen Regionen. Ändern sich die Perspektiven nicht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie auch in Zukunft leer bleiben werden.
Ein weiteres Beispiel hierfür ist das Stadtentwicklungsprojekt Shenfu New Town zwischen den Industriestädten Shenyang und Fushun in Chinas Nordosten. Dortige Bauten sollten den Zuzug beider Städte abfangen, doch laut „Washington Post“ leben in dem ambitioniert angelegten Projekt bei Weitem nicht so viele Menschen wie im Vorfeld erwartet - und das, obwohl der Makler zu jedem Apartment ein Auto verspricht.
Weniger Arbeit und Abwanderung
Der Plan der Regierung für die Region scheiterte: Die Menschen verlassen aufgrund von Arbeitsmangel und sinkenden Löhnen die Region und lassen eine rapide alternde Bevölkerung zurück. Dabei feierte gerade der Nordosten noch vor wenigen Jahren sein Turbowachstum, da die Region als Heimat von Schwerindustrie und Bergbau das Rückgrat für den chinesischen Bau- und Industrieboom wurde. Die in der Region liegende Provinz Liaoning konnte zwischen 2003 und 2012 durchschnittlich eine jährliche Wachstumsrate von 12,8 Prozent vorweisen, im ersten Quartal von 2015 lag sie bei 2,6 und war somit die geringste von ganz China.
Wie ein anonymer, mit Wirtschaftsfragen betrauter Funktionär aus Lianoning im Gespräch mit der „Washington Post“ angab, fehle es der Region an einer grundsätzlichen Neuorientierung. Die bestehenden ökonomischen Strukturen seien nicht zu halten, doch eine Alternative sei auch nicht in Sicht.
Gleichzeitig seien an Planwirtschaft und Industrialisierung orientierte Muster immer noch tief in den Köpfen der Menschen verwurzelt. Der Region mangelt es dadurch laut der Quelle an einer Kultur lebendigen Unternehmertums. Ein eigenes Geschäft zu starten werde nicht gefördert. Vielmehr würden die Leute Arbeit in einem großen staatseigenen Unternehmen wollen.
Peking will Entwicklung
Chinas Führung ist die Erfordernis des Strukturwandels bewusst: „Entwicklung ist der Schlüssel zur Lösung von Chinas Problemen“, sagte Chinas Ministerpräsident Li Keqiang bei einem Besuch im gebeutelten Nordosten. Dafür wolle man auch das langsamere Wachstum in Kauf nehmen. Nachhaltigkeit, Abkehr von traditionellen Industrien, stärkerer Konsum und weniger Abhängigkeit von Exporten seien derzeit für Peking die Devise.
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