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Endlich zur Ruhe kommen

Die Ibrahims sind eine von vielen Flüchtlingsfamilien, die derzeit auf Wohnungssuche in Wien sind. Freiwillig haben sie ihr Zuhause in Syrien nicht verlassen. Dennoch möchten sie sich in Österreich eine anständige Existenz aufbauen.

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Wenn man mit Flüchtlingen spricht und nach dem alten Leben zu Hause fragt, nach der Zeit vor dem Krieg, huscht meist ein Lächeln über ihr Gesicht. Das ist auch bei Jussef Ibrahim (41) und seiner Frau Manal (33) nicht anders. Er war Maurer, sie arbeitete als Aushilfsschneiderin. Im kurdischen Teil Syriens besaß die Familie ein Haus. Ein wunderschönes Haus - Ehrensache für einen Maurer, der alles selbst machen kann. Der Garten war nicht groß, aber es standen Bäume darin.

Die Freie Syrische Armee nahm das kleine Dorf ein, in dem die Ibrahims lebten. Vater Jussef weiß es noch auf den Tag genau: Am 13. November 2013 fielen die Bomben des Assad-Regimes auf die Häuser in seiner Straße. Die drei Kinder waren mit der Mutter zu Hause, Herr Ibrahim war bei seinem Vater zu Besuch. Das Haus der Eltern wurde von einer Bombe getroffen, seine Schwester verletzt. Er selbst und die Eltern hielten sich gerade auf der anderen Seite des Hauses auf. Seine Frau und die Kinder wurden nicht verletzt: Eine Bombe schlug im Garten ein, das Haus der Familie blieb verschont. Mittlerweile ist es zerstört.

Jussef und Manal Ibrahim

ORF.at/Simon Hadler

Manal und Jussef Ibrahim in ihrer kleinen Caritas-Wohnung

Sendungshinweis

Das Interview mit Familie Ibrahim zum Nachhören aus dem Ö1 Mittagsjournal:

oe1.ORF.at

Die Flucht nach Österreich

Die Ibrahims flüchteten unmittelbar nach dem Bombeneinschlag. Neun Tote waren in den Häusern ihrer Straße zu beklagen und zahlreiche Verletzte. Die Kinder bekamen alles mit. Auf dem Weg zur irakischen Grenze wurden sie noch einmal bombardiert. Wieder kamen alle Familienmitglieder davon. Nach einigem Hin und Her im Grenzgebiet verbrachten die Ibrahims ein Jahr in einem irakischen Flüchtlingslager - unter prekären Bedingungen. Besonders erschwerend war die multiple Behinderung des mittlerweile fünfjährigen Hoshiar.

Vater Jussef machte sich auf den Weg nach Österreich, um später die Familie legal und auf sicherem Weg nachholen zu können. 8.000 Euro kostete seine Flucht insgesamt. In Österreich war Herr Ibrahim zunächst in Traiskirchen untergebracht, dann in einer Pension an der tschechischen Grenze in Niederösterreich. Nach vier Monaten erhielt er seinen positiven Asylbescheid. Mit dem letzten Geld der Familie erledigte er die Formalitäten für das Nachholen von Frau und Kindern und kaufte Flugtickets für alle Richtung Österreich. Als die Familie auf dem Flughafen Schwechat endlich wieder zusammenkam, war das für Ibrahim „der glücklichste Moment in meinem Leben“.

Sohn von Jussef und Manal Ibrahim

ORF.at/Simon Hadler

Der fünfjährige Hoshiar braucht vor allem eines: Ruhe

Matratzen - ohne Bett

In der viel zu kleinen Wohnung eines Onkels, der schon seit Jahren in Wien lebt, konnten die Ibrahims nur kurz unterkommen. Hätte die Caritas ihnen nicht geholfen, sagt Herr Ibrahim, dann stünden sie jetzt auf der Straße. Mehrmals im Verlauf des Gesprächs betont er, wie dankbar er der Caritas ist. Gleichzeitig klagt der Familienvater über eklatanten Platzmangel in der 40-Quadratmeter-Wohnung mit Klo am Gang. Besonders deshalb, weil Hoshiar aufgrund seiner psychischen Behinderung den Trubel in der überfüllten Wohnung schlecht aushält. Auch im Zuge des Besuchs von Ö1 und ORF.at weint er heftig und ist kaum zu beruhigen.

Mutter Manar sagt, dass auch der 13-jährige Ibrahim und die 11-jährige Alav dringend mehr Ruhe brauchten - spätestens wenn die Schule beginnt. Ibrahim hat denselben Vor- wie Nachnamen, ein Scherz der Eltern, der noch heute die ganze Familie trotz aller Sorgen zum Lachen bringt. Er will einmal Arzt werden - und kann für die kurze Aufenthaltsdauer in Österreich schon sehr gut Deutsch, genau wie seine Schwester Alav, die einmal Apothekerin werden möchte. Wenn sie ihr Ziel erreichen, werden sie sich gute Wohnungen leisten können. Momentan jedoch schlafen die Eltern auf Matratzen auf dem Boden.

Deutschkurs als nächste Etappe

Herr Ibrahim wirkt verzweifelt, wenn er von seinen bisherigen Versuchen, eine Wohnung zu finden, erzählt. Es sei immer dasselbe, sagt er: Die Makler oder Vermieter wollen eine Gehaltsbestätigung sehen. Die Mindestsicherung reicht ihnen nicht. Aber bevor er einen Job suchen kann, muss er zunächst einmal Deutsch lernen. Einen Kurstermin vom AMS hat er schon erhalten. Gerne würde Jussef Ibrahim wieder als Maurer arbeiten - er würde aber auch jeden anderen Job annehmen. Einzige Bedingung: Das Geld muss für eine Wohnung reichen, damit die Familie zum ersten Mal seit dem 13. November 2013 endlich wieder zur Ruhe kommen kann.

Beate Tomassovits (Ö1) und Simon Hadler (ORF.at)

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