Teufelskreis für Flüchtlinge
Nach der katastrophalen Situation in Traiskirchen kündigt sich bereits der nächste Notstand an: Zehntausende anerkannte Flüchtlinge werden schon bald auf den Wohnungsmarkt drängen. Mietwucher und Betrug sind Tür und Tor geöffnet.
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Mirza Biscic arbeitet als Betreuer bei der Wohndrehscheibe der Volkshilfe Wien. Dort wird Menschen in schwierigen Lebenslagen, darunter immer mehr anerkannte Flüchtlinge, bei der Wohnungssuche geholfen. Er spricht von einem Teufelskreis: Ohne Wohnung mit ordentlichem Meldezettel findet man keine Arbeit - und ohne Arbeit findet man keine Wohnung. „Wenn man eine Wohnung auf dem privaten Wohnungsmarkt sucht, hört man meistens schon beim ersten Anruf vom Makler: ‚Ohne Job? Keine Chance.‘“ Vermieter verlangen oft eine Kopie der Lohnzettel der letzten drei Monate.
Die Dauer von Asylverfahren ist während des letzten Jahres deutlich gesunken. Das hat vor allem mit den Syrern zu tun, die mehr oder weniger „durchgewinkt“ werden. Wer den positiven Entscheid in der Tasche hat, fällt aus der Grundversorgung und verliert sein Quartier. Durch die kurze Verfahrensdauer können die wenigsten zu diesem Zeitpunkt Deutsch. Damit sind sie so gut wie unvermittelbar auf dem Arbeitsmarkt und werden vom AMS zunächst in Deutschkurse geschickt. De facto bedeutet das: Sie müssen relativ lange mit der Mindestsicherung von 827 Euro auskommen. Und die mangelnden Deutschkenntnisse sind auch sonst bei der Wohnungssuche ein großes Hindernis.

ORF.at/Simon Hadler
Familie Ibrahim ist nur dank der Caritas nicht obdachlos
Die „Traumwohnung“ hätte ein Klo
Ein Beispiel dafür ist die kurdisch-syrische Familie Ibrahim. Die Eltern säßen mit ihren drei Kindern auf der Straße, hätte die Caritas ihnen nicht vorübergehend eine mietfreie Wohnung im Viertel rund um den Wiener Westbahnhof überlassen. Vater Jussef (41) sagt, dass er der Caritas über alle Maßen dankbar sei.
Dennoch will er so schnell wie möglich aus der ca. 40 Quadratmeter großen Wohnung mit Klo am Gang ausziehen. Sein fünfjähriger Sohn Hoshiar leidet unter einer multiplen Behinderung und verträgt den Trubel einer überfüllten Wohnung nicht. Als das Interview, noch dazu gleich mit zwei Journalisten und einer Caritas-Begleiterin, zu lange dauert, weint der Bub bitterlich und lässt sich kaum beruhigen.
Sendungshinweis
Die Interviews mit Mirza Biscic von der Wohndrehscheibe und mit David Zistl von „Flüchtlinge Willkommen“ zum Nachhören aus dem Ö1 Morgenjounral:
oe1.ORF.at
Das Interview mit Familie Ibrahim zum Nachhören aus dem Ö1 Mittagsjournal:
oe1.ORF.at
Wenn man Mutter Manal (33) nach ihrer Traumwohnung fragt, antwortet sie: Schlafzimmer, Wohnzimmer, Kinderzimmer, ein eigenes Klo. Lernen sollen die elfjährige Alav und ihr 13-jähriger Bruder Ibrahim in Ruhe können, sobald die Schule losgeht. Einfach soll alles sein. Betten wären großartig. Jetzt schlafen die Eltern auf am Boden liegenden Matratzen. Vater Jussef fügt hinzu: „Und leisten können sollen wir uns die Wohnung.“
„Ich habe ein bisschen Angst davor“
Familie Ibrahim hat mit ihrer 40-Quadratmeter-Wohnung noch Glück gehabt - denn die Ressourcen der Caritas sind begrenzt, sie kann nur einem Bruchteil der Flüchtlinge zu Wohnraum verhelfen. Wenn heuer bis Ende des Jahres bis zu 80.000 Asylwerber in Österreich eintreffen, heißt das auch: Zwischen 30.000 und 40.000 Menschen werden in den nächsten Monaten einen positiven Asylbescheid erhalten. Zum Vergleich: Bregenz hat knapp 30.000 Einwohner, St. Pölten etwas über 50.000.
Biscic von der Wohndrescheibe sucht täglich mit Bedürftigen nach Wohnungen. Er macht sich große Sorgen, was die nächste Zukunft betrifft: „Auf dem privaten Wohnungsmarkt für so viele Leute bezahlbaren Wohnungsraum zu finden wird unmöglich oder zumindest immens schwierig. Abgesehen davon, dass das Leute sind, die die deutsche Sprache nicht perfekt beherrschen: Es ist selbst für Österreicher, die wenig Geld haben, schwierig, bei der derzeitigen Wohnungsmarktlage etwas zu finden. Wie es für diese Leute dann sein wird? Ich habe ein bisschen Angst davor - auf jeden Fall.“
2.400 Euro für 60 Quadratmeter - pro Monat
All diese Menschen fallen spätestens vier Monate nach Ende des Asylerfahrens aus der Grundversorgung heraus. Das heißt: Sie müssen ihre Quartiere verlassen und „niemand kümmert sich mehr um sie“, wie Zistl vom Verein Prosa kritisiert. Irgendwo wohnen müssen sie aber. Deshalb hat sich schon jetzt ein Schwarzmarkt etabliert, der ungeahnte Ausmaße annehmen könnte, sagt Zistl: „Einer von den Syrern hat mir erzählt, dass er 300 Euro bezahlt und gemeinsam mit anderen sieben Bewohnern auf 60 Quadratmetern wohnt. Das heißt, da werden Geschäfte gemacht, weil der österreichische Staat da ganz klar versagt.“
Biscic von der Wohndrehscheibe bestätigt, dass es sich dabei keinesfalls um einen Einzelfall handelt: „Die meisten Flüchtlinge, zum Beispiel die Syrer, wohnen in Wohngemeinschaften, wo in einer Zweizimmerwohnung fünf bis zehn Leute wohnen. Die bezahlen dort pro Bett - das habe ich von vielen gehört - zwischen 250 und 300 Euro. Pro Bett.“ Manche sind über die Situation sogar noch froh. Kleinwohnungen um diesen Preis gibt es in Wien nicht mehr - abgesehen davon, dass Provision und Kaution zu bezahlen sind.

ORF.at/Simon Hadler
Für Betten fehlen der Familie Ibrahim Platz und Geld
Berührende Szenen bei Wohnungsübergaben
In Wien übernimmt die Stadt für Bedürftige 60 bis 70 Prozent der Kosten für Provision und Kaution. Dazu gibt es sogar noch bis zu 1.100 Euro für die erste Wohnungseinrichtung. Das ist eine große Hilfe - aber eben nur, wenn die Miete dann erschwinglich ist und der Vermieter überhaupt einen Flüchtling als Mieter akzeptiert. Momentan ist es noch so, dass es bei seinen Klienten „irgendwann einmal klappt“, sagt Biscic. Aber private Initiativen werden schon jetzt immer wichtiger.
Die Wohndrehscheibe arbeitet mit der Aktion „Machbar in Not“ zusammen. Biscic konnte schon zwei Familien, die er betreut, an private Vermieter vermitteln, die keine Monatsmiete verlangen - und das auf unbestimmte Zeit. Da habe er bei den Wohnungsübergaben berührende Szenen erlebt, sagt Biscic. Er könne sich in das Gefühl der Erleichterung hineinversetzen - weil er selbst 1992 als Flüchtling nach Österreich gekommen sei.
Flüchtlinge bauen Vorurteile ab
Auf private Initiative setzt auch „Flüchtlinge Willkommen“. Hier werden von ehrenamtlichen Mitarbeitern Asylwerber und anerkannte Flüchtlinge mit Menschen zusammengebracht, die ein Zimmer frei haben. Das kann eine Studenten-WG genauso sein wie eine Familie mit entsprechend großer Wohnung. Für das Zimmer wird Miete fällig - aber die wird von Sponsoren übernommen. Bei der Sponsorensuche hilft „Flüchtlinge Willkommen“. Es wird mittels Video um Mikrospenden gebuhlt. Das System funktioniert. Seit Jänner läuft die Aktion, knapp 50 Zimmer wurden schon vermittelt.
Die private Unterbringung soll den Staat nicht aus der Verantwortung nehmen. Aber sie hat einen Vorteil: Durch das Zusammenleben in direkter Nachbarschaft oder sogar in der Wohnung werden beidseitig Vorurteile abgebaut. Zistl sagt, er kenne bis jetzt ausschließlich positive Beispiele. Die Freundeskreise würden sich vernetzen, man unternimmt viel miteinander.

ORF.at/Roland Winkler
Asylwerber in Traiskirchen
Als Beispiel führt Zistl eine Familie aus Salzburg an, bei der ein afghanischer Asylwerber wohnt: „Der kocht immer für die Familie, und danach gehen sie ins Theater. Das wäre sonst nie passiert, dass die Familie gutes afghanisches Essen auf den Teller bekommt und er ins Theater gehen kann.“ Derselbe Grund spricht auch für eine Aufteilung der Flüchtlinge auf möglichst viele Ortschaften in ganz Österreich. Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen wissen zu berichten, dass es immer dort am wenigsten Vorurteile gibt, wo die Bevölkerung direkt mit Flüchtlingen zusammenkommt.
Simon Hadler (ORF.at) und Beate Tomassovits (Ö1)
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