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Vier Amtsärzte in Lager Traiskirchen

Knapp eine Woche ist es her, dass Amnesty International (AI) einen Untersuchungsbericht über die Lage im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen vorgelegt hat. Generalsekretär Heinz Patzelt sprach damals von „einem Skandal“. Große Veränderungen seien bisher ausgeblieben, hieß es am Donnerstag von AI, es sei jedoch „etwas in Bewegung geraten“.

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„Für eine Bilanz ist es noch zu früh“, sagte Daniela Pichler, Leiterin des AI-Research-Teams, gegenüber ORF.at. Doch soweit AI aus Medienberichten oder von anderen NGOs erfahre, habe sich die Lage in Traiskirchen seit dem Besuch am 5. August bisher nicht wesentlich verbessert. Man wisse natürlich, dass vieles nicht innerhalb weniger Tage passieren könne, „als angemessener Zeitraum sprechen wir aber nicht von Monaten, sondern von Wochen“.

Mobile Ärzteteams nehmen Arbeit auf

Ein wesentlicher Punkt, der von AI scharf kritisiert wurde, war die medizinische Versorgung der Asylwerber. Gemeinsam mit der Organisation Ärzte ohne Grenzen, die das Lager einen Tag später besuchte, wurde der Druck auf die zuständigen Behörden erhöht, rasch eine Lösung zu schaffen. Im Lager selbst sind nur vier Ärzte für die rund 3.700 Menschen zuständig, von denen immer noch 1.039 in Zelten schlafen müssen. Seit Anfang der Woche setzt das Innenministerium in Kooperation mit dem Niederösterreichischen Ärztedienst mobile Ärzteteams innerhalb des Lagers ein.

Bei einem Lokalaugenschein von ORF.at am Dienstag berichtete jedoch eine Flüchtlingsfamilie, keinen Arzt angetroffen zu haben. Die Frau musste schließlich mit dem Notarzt in ein Krankenhaus gebracht werden. Ärzte ohne Grenzen sei an den Ärzteteams laut Innenministerium nicht beteiligt, weil die NGO „kein operatives Zentrum in Österreich“ betreibe. Vielmehr sei von Ärzte ohne Grenzen eine Situationsanalyse vorgenommen worden, die mit einem Besuch am Mittwoch abgeschlossen worden sei. Ein Ergebnis stehe noch aus.

Sanitäter

ORF.at/Romana Beer

Am Mittwoch hat die Initiative „Medizinische Beratung in Traiskirchen“ ihre Arbeit vor der Erstaufnahmestelle aufgenommen

Spontane Hilfe statt Urlaub

Angesichts der Hunderten Obdachlosen in Traiskirchen haben besorgte Ärzte gemeinsam mit NGOs - Ärzte ohne Grenzen, Diakonie, Ambermed, Caritas, Johanniter und Samariterbund - vor den Lagermauern eine medizinische Beratungsstelle ins Leben gerufen. Seit Mittwoch behandeln Teams von zwei Ärzten und zwei Sanitätern hier unbürokratisch Asylwerber. Einer der Ärzte ist Richard Barta. Der Salzburger Kassenarzt ist eigentlich auf Urlaub, entschloss sich aber spontan, in Traiskirchen zu helfen. „Es gibt viele Ärzte, die sich melden und bereit sind zu helfen“, erzählt Barta gegenüber ORF.at. Die Hilfsbereitschaft sei groß, auch viele Übersetzer würden ihre - dringend benötigte - Hilfe anbieten.

Die häufigsten Beschwerden, mit denen die Ärzte konfrontiert sind, sind Halsschmerzen, Erkältungen und Durchfall. Folgen des nass-kalten Wetters, wie ein Sprecher der Initiative „Medizinische Beratung in Traiskirchen“ erzählt: „Da drinnen ist alles nass.“ Behandelt werden die Patienten in einem Krankenwagen, der vor dem Erstaufnahmezentrum parkt. „Das kann aber nur eine Übergangslösung sein“, so Barta gegenüber ORF.at. Langfristig hoffe man auf eine permanente Lösung in einer festen Unterkunft.

Ob das nicht Aufgabe der Behörden sei? „Es geht wohl vorerst ehrenamtlich weiter“, sagt Barta. Den Behörden wirft die Initiative grobe Versäumnisse vor. So sei die Zahl der Amtsärzte im Lager nicht aufgestockt worden, erzählt ein Sprecher gegenüber ORF.at. Die vier in der Erstaufnahmestelle tätigen Ärzte seien mit Aufnahmechecks völlig ausgelastet.

Strukturen fehlen

Das Anlaufen einer medizinischen Basisversorgung und der Besuch der Regierungsspitze am Mittwoch im Erstaufnahmezentrum wird von AI zwar „als gutes Zeichen“ gewertet. Doch es gebe noch große strukturelle Probleme. So habe es vonseiten der Bevölkerung eine große Anzahl positiver Reaktionen auf den AI-Bericht gegeben, erzählt Pichler. Doch viele wüssten nicht, wie sie ihre Hilfe anbieten sollten. „Sie fragen bei uns an, weil sie nicht wissen, an wen sie sich wegen Privatquartieren wenden sollen, oder wie sie Hilfsgüter anliefern können“, erzählt Pichler. „Die Menschen suchen nach Strukturen.“

Auch sei eine große Bereitschaft da, mittels Workshops mit den Asylwerbern in Kontakt zu treten. „Gerade für die vielen Kinder und Jugendlichen im Lager sei es wichtig, das der Tag gefüllt wird“, erklärt Pichler. Auch im internationalen Vergleich lobt Pichler die positiven und konstruktiven Rückmeldungen aus der Bevölkerung. Vor allem die Initiativen der Traiskirchner Bevölkerung seien angesichts der problematischen Situation sehr bemerkenswert.

Asylwerber helfen bei Müllbeseitigung

Seit Mittwoch unterstützen Asylwerber die Gemeinde bei der Reinigung von Straßen und Plätzen. Da Asylwerber eigentlich nicht arbeiten dürfen, erhalten sie statt eines Lohns einen sogenannten Anerkennungsbeitrag, der nicht einkommenssteuerpflichtig ist. Konkret handelt es sich um fünf Euro pro Stunde für die „Remunerationstätigkeit“, wie der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler (SPÖ) erklärte. Maximal dürfen Flüchtlinge 110 Euro im Monat verdienen. Wenn das Projekt gut läuft, so der Bürgermeister, wird es auf unbestimmte Zeit weitergeführt - mehr dazu in noe.ORF.at.

Menschen sammeln Müll ein

ORF

„Regen ist nur ein Vorgeschmack“

Wichtig sei nun, dass neue Quartiere geschaffen werden, sagt Amnesty. „Wir können den Fortschritt gut über die Erfüllung der Bundesländerquoten beobachten und haben den Eindruck, dass hier etwas in Bewegung gekommen ist“, so Pichler. Auch das von der Regierung vorgestellte Fünfpunkteprogramm müsse nun umgesetzt werden, mahnt AI ein. „Wichtig sind längerfristige Lösungen“, erklärt Pichler, „der Regen ist nur ein Vorgeschmack darauf, was im Herbst und Winter auf die Asylwerber zukommt.“

Romana Beer und Gabi Greiner, ORF.at

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