Griechenland pocht auf Priorisierung
Seit Monaten bahnt sich auf der griechischen Ferieninsel Kos eine noch die da gewesene Flüchtlingskrise an. Mehr als 22.000 Menschen sind heuer auf Kos gestrandet - mehr als im gesamten Vorjahr. Die lokalen Behörden sind überfordert, und die krisengebeutelte griechische Regierung will kein Geld ausgeben. Hunderte Menschen campieren deshalb schon seit Wochen auf der Straße, am Strand und in einem verlassenen Hotel. Jetzt schwelt noch ein Streit um Flüchtlinge erster oder zweiter Klasse.
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Die humanitären Bedingungen sind katastrophal, es fehlt an Nahrungsmitteln, Trinkwasser und Sanitäranlagen. Constance Theisen von Ärzte ohne Grenzen schildert, dass die mobilen Ärzteteams jeden Tag Flüchtlinge mit schweren Hautinfektionen und anderen Krankheiten behandeln müssen, die unmittelbar auf die miserablen hygienischen Bedingungen zurückzuführen seien. Stella Nanou vom Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) spricht sogar von einem „humanitären Notfall“, auf den Griechenland und die Europäische Union dringend eine Antwort finden müssten.

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Schwierige Lage auf Kos: Hunderte Menschen campieren wild auf der Insel
Eine Fähre als Antwort
Die Antwort der griechischen Regierung lautet „Eleftherios Venizelos“. Die Fähre wurde von der griechischen Regierung gechartert und soll jetzt mindestens zwei Wochen lang vor Kos ankern und als Notunterkunft und Registrierungsstelle für bis zu 2.500 Flüchtlinge dienen. Allerdings ist die Fähre nur Syrern vorbehalten.
Geflüchtete aller anderen Nationen gelten hingegen ab sofort automatisch als Wirtschaftsmigranten bzw. Einwanderer, bekommen keine Notunterkunft und müssen weiterhin tage- oder wochenlang auf ihre Papiere warten. Die Stimmung unter den Menschen aus Afghanistan, Pakistan, dem Irak und anderen Ländern ist dementsprechend angespannt. Immer wieder kommt es zu heftigen Tumulten.

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Die „Eleftherios Venizelos“: Aber wer darf auf die Fähre hinauf?
„Syrer sind Flüchtlinge, alle anderen Einwanderer“
Die Chefin der Einwanderungsbehörde, Zacharoula Tsirigoti, erklärte: „Syrer kommen aus einem Kriegsgebiet und sind deshalb Flüchtlinge gemäß der Europäischen Union und der Vereinten Nationen. Alle anderen sind Einwanderer.“ Auch der Bürgermeister von Kos, Giorgos Kiritsis, unterscheidet seit Neuestem zwischen Flüchtlingen aus Syrien und Wirtschaftsmigranten aus anderen Ländern.
„Das Problem kann nur gelöst werden, wenn die Europäische Union erkennt, dass in Syrien Krieg herrscht und andere Länder mit großen wirtschaftlichen Problemen kämpfen. Wenn man keine Lösung findet, um die wirtschaftlichen Probleme dieser Länder zu bekämpfen, wird es immer Einwanderungsprobleme in Europa geben“, so Kiritsis.

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Mit allen Mitteln bauen sich Flüchtlinge Zwischenquartiere auf der Insel
„Nationalität kann nicht Auswahlkriterium sein“
In einer Situation wie dieser, wo Tausende Menschen an einem Ort ankommen, müsse es natürlich eine Priorisierung geben, sagt Nanou vom UNHCR. Schon bisher wurden Geflüchtete aus Syrien als „Prima-facie-Flüchtlinge“ („prima facie“ = Anscheinsbeweis) behandelt, weil sie aus furchtbaren Kriegsgebieten stammen. Sie werden schneller registriert und können daher auch schneller weiterreisen Richtung europäisches Festland.
Das bedeute aber nicht, dass Flüchtlinge aus anderen Ländern keine berechtigten Schutzansprüche hätten, betonte Nanou. Man könne nicht anhand einer Nationalität entscheiden, ob jemand ein Flüchtling sei oder nicht. Man müsse jeden Fall individuell prüfen.

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Mit Schlauchbooten landen Flüchtlinge nach der Überfahrt aus der relativ nahen Türkei auf der griechischen Insel
Verstoß gegen Flüchtlingskonvention
Wer tatsächlich internationalen Schutz genießt und demnach ein anerkannter Flüchtling ist, wurde 1951 in der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegt, die mittlerweile von 147 Staaten weltweit unterzeichnet wurde, darunter auch Griechenland.
Besuch bei den Flüchtlingen auf Kos
Auf Kos hausen Hunderte Flüchtlinge in einem verlassenen Hotel unter katastrophalen Bedingungen, weil ihnen keine Notunterkünfte zur Verfügung stehen. Ein Lokalaugenschein aus dem Hotel „Captain Elias.“
Laut Genfer Flüchtlingskonvention gilt jemand dann als Flüchtling, wenn er wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen politischer Überzeugung verfolgt wird. Auch Nanou betont, dass alle Geflüchteten ohne Unterschied und Diskriminierung behandelt werden sollten: „Die meisten Menschen hier kommen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, und die meisten von ihnen sind Flüchtlinge, weil sie vor Krieg, Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen flüchten.“
Allerdings wird in der Genfer Flüchtlingskonvention auch unterstrichen, dass eine befriedigende Lösung des Flüchtlingsproblems nur durch internationale Zusammenarbeit erreicht werden könne. Für den Bürgermeister von Kos wie auch die Chefin der Einwanderungsbehörde steht ohnedies außer Frage: Die Flüchtlingskrise auf Kos sei nicht nur ein griechisches Problem, sondern auch ein europäisches und könne nur mit vereinten Kräften gelöst werden.
Helene Voglreiter, Zeit im Bild
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