Das Bad in der überwältigenden Bilderflut
Einen besseren Proponenten für die Ausstellung „Anecdotes and Photographs from the First Digital Cameras“ hätte man kaum finden können: Lucien Samaha begann nach einem Kodak-Fotografiestipendium just zu der Zeit bei dem Filmriesen zu arbeiten, als dieser die ersten digitalen Kameras in Feldversuchen erprobte. Seine Bilder waren vergangenes Jahr im Rahmen des Fotografiefestivals „Eyes On" der Wiener Galerie vorAnker zu sehen.
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Eine der ersten Reisen, um die Kamera auszuprobieren und zu bewerben, führte Samaha Anfang der 1990er Jahre nach Australien.

First Digital Kangaroos; Lucien Samaha 1991
Wäre es nach Kodak gegangen, hätte es die ersten digitalen Kängurus nie gegeben. Schließlich kamen die Haupteinkünfte des riesigen Firmenimperiums aus dem Verkauf von Analogfilmen an Hobbyfotografen. Eine Digitalkamera, die keinen Film braucht, war eine Gefahr.

Celine and Jörg at moment of capture; Lucien Samaha 1991
Lucien Samaha: „Das technologische Konzept existierte seit 1975, aber natürlich sagte Kodak zu den Leuten, die damit spielten: ‚Was macht Ihr da? Legt das beiseite, sperrt die Tür zu und werft den Schlüssel weg!‘“

Soho Montecarlo; Lucien Samaha 1994
Erst als in den späten 80er Jahren japanische Hersteller die ersten Digitalkameras auf den Markt brachten, war man gezwungen mitzuziehen. Bildqualität und Auflösung der kleinen Kameras waren noch unter jeder Kritik.

ORF.at/Roland Winkler
Professionelle Systeme bewegten sich damals im zweistelligen Kilogramm- und fünfstelligen Dollar-Bereich (im Bild hinter Lucien Samaha die erste professionelle Digitalkamera Kodak DCS 100 auf Basis einer Nikon F3).

Gruppenbild bei Kodak; Lucien Samaha 1991
Vielen war klar, wohin die Reise führen wird: „20 Leute saßen um einen großen Tisch und diskutierten die neuen Technologien, als einer die Hand hob und fragte: ‚Wer wird derjenige sein, der das Licht ausschaltet?‘“ (Samaha bei Kodak Japan 1991)

Maggie's Flowers; Lucien Samaha 1993
Der Selbsterhaltungstrieb von Kodak war nicht der einzige Feind der Digitaltechnologie, viele etablierte Filmfotografen wollten den Wechsel lieber als Opposition statt als Kontinuität sehen und reichten jene Kritik weiter, die die Fotografie bei ihrer Erfindung von der Malerei zu hören bekommen hatte: mangelnde Echtheit, Masse, Reproduzierbarkeit und Automation.

After Dinner, Lucien Samaha 1991
Auch das stärkste Unterscheidungsmerkmal, die Masse an Bildern, war immer nur eine finanzielle Frage. In seiner Zeit bei Kodak hatte Samaha auch unbegrenzt Zugang zu Film und Papier. Diese Möglichkeiten nahmen ein Element der digitalen Fotografie vorweg, sein Bildarchiv wuchs in atemberaubender Geschwindigkeit.

Chinatown Boy in Taxi/ Fashion Vitrine; Lucien Samaha 1994
Gleichzeitig zwang ihn der wissenschaftliche Hintergrund seiner Arbeit zur Verknüpfung der Fotos mit weiteren Informationen in einer Datenbank - ein Zugang, den er für seine persönlichen Bilder beibehielt und der die Masse an Bildern zu seinem Vorteil arbeiten ließ.

End of Century Party Portraits; Lucien Samaha
Über eine Million Fotos zählt sein Archiv, das durch den Kontext Serien ermöglicht wie wohl kaum eine andere Sammlung. Sein Onlineportfolio spiegelt diesen Ansatz deutlich wider und bietet eine Flut an Bildern, von der man sich dennoch nicht erschlagen fühlt.

Birthday Faces; luciensamaha.net
Samaha: „Es ist nicht so, dass ich eigentlich etwas anders machen möchte und von der Menge an Bildern überwältigt werde. Die überwältigende Menge an Bildern ist mein Geschäft - das ist es, was ich machen will, ich bade darin.“

Favoriten - Working Class Patterns; Lucien Samaha 2003
Auf die Frage, welche Entwicklung in der digitalen Fotografie ihm noch zu langsam vonstattengeht, kommt kein technologischer Mangel als Antwort, im Gegenteil: „So vieles (in der digitalen Fotografie, Anm.) dreht sich um die Technologie, statt sie einfach zu verwenden. Wir sind noch immer in der Phase der Adoleszenz, in der alles sehr selbstreflexiv ist.“
Roland Winkler, ORF.at
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