Augen und Mäuler in der Tiefe
Eines gleich vorweg: Angst vor einem Angriff aus der Tiefe braucht in Österreichs Seen und Teichen kein Schwimmer zu haben. Alleine sind wir beim Baden in den heimischen Gewässern aber auch nicht. Unter der Wasseroberfläche lebt Kleines ebenso wie Großes - auch wenn die Zeit der richtigen Riesen in Österreich bereits vorbei ist.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
„Wollen Sie das wirklich so genau wissen?“, antwortet Andreas Haas auf die Frage nach den tierischen Mitschwimmern in See und Teich. Er ist Leiter des Geschäftsfelds Fischerei bei den Österreichischen Bundesforsten (ÖBF) und weiß gut, welche Tiere in den heimischen Gewässern leben.
Und er hat auch sofort eine Antwort auf die Frage nach dem größten Wasserbewohner zwischen Bodensee und Neusiedler See parat: „der Wels – die größte vorkommende Fischart in Österreich“. Die Tiere können an die 80 Jahre alt werden - und, da sie ihr ganzes Leben weiterwachsen, Längen über zwei Metern erreichen. So ein großer Wels könne „auch schon mal eine Ente oder einen Dackel schlucken“, sagt Haas.
Zu groß für den Grund
Die Regel ist das natürlich nicht. Welse leben normalerweise am Grund von Seen, Teichen und Flüssen. Dort suchen sie mit den Fäden an ihrem Maul - den Barteln - am Boden nach Würmern oder kleinen Fischen. Wirklich große Exemplare würden dort unten aber nicht mehr genug zu fressen finden. Und deshalb ihr Glück näher an der Wasseroberfläche versuchen, sagt Haas.

AP/Dario Ferrari
2,5 Meter maß der Wels, den Fischer im Frühjahr 2015 aus dem Wasser zogen - wenn auch nicht in Österreich, sondern in Italien nahe Mantua
Wie selten ein Wels aber tatsächlich alt genug wird, um zu einem kleinen Wassermonster zu werden, zeigte vor neun Jahren die Aufregung über den Riesenwels in der Alten Donau. Rund zweieinhalb Meter maß das männliche Tier, das unter einer Fußgängerbrücke seine Brut bewachte. Der auf den Namen Wenzel getaufte Fisch schaffte es - nicht ganz zu Unrecht - sogar in die Nachrichten. Schließlich war der Wels wohl einer der größten Fische, die man in Österreich in freier Wildbahn beobachten konnte.
Europas größter Süßwasserfisch
Vor 200 Jahren wäre das noch anders gewesen. Damals gab es in der österreichischen Donau noch Hausen, die vom Schwarzen Meer flussaufwärts zu ihren Laichgebieten zogen. Die Störart kann bis zu 100 Jahre alt und sechs Meter lang werden – und ist damit der größte Süßwasserfisch der Erde. Doch auch sechs Meter Körperlänge reichen nicht, um über Kraftwerksmauern zu kommen.

Reuters/Vladimir Konstantinov
Fischer und Kraftwerke machen dem Hausen das Leben schwer. Er gilt als vom Aussterben bedroht. In Österreich gibt es die Störart schon lange nicht mehr.
Für den Hausen ist der Weg nach Österreich also versperrt. Aus den heimischen Flüssen war er allerdings bereits vor dem Bau der ersten Donaukraftwerke verschwunden. Die letzten Fänge zwischen Wien und Bratislava sind laut dem Österreichischen Fischereiverband für das 19. Jahrhundert belegt. Wer also in diesen Tagen etwa im Strombad Kritzendorf bei Wien in die Donau springt, braucht keine Angst vor einer Begegnung mit dem Riesenfisch zu haben.
Die Kleinsten sind die Gefährlichsten
Generell lebten in Österreich keine Wasserbewohner, vor denen sich Menschen fürchten müssten, sagt Haas. Vielleicht sauge sich einmal ein Blutegel an einem fest, oder ein Hecht „knabbert“ – wenn die Gewässer sich stark aufheizten - an einer Zehe. Normalerweise seien die Raubfische aber nicht dort, wo Menschen schwimmen. „Gepunktet wie ein Leopard“ nutzten sie ihre gute Tarnung, um in den Pflanzen nahe dem Ufer auf ihre Beute zu warten. Und das sind eben keine Schwimmer, sondern vor allem kleine Fische.

APA/AP/Bernd Wüstneck
Kaffeetische gehören eigentlich nicht zum Jagdrevier des Hechts
Am gefährlichsten werden Menschen in Seen und Teichen noch eher die ganz kleinen Wasserbewohner. Die Larven einer Saugwurmart gelangen über den Kot von Enten und anderen Wasservögeln ins Wasser, wo sie sich Süßwasserschnecken als Wirtstiere suchen. Die Larven können aber auch unter die Haut des Menschen durchdringen.
Überleben können sie dort allerdings nicht - sie sterben bereits nach kurzer Zeit ab. Beim ersten Mal reagieren die meisten Menschen kaum auf die Eindringlinge. Erst bei einem erneuten Kontakt beginnt unser Immunsystem gegen sie zu feuern. Die Folge ist ein juckender roter Ausschlag. Gefährlich ist das für die meisten Menschen nicht. Unangenehm ist die Badedermatitis genannte Hautreizung aber allemal.
Perlmutt aus dem Gebirgsbach
Ganz sicher entgehen kann Larven und roten Pusteln, wer in Gewässern badet, an denen keine Enten oder andere Wasservögel leben – wie zum Beispiel in Gebirgsbächen. Wer Glück hat, trifft dort vielleicht auf ein Tier, das man nicht unbedingt in Österreich erwarten würde: die Süßwasserperlmuschel. Wie ihr Name vermuten lässt, bilden die Mollusken wie ihre Verwandten im Salzwasser kleine Perlmuttkugeln – auch wenn die laut Haas zumeist eher wie „Reiskörner“ aussehen.

Corbis/Lynda Richardson
Eine solch kugelrunde Perle ist bei Flussperlmuscheln die Ausnahme
Auf die Idee, die Muscheln von ihren Felsen zu reißen oder gar aufzubrechen, braucht man aber gar nicht erst zu kommen – die Tiere sind stark bedroht und stehen unter Naturschutz. Sie brauchten möglichst reines Wasser, ohne Sedimente. Flüsse mit Kraftwerken schieden deshalb als Lebensraum aus, sagt Haas.
Bassspieler im Schlamm
Überhaupt kein Problem mit Sedimenten hat dagegen die Koppe. Der kleine Fisch, der kaum länger als 15 Zentimeter wird, ist geradezu auf einen schlammigen Grund angewiesen. Er verbringt dort sein ganzes Leben, und selbst wenn er wollte, er könnte nicht nach oben. Dem Fisch fehle die Schwimmblase, weshalb er maximal zehn Zentimeter in die Höhe steigen könne, sagt Haas. Dafür kann das Tier etwas, das den meisten anderen Fischen verwehrt bleibt. „Die Koppe macht leise Geräusche“, sagt Haas. Durch Bewegung ihrer Muskeln erzeuge sie einen Art Basston, der sich durch das Wasser ausbreite.
Schwimmer bekommen davon freilich nichts mit. Wie wir überhaupt nur einen Bruchteil dessen bemerken, was im Wasser um und unter uns alles passiert - und das, obwohl sich der Großteil des Lebens knapp unter der Wasseroberfläche abspielt. „Der erste halbe Meter ist unglaublich produktiv“, sagt der Fischexperte. Das liege am Plankton, kleinen Krebstierchen, die in den obersten Wasserschichten leben. Sie seien zwar winzig, aber in ihrer schieren Menge für einen See „durchaus gewichtsrelevant“, so Haas. Oder mit anderen Worten: Würde man das gesamte Plankton eines Sees in eine Waagschale und die restlichen Seebewohner in die andere legen, könnte sich die Waage möglicherweise sogar im Gleichgewicht halten.
Die Schicht, in der es abgeht
Für viele Fische sind die winzigen Krebse die Hauptnahrungsquelle und die Planktonschicht ein reich beladener Tisch. Die meisten kleinen Arten, die zumeist in Schwärmen unterwegs sind, bleiben gleich die meiste Zeit nahe der Wasseroberfläche. Andere kommen extra zum Fressen aus tieferen Schichten nach oben: etwa die Seelaube, die laut Haas überhaupt nur in den Seen des Salzkammerguts, im Wörthersee und ganz vereinzelt in Bayern vorkommt. In diesen Seen halte sie ihre „Inselpopulation“ aber bereits seit der Eiszeit aufrecht. Auch der deutlich weiter verbreitete Saibling steigt für eine Planktonmahlzeit aus zweieinhalb bis drei Metern Tiefe in Richtung Oberfläche.

Corbis/imageBROKER/Christian Zappel
Wenn Saiblinge Hunger bekommen, tauchen sie nach oben und holen sich einen Bissen Plankton
Noch ein Stück tiefer ist dann kaum noch etwas los im See. Das Wasser wird schnell kälter. Bereits in zehn Metern Tiefe sei die Wassertemperatur um zehn Grad kälter als an der Oberfläche, zitiert Haas aus einer Seenstudie der Bundesforste. Zugleich wird es mit jedem Meter dunkler - umso schneller, je mehr Sedimente im Wasser schwimmen. Wer schon einmal in einem österreichischen Moorsee untergetaucht ist, weiß, wie schnell es geht, bis kaum noch ein Lichtstrahl durch das Wasser dringt.
„Siesta“ bei den Fischen
In den tieferen Schichten lebten dann vor allem noch die Aasfresser, erklärt Haas. Nur wenn es richtig heiß ist, wird es tiefer unter im See wieder etwas belebter. Viele Fischarten sind sehr temperaturempfindlich. Für die Bachforelle dürfe das Wasser etwa nicht wärmer als 22 Grad Celsius werden, sagt Haas. Die Strategie der Fische: tiefer sinken. Das würden die meisten auch zur Mittagszeit machen, so der Fischexperte. Dann herrsche auch unter Wasser „Siesta“.
Wer also auch in Österreich noch immer Angst hat, beim Baden einem Fisch zu begegnen, weiß somit wenigstens, wann er den See für sich hat. Ob es dafür tatsächlich wert ist, in der Mittagshitze einen Sonnenstich zu riskieren, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Martin Steinmüller, ORF.at
Links: