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Ein Zwergstaat feiert sich

Am 9. August 1965 hat Malaysia als erstes Land der Welt Singapurs Souveränität anerkannt. Seither begehen die 5,5 Millionen Bewohner des Stadtstaats an diesem Tag ihren Nationalfeiertag. Für heuer bedeutet das ein rundes Jubiläum, das mit einem dreitägigen Fest samt Karneval, Konzerten und Paraden zelebriert wird.

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Als Singapur vor 50 Jahren unabhängig wurde, war die einstige britische Kronkolonie Sumpfland, das unter Massenarbeitslosigkeit und Malaria litt. Von Baufläche über Rohstoffe bis hin zu Trinkwasser fehlte es an allem. Unter dem strikten Reglement des heuer verstorbenen Premierministers Lee Kuan Yew und seiner People’s Action Party (PAP) mauserte sich der Stadtstaat vom rückständigen Inselreich zu einer blitzblanken Wolkenkratzermetropole - allerdings mit bedenklichem Demokratieverständnis.

Finanz, Elektronik und Forschung

Durch den massiven Ausbau von Infrastrukur, wirtschaftsfreundliche Gesetzgebung, gelenkte Förderung und erhebliche Investorenanreize wurde die Insel zu einem Finanz- und Bankenzentrum mit Weltruf, das dank der Nulltoleranzpolitik des Staates zudem von Korruption weitestgehend verschont geblieben ist.

Das Land gilt als überaus sicher und wohlhabend, gehört mit gut 82.000 US-Dollar Wirtschaftsleistung pro Kopf zu den wohlhabendsten Ländern der Welt. Die Arbeitslosigkeit beträgt lediglich zwei Prozent - und das in einem Land, in dem rund 5,5 Millionen Menschen auf einer nicht ganz doppelt so großen Fläche von Wien (414 Quadratkilometer - Singapur: 718 Quadratkilometer) leben. Die Wirtschaft brummt, und der Bauboom scheint kaum Grenzen zu kennen. Ein architektonisches Wunderwerk nach dem anderen sprießt aus dem einst sumpfigen Tropenboden der Insel.

Kampong Glam im Jahr 1972

picturedesk.com/Interfoto/Hubertus Kanus

Singapur im Jahr 1972

Wertvolle Staatsfonds

Neben dem Finanzgeschäft setzt man auf Ölverarbeitung, Elektronikindustrie und Maschinenbau, zudem steckt man reichlich Geld in die Entwicklung. In den Bereichen der Genforschung und der Nanotechnologie gilt man heute als Exzellenzzentrum. Und der Hafen von Singapur, einst kaum mehr als eine Kloake, war im vergangenen Jahr mit 33,9 Millionen umgeschlagenen Standardcontainern nach Schanghai (35,3 Millionen) der zweitgrößte der Welt.

Zudem verfügt Singapur über Staatsfonds, in denen der Reichtum des Landes angelegt wird. Sie sind und waren ein wichtiges Instrument für den geplanten Wirtschaftsaufbau. Der 1974 gegründete Staatsfond Temasek gehört zu den zehn wertvollsten der Welt. Auch die Government of Singapore Investment Corporation (GIC Singpore) ist mit einem angelegten Kapital von über 100 Milliarden Dollar einer der größten Investoren weltweit. Die Staatsfonds wurden mit dem Ziel gegründet, vielversprechende Unternehmen mit Kapital zu unterstützen und damit die wirtschaftliche Entwicklung des Stadtstaates voranzutreiben.

Man investierte allerdings nicht nur ins eigene Land, sondern auch global, beispielsweise in den industriellen Ausbau Chinas. Diese Investitionen brachten Singapur immense Profite und sind mitunter ein Grund für den großen Reichtum des Landes. Profitiert hat der Stadtstaat auch seit jeher von seiner Rolle als Verkehrsknotenpunkt rund um die boomenden Volkswirtschaften in Südostasien, welche die Insel für Investoren speziell reizvoll machte.

Viel Wohlstand, wenig Freiheit

Der Preis für den Erfolg ist ein Volk an der kurzen Leine, denn dem Gründervater Lee war Disziplin stets wichtiger als Demokratie. Seine PAP befindet sich seit der Unabhängigkeit an der Macht und besetzt, obwohl sie bei der Wahl im Jahr 2011 nur noch 60 Prozent der Stimmen bekam, 81 von 87 Mandaten. Der Führungsstil des „Alten“, wie die Singapurer Lee nennen, setzte von jeher auf vorrausschauende Durchreglementierung und problemorientierte Flexibilität. Sein Nachfolger Goh Chok Tong behielt den Führungsstil 14 Jahre lang bei, genauso wie Lees Sohn Lee Hsien Loong, der seit 2004 an der Spitze des Staates steht.

Strenge Strafen für Lappalien

Diese autoritäre Art zu regieren sorgt dafür, dass alles funktioniert - gleichzeitig macht sie das Leben unfrei. Individuelles wird dem großen Ganzen untergeordnet. Im Namen von Problemvermeidung und Effizienz werden die Bürger dazu gezwungen, sich strikten Regeln unterzuordnen, die zum Teil privateste Bereiche des Lebens berühren. Für Lappalien wie weggeschnippte Zigaretten oder den Besitz von Pornografie setzt es hohe Strafen.

Das spürten kürzlich auch zwei Deutsche, die vor Kurzem als Strafe für ein Graffito Stockschläge und neun Monate Gefängnis ausfassten. Kaugummi kann nur mit einer Spezialbewilligung erworben werden - damit wolle man Verschmutzung vorbeugen, heißt es. Sex zwischen Männern ist immer noch unter Strafe verboten, auch wenn das Gesetz nicht angewendet wird.

Eingeschränkte Pressefreiheit

Pressefreiheit ordnete Lee als potenziell schädlich für die Entwicklung des Staates ein, weswegen sie bis heute beschnitten wird. Zwei staatsnahe Unternehmen haben die Medienlandschaft fest im Griff. Die Berichterstattung wird autoritär gelenkt, Journalisten üben Selbstzensur, Meinungsäußerungen im Internet werden strikt überwacht. Demonstrationen sind nur nach vorheriger Anmeldung in einer Ecke des Hong-Lim-Parks erlaubt.

Lee Kuan Yew mit Ehefrau Kwa Geok Choo und Sohn  Lee Hsien Loong

Reuters/David Loh

Die Lee-Familie im Jahr 2003

Immer wieder landen Kritiker wegen Beleidigung, Verleumdung oder „Störung der öffentlichen Ordnung“ vor Gericht und werden damit oft gleichermaßen finanziell ruiniert wie mundtot gemacht. Zuletzt machte der Fall des 16-jährigen Bloggers Amos Yee von sich reden, der zu vier Wochen Haft verurteilt worden war, weil er Staatsgründer Lee in einem Video kritisiert hatte.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt Singapur auf Platz 153 von 180. Mit Lees Tod ist allerdings auch der Reformdruck im Zwergstaat gestiegen. So konnte die bis dahin kaum existente Opposition bei der letzten Wahl einen Achtungserfolg erringen, indem sie ihre Mandate von zwei auf sechs verdreifachen konnte. Auch die Gesetzgebung zum Thema Homosexualität wollen die Bürger nicht mehr einfach nur hinnehmen, weswegen alljährlich LBGT-Aktivisten für die „Freiheit der Liebe“ demonstrieren. Die Proteste erreichten im vergangenen Jahr mit 26.000 Besuchern einen neuen Rekord. Nicht zuletzt setzen auch die neuen Medien die Machthaber unter Druck.

Problematische Einwanderung

Eines der Probleme Singapurs ist die Bevölkerungsentwicklung. Statistisch gesehen bekommt jede Frau nur 1,2 Kinder. Jahrelang organisierte der Staat gezielt Events, um gebildete Singapurer zu Liebe und Fortpflanzung zu bewegen. Kinder zu bekommen und großzuziehen wird massiv subventioniert. Das reicht aber offenbar nicht – nun will man qualifizierte Ausländer ins Land locken. Bereits 1,5 der 5,5 Millionen Singapurer sind zugewandert, weitere 1,5 Millionen sollen noch folgen.

Die Ansiedlung reicher Expats führt allerdings dazu, dass die Einkommensschere immer weiter aufgeht, außerdem lockt die boomende Stadt zahlreiche Arbeiter aus benachbarten Billiglohnländern an. Viele Singapurer fühlen sich aus dem Arbeitsmarkt gedrängt, die Lebenserhaltungskosten steigen, außerdem deutet sich langsam ein Platzproblem im winzigen Inselstaat an.

Feier zum 50. Jubiläum in Singapur

APA/EPA/Ritchie B. Tongo

Ausblick auf die Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum

Auf die Klagen der Bewohner reagierte die Regierung im vergangenen Jahr mit einem Maßnahmenpaket zur Drosselung der Zuwanderung Unqualifizierter. Jetzt gibt es nicht nur Quoten für die Beschäftigung von Ausländern, sondern auch Prämien für Unternehmen, die einheimische Arbeitnehmer einstellen.

Nächster Halt: „Smart City“

Aus ökonomischer Sicht wird Singapur laut „Bloomberg Business“ für die Zukunft ein veränderter Umgang mit seiner Bevölkerung empfohlen. „Das singapurische Wachstumsmodell wird sich von der institutionalisierten Stärke weg und hin zu menschlichem Kapital bewegen müssen“, so Deyi Tan, Ökonom bei Morgan Stanley, gegenüber der Zeitschrift. Noch immer arbeiten 45 Prozent der Singapurer in wenig spezialisierten Berufen wie Reinigung und am Fließband.

Das will Lee ändern, der Stadtstaat soll zur „Smart Nation“ und damit ein Musterbeispiel für hochentwickelte Forschung und technolgisch-infrastrukturelle Entwicklungen werden. Mittels Technologie und Forschung soll eine Führungsrolle bei der Bewältigung globaler Probleme wie wachsendem Energiehunger, Mobilität, Überalterung und Urbanisierung eingenommen werden. Dafür will die Regierung Milliarden an Geldern aus dem Ausland lukrieren.

Wechselhafte Geschichte bis zur Unabhängigkeit

Bevor Singapur 1965 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, war der Inselstaat schwer umkämpft. Von 1867 bis 1963 befand sich die Insel, unterbrochen von einer japanischen Eroberung zwischen 1942 und 1945, unter britischer Herrschaft. 1959 startete die Kronkolonie mit der Selbstregierung. Mittels eines Referendums im Jahr 1962 löste sich Singapur schließlich von den Kolonialherren und schloss sich einer Föderation mit Malaya, Sabah und Sawarek an. Die Allianz sollte aufgrund heftiger Unruhen zwischen chinesischen und nicht chinesischen Einwohnern allerdings lediglich bis 1965 dauern.

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