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„Mir ist klar, dass die Welt wartet“

Der blutige Terrorfeldzug von Boko Haram geht in Nigeria auch unter dem neuen Präsidenten Muhammadu Buhari ungehindert weiter. Allein in den rund zwei Monaten nach seiner Amtsübernahme sind über 900 weitere Opfer zu beklagen. Das weckt Zweifel an der Strategie des früheren Militärdiktators für Afrikas bevölkerungsreichsten Staat, zugleich die größte Volkswirtschaft des Kontinents.

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Der 72 Jahre alte Muslim Buhari hat große Ziele: Er will Korruption und Terrorismus in Afrikas Staat der Superlative schnell ein Ende bereiten. Doch bisher hat Buhari noch nicht einmal Minister ernannt. „Buhari muss nun schnell handeln“, sagt der Experte David Zounmenou vom Afrikanischen Institut für Sicherheitsstudien (ISS) in Pretoria. Ohne die politische Führung von Ministern funktioniere die Exekutive in Nigeria derzeit nur auf Sparflamme. „Im schlimmsten Fall könnte Buhari die Kontrolle über das Land verlieren, weil andere Leute das Machtvakuum füllen werden.“

Boko Haram seit 2009 auf dem Vormarsch

Vor seinem Antrittsbesuch bei US-Präsident Barack Obama während dessen Afrikareise Ende Juli rechtfertigte sich Buhari für sein langsames Vorgehen. „Mir ist klar, dass die Welt darauf wartet, Beweise dafür zu sehen, dass meine Regierung anders ist als alle ihre Vorgänger. Aber mein Land nach so vielen Jahren der Misswirtschaft zu reformieren ist nicht über Nacht zu schaffen“, schrieb er in der „Washington Post“. Das dringendste Problem in dem ölreichen westafrikanischen Staat ist der Terrorfeldzug von Boko Haram.

Seit 2009 wirkte das Militär wie ein hilfloser Zuschauer beim Erstarken von Boko Haram. Erst nach einer vom damaligen Präsidenten Goodluck Jonathan kurz vor der Wahl befohlenen Offensive mit den Nachbarländern Tschad, Kamerun und Niger wurden besetzte Gebiete im Nordosten Nigerias zurückgewonnen. Den Terroristen gelang es Ende März - anders als von vielen befürchtet - auch nicht, die Präsidentschaftswahl in ein Blutbad zu verwandeln.

Rückgriff auf Guerillataktiken

Doch inzwischen haben die sunnitischen Extremisten ihre Taktik wieder geändert: Sie versuchen nicht mehr, wie eine Armee möglichst große Gebiete zu erobern und zu halten, sondern terrorisieren die Bevölkerung wie eine Guerillabewegung mit punktuellen Angriffen und Selbstmordanschlägen. Zuletzt setzte die Gruppe von schätzungsweise 6.000 bewaffneten Kämpfern auch verstärkt Frauen und Mädchen für Selbstmordattentate ein, darunter jüngst eine Zehnjährige.

„Die Militäroffensive hat Boko Haram aus der Fläche zurückgedrängt, aber nicht ihre Fähigkeit beschränkt, Angriffe auszuführen“, sagt Experte Ryan Cummings von der Risikoberatung Red24. Auch die Regierung räumt ein, dass Boko Haram nun verstärkt Zivilisten angreift.

Während das Morden unvermindert anhält, verkündet Buhari jedoch, die Welt sei dank seiner ersten Entscheidungen der Vernichtung Boko Harams schon näher gekommen. Er befahl nach seiner Amtsübernahme, die militärische Einsatzzentrale für den Kampf gegen Boko Haram von der Hauptstadt Abuja hin zu den umkämpften Gebieten im Nordosten zu verlegen. Vergangene Woche feuerte er schließlich die noch von seinem Vorgänger ernannte Führungsriege der Streitkräfte.

Auch militärischer Sieg brächte nichts

Doch das Problem Boko Haram wäre nicht einmal gelöst, wenn Buhari tatsächlich ein militärischer Sieg gelingen sollte, wie er es seinen Wählern versprochen hat. „Militärisch kann man nur die Symptome, nicht aber die Ursachen des Problems bekämpfen“, sagt Cummings. Solange Arbeitslosigkeit und Armut weiter den Nordosten Nigerias prägten, werde Boko Haram dort mit der Mischung aus religiösem Fanatismus und finanziellen Anreizen immer neue Kämpfer rekrutieren können.

Um eine langfristige Strategie für den Nordosten des Landes zu entwickeln, wäre eine funktionierende Regierung mit Ministern hilfreich. Dazu wird es jedoch frühestens im September kommen - also fünf Monate nach der Wahl.

Als Militärdiktator von 1983 bis 1985 führte Buhari mit harter Hand eine Kampagne gegen Korruption. Heute beharrt er darauf, dass erst neue Regeln zementiert werden müssen, um Korruption zu vermeiden: „Es gibt in der Geschichte Nigerias seit der Unabhängigkeit zu wenige Beispiele für die Einführung guter Verwaltung und Regierungsführung.“

Jürgen Bätz, dpa

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