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ÖVP-Klub holt zwei weitere TS-Abgeordnete

Die beiden Nationalratsabgeordneten Kathrin Nachbaur und Rouven Ertlschweiger wechseln vom Team Stronach (TS) in den ÖVP-Klub. Das teilte Klubchef Reinhold Lopatka bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz am Samstag im Parlament mit. Die ÖVP habe den zwei Mandataren ein Angebot gemacht, hieß es. Nachbaur und Ertlschweiger bleiben aber parteifrei.

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Der ÖVP-Klub zählt durch den Wechsel 51 Mandatare und nur einen weniger als die Nationalratsfraktion von Koalitionspartner SPÖ. Lopatka hatte zur Pressekonferenz mit dem Titel „ÖVP - stärkster Klub im Parlament“ eingeladen, denn unter Berücksichtigung der Bundesratsmandatare und der Europaabgeordneten zählt die ÖVP nun 80 und die SPÖ 78 Klubmitglieder.

Grafik zeigt die Zahl der Abgeordneten nach Parteien im Nationalrat

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Das TS hatte zuletzt neun Mandatare. Anfang Juni war Marcus Franz und Georg Vetter zur ÖVP übergelaufen. Mit Nachbaurs und Ertlschweigers Abgang zählt das TS nur noch sieben Abgeordnete.

Lopatka: „Jünger, moderner und weiblicher“

Mit den Neuzugängen werde der ÖVP-Klub „jünger, moderner und weiblicher“, sagte Lopatka. Von der Entscheidung für Nachbaurs Wechsel in den ÖVP-Klub habe er am Samstag erfahren. Nachbaur habe ihn um 11.20 Uhr in Kenntnis gesetzt, dass sie „das Angebot, in unserem Klub mitzuarbeiten, annimmt“.

Er habe Nachbaur und Ertlschweiger bereits Anfang Juni - im Zuge des Wechsels von Franz und Vetter - erklärt, dass die Tür des ÖVP-Klubs für sie offenstehe. Im Gegensatz zu Vetter und Franz, die aktiv auf die ÖVP zugegangen seien, sei die Initiative bei Nachbaur und Ertlschweiger von ihm ausgegangen, sagte Lopatka.

Weitere Wechsel „wenig wahrscheinlich“

Weitere Wechsel vom TS in den ÖVP-Klub hält Lopatka für „wenig wahrscheinlich“: Er habe noch eine Persönlichkeit vom TS - nämlich die Nationalratsabgeordnete Jessi Lintl - als mögliche Kandidatin für einen Wechsel in Betracht gezogen, diese habe aber abgesagt. Auf die Journalistenfrage, ob auch der TS-Abgeordnete Leo Steinbichler ein Vertreter gewesen sei, den man nicht gewollt habe, sagte Lopatka, man solle ihn selbst fragen.

Nachbaur wechselt zur ÖVP

Das TS findet offenbar kein Mittel, den eigenen Zerfall aufzuhalten. Inzwischen wechselten bereits vier TS-Abgeordnete in den Parlamentsklub der ÖVP.

Steinbichler zeigte sich darüber erbost: „Das ist ein Skandal, scheinbar arbeitet er nach dem Motto, wer sich nicht von der ÖVP kaufen lässt, wird angepatzt.“ Dass er in den ÖVP-Klub wechseln wolle, sei eine „glatte Lüge“. Der bisherige oberösterreichische TS-Chef war vor Kurzem aus der Partei ausgeschlossen worden, weil er entgegen einem Beschluss der Bundespartei ein Antreten bei der Landtagswahl im Herbst angekündigt hatte.

Schwarz-Blau „absolut ausgeschlossen“

Lopatka sagte, es habe im ÖVP-Klub schon öfter parteiungebundene Mitglieder gegeben, und verwies etwa auf Wissenschaftssprecher Karlheinz Töchterle. Der ÖVP-Klubchef lobte Nachbaur als „sehr weltoffene Persönlichkeit“, und es sei gut, wenn mit ihr die „wirtschaftsfreundliche Position“ der ÖVP gestärkt werde. Ertlschweiger sieht Lopatka als „Medienmann“, der sich sowohl in diesem Bereich wie auch in Sportagenden einbringen werde.

Dass die ÖVP nun um zwei Mandatare gewachsen ist, sieht Lopatka auch als Vorteil für die rot-schwarze Koalition: Denn damit sei die Regierungsmehrheit größer geworden, derzeit sei ja etwa die Zweidrittelmehrheit gemeinsam mit den Grünen „äußerst knapp“. Gefragt nach einem allfälligen fliegenden Wechsel zu Schwarz-Blau - sollte der ÖVP-Klub doch durch weitere Zugänge weiter wachsen - sagte Lopatka, das sei „völlig, absolut ausgeschlossen“.

Nachbaur: „Lange Aussprache“ mit Frank Stronach

Nachbaur sagte, sie wolle ihrer Linie auch im ÖVP-Klub treu bleiben. Es zähle nicht, wo man sitze, sondern wofür man stehe, sagte sie. Mit den Inhalten der ÖVP werde sie nicht allzu große Schwierigkeiten haben: Sie habe das 2015er Grundsatzprogramm der ÖVP „mehrmals durchgelesen“ und dabei festgestellt, dass sich „sehr viele Kernthemen im Grunde decken“.

„Ich werde mich nicht verbiegen“, sagte Nachbaur, sie sei „eine echte Wirtschaftsliberale mit Herz“. Vor Bekanntgabe ihres Wechsels habe sie eine „lange Aussprache“ mit Frank Stronach geführt, den sie immer respektieren und dem sie immer dankbar sein werde, sagte Nachbaur. Im TS habe leider nicht alles so funktioniert, „wie wir uns das vorgestellt haben“.

Ertlschweiger: „Quasi Heimkehr“

Ertlschweiger bezeichnete seinen Wechsel als „quasi Heimkehr“. Denn er habe vor seiner Tätigkeit für Stronach journalistisch für die „Niederösterreichischen Nachrichten“ („NÖN“) gearbeitet - und dabei anhand der Arbeit der niederösterreichischen Volkspartei gesehen, „was man bewegen kann“. Seine Entscheidung, das ÖVP-Angebot anzunehmen, habe er bereits am Donnerstag getroffen, sagte er.

SPÖ: „Billige Taschenspielertricks“

Die SPÖ kritisierte das Vorgehen der ÖVP: „Die Mandate werden am Wahltag vom Wähler vergeben. Nicht danach mit billigen Taschenspielertricks erkauft“, sagte Klubchef Andreas Schieder. Für ihn stellt das TS die „teuerste Wählertäuschung der Geschichte“ dar. Für dessen Abgeordnete gebe es offenbar nur eine Haltung, so der Klubchef: „Möglichst schnell dorthin zu wechseln, wo man seine Schäfchen im Trockenen wähnt.“

Der „liberale Anstrich“, den ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner seiner Partei geben habe wollen, sei durch den Übertritt „endgültig weg“, sagte Schieder. So habe „PEGIDA-Versteherin“ Nachbaur in einem Interview erklärt, dass sie nicht liberal sei. Auch habe sich Nachbaur als EU-Kritikerin und „Grexit“-Befürworterin dargestellt. Über Ertlschweiger sagte Schieder: „Wer für nichts steht, kann auch nicht auffallen.“

FPÖ: „Wen juckt’s?“

Mit „Wen juckt’s?, ob ein paar Abgeordnete ihre ablaufende Zeit in dem einen oder dem anderen Parlamentsklub absitzen“, reagierte FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl auf den Übertritt Nachbaurs und Ertlschweigers. Das TS sei von Anfang an ein „willkommenes Projekt“ für die Regierungsparteien gewesen, um den Freiheitlichen „mittels Pseudo-Alternative Oppositionsstimmen wegzunehmen“, so Kickl weiter.

Grüne: „Politische Leichenfledderei“

Das „offensive Abwerben“ von Abgeordneten könne nur als „politische Leichenfledderei“ bezeichnet werden, sagte Grünen-Chefin Eva Glawischnig. Nachbaur und Ertlschweiger seien „einfach gekauft“ worden und „dienen als Bausteine für eine künftige schwarz-blaue Erpressungsmehrheit gegenüber dem Koalitionspartner“: „Dieses Vorgehen ist skrupellos“, so Glawischnig.

NEOS will Neuwahl

„Wenn die ÖVP mit ihrem Wahlergebnis nicht zufrieden ist, soll sie neu wählen lassen, nicht Mandatare kaufen“, stellte auch NEOS-Obmann Matthias Strolz fest. Er verwies auch darauf, dass Lopatka erst am Freitag einen Wechsel Nachbaurs ausgeschlossen habe. Die ÖVP betreibe „Machtspiele, die einer Parlamentspartei nicht würdig sind“. Auch NEOS fürchtet einen „fliegenden Regierungswechsel“ hin zur FPÖ und forderten eine Neuwahl.

TS: Wechsel war „erkennbar“

Der Austritt und Wechsel von Nachbaur und Ertlschweiger zur ÖVP sei „erkennbar“ gewesen, stellte TS-Klubchefin Waltraud Dietrich fest. Das TS werde trotzdem „gemäß den Werten“ von Parteigründer Frank Stronach weiterarbeiten. „Es war in den vergangenen Wochen schon erkennbar, dass sich die beiden aus der Klubarbeit zurückgezogen hatten und Wechselgerüchte nie vollständig ausgeräumt hatten“, sagte Dietrich.

Ex-TS-Abgeordneter Franz kommentierte die Reaktionen zum Neuzugang auf Twitter. Unter anderem schrieb er: „Die üblichen Moralrichter verteilen wieder ihre Zensuren. Dass ein Fraktionswechsel was Positives sein kann, überfordert den Kleingeist ;)“

Stronach „von einigen Menschen enttäuscht“

Stronach zeigt sich in einem Interview in der „Kronen Zeitung“ (Sonntag-Ausgabe) grundsätzlich „von einigen Menschen enttäuscht“. Den Gang in die Politik habe er nie bereut, so der Austrokanadier in dem Gespräch, das allerdings bereits vor dem Wechsel von Nachbaur und Ertlschweiger zur ÖVP geführt wurde. „Es gibt Leute, die hatten Chancen nur durch mich. Jetzt schauen sie nur, dass sie vielleicht von der ÖVP genommen werden, weil sie sich dort bessere Chancen ausrechnen“, so Stronach.

Angesprochen auf die Abgeordneten Franz und Vetter, die bereits Anfang Juni das Team Stronach in Richtung ÖVP verlassen hatten, betonte der Parteiobmann, er sei „froh, dass sie weg sind“. Über Nachbaur wollte er nicht sprechen.

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