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IS als Magnet für Tunesiens Jugend

Nach dem Anschlag auf ein Strandhotel in Tunesien, bei dem 38 Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt wurden, steht Tunesiens Regierung vor der schwierigen Aufgabe, wie sie auf den wachsenden Terrorismus im eigenen Land reagieren soll. Noch im Juli soll ein umstrittenes Gesetz verabschiedet werden, kündigte Parlamentspräsident Mohamed Ennacour am Montag an.

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Tunesien, das einzige Land, das 2011 nach dem „arabischen Frühling“ gewaltfrei zu einer Demokratie fand, sieht sich seit Jahren mit einer wachsenden Zahl an Dschihad-Sympathisanten konfrontiert. Aus keinem anderen afrikanischen Land schließen sich mehr junge Menschen der Terrororganisation IS an - viele von ihnen kehren in die Heimat zurück, kampferprobt und voller Hass auf die staatlichen Systeme.

Neuer Anlauf für Anti-Terror-Gesetz

Seit Jänner 2014 ringen die Koalitionsparteien im Parlament um ein Gesetz, das dem Terror im eigenen Land einen Riegel vorschieben soll. Doch bisher konnten sich die verschiedenen Lager nicht auf einen gangbaren Weg zwischen Wahrung der erst kürzlich erkämpften Freiheit und einem restriktiveren Polizeiapparat einigen. Auch als im März bei einem Anschlag 22 Touristen im Nationalmuseum von Tunis starben, scheiterte ein neuerlicher Anlauf.

Tausende liefen zu IS über

Geschätzte 3.000 Jugendliche verließen bisher Tunesien, um sich extremistischen Gruppen in Syrien, Irak oder Libyen anzuschließen. Rund 500 sind Schätzungen zu Folge wieder zurückgekehrt.

Der jüngste Anschlag, bei dem ein mutmaßlicher Einzeltäter am Freitag das Feuer auf badende Urlauber am Strand von Sousse eröffnet hatte, könnte nun Bewegung in die verhärteten Fronten bringen. „Wir haben uns heute dazu entschlossen, das Anti-Terror-Gesetz noch vor dem Nationalfeiertag am 25. Juli zu beschließen“, versprach Parlamentspräsident Ennacour am Montag bei einem Besuch bei Überlebenden in einem Krankenhaus. „Wir werden dafür sorgen, dass die Regierung alle notwendigen Maßnahmen ergreift, um den Terrorismus in allen Bereichen zu bekämpfen.“

Bewaffneter Attentäter am Strand

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Der Attentäter tötete 38 Urlauber direkt am Strand von Sousse

Strengere Überwachung von Touristenorten

Das neue Gesetz sieht unter anderem eine von Menschenrechtsaktivisten stark kritisierte Ausweitung der Polizeibefugnisse und höhere Strafen vor. Zudem soll eine Kommission eine Strategie entwickeln, wie terroristische Aktivitäten bereits frühzeitig erkannt und bekämpft werden können. Auch sollen sogenannte „Entradikalisierungszentren“ entstehen, die junge Dschihad-Anhänger durch Aufklärung zum Umdenken bewegen sollen.

„Bisher ist nur der Sicherheitsansatz umgesetzt worden“, erklärte Anti-Terror-Koordinator Rafik Chelli vor einigen Tagen gegenüber der AP. Ein schärferes Vorgehen der Polizei alleine sei jedoch nicht genug. Direkt nach dem Attentat von Sousse ließ Premierminister Habib Essid Soldaten zum Schutz von Hotels und Stränden abstellen. Auch Moscheen, die nicht der staatlichen Kontrolle unterstanden, wurden geschlossen.

Jugend eine „moderate Alternative“ bieten

Nun liege es an den Gesetzgebern, hier einen guten Weg zu finden, sagte Chelli. Es sei essenziell, dass die Maßnahmen einerseits die Freiheit und Menschenrechte des Einzelnen respektieren und andererseits die Sicherheit im Land garantieren. Nach dem Sturz von Diktator Zine el-Abidine Ben Ali entstand ein Machtvakuum, das vor allem ultrakonservative Kräfte für sich zu nutzen wussten. Die gemäßigte Ennahda-Partei, die direkt nach dem Umsturz gewählt wurde, habe dabei zu lange zugesehen, kritisierte Chelli.

Ennahda-Führer Rachid Ghannouchi sieht die Situation natürlich etwas anders. Für ihn ist der Zulauf zu IS noch im alten, von Unterdrückung geprägten, System unter Ben Ali zu suchen. „Ben Alis repressive Politik förderte das Auftreten von Extremismus unter den Jugendlichen“, sagte Ghannouchi der AP. „IS folgt einer falschen Interpretation des Islam“, so Gannouchi. Der Politiker ist überzeugt, dass nur ein moderaterer Islam eine geeignete Alternative zu IS und Al-Kaida sein kann.

„Ein Rückschritt für Tunesien“

Auch Menschenrechtsorganisationen sehen das Gesetz skeptisch. Vor allem die schwammige Definition von Terrorismus und die Einschränkung vieler international anerkannter Menschenrechte werden von der Organisation Human Rights Watch kritisiert. Das Gesetz sei „ein Rückschritt für Tunesien“, so die Einschätzung der Aktivisten. Und auch der tunesische Rechtsexperte Moncef Kartas sieht den vorliegenden Gesetzesvorschlag als „kontraproduktiv“, da damit tiefere Schichten innerhalb der Gesellschaft nicht angesprochen würden. „Die Regierung muss mit Gruppen in den Dialog kommen, die bisher nur radikale Botschaften verstanden haben.“

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